Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

der übermannenden Heftigkeit der Gefühle gelegen
war, und daß sich sein Geist durch die lange Ruhe
und den erquickenden Schlaf wieder stimmen werde.
Der König erwacht endlich, blickt die Frau an, hat
nicht den Muth, die vor ihm stehende Cordelia als
solche zu erkennen, und sagt im Mißtrauen auf seinen
Geist mit Verschämtheit, er halte diese fremde Frau
für sein Kind Cordelia. Da man ihn sanft von der
Wahrheit seiner Vorstellung überzeugt, gleitet er ohne
Worte von dem Bette herab, und bittet knieend und
händefaltend sein eigenes Kind stumm um Verge¬
bung. Mein Herz war in dem Augenblicke gleichsam
zermalmt, ich wußte mich vor Schmerz kaum mehr zu
fassen. Das hatte ich nicht geahnt, von einem Schau¬
spiele war schon längst keine Rede mehr, das war die
wirklichste Wirklichkeit vor mir. Der günstige Aus¬
gang, welchen man den Aufführungen dieses Stückes
in jener Zeit gab, um die fürchterlichen Gefühle, die
diese Begebenheit erregt, zu mildern, that auf mich
keine Wirkung mehr, mein Herz sagte, daß das nicht
möglich sei, und ich wußte beinahe nicht mehr, was
vor mir und um mich vorging. Als ich mich ein we¬
nig erholt hatte, that ich fast scheu einen Blick auf
meine Umgebung, gleichsam, um mich zu überzeugen,

der übermannenden Heftigkeit der Gefühle gelegen
war, und daß ſich ſein Geiſt durch die lange Ruhe
und den erquickenden Schlaf wieder ſtimmen werde.
Der König erwacht endlich, blickt die Frau an, hat
nicht den Muth, die vor ihm ſtehende Cordelia als
ſolche zu erkennen, und ſagt im Mißtrauen auf ſeinen
Geiſt mit Verſchämtheit, er halte dieſe fremde Frau
für ſein Kind Cordelia. Da man ihn ſanft von der
Wahrheit ſeiner Vorſtellung überzeugt, gleitet er ohne
Worte von dem Bette herab, und bittet knieend und
händefaltend ſein eigenes Kind ſtumm um Verge¬
bung. Mein Herz war in dem Augenblicke gleichſam
zermalmt, ich wußte mich vor Schmerz kaum mehr zu
faſſen. Das hatte ich nicht geahnt, von einem Schau¬
ſpiele war ſchon längſt keine Rede mehr, das war die
wirklichſte Wirklichkeit vor mir. Der günſtige Aus¬
gang, welchen man den Aufführungen dieſes Stückes
in jener Zeit gab, um die fürchterlichen Gefühle, die
dieſe Begebenheit erregt, zu mildern, that auf mich
keine Wirkung mehr, mein Herz ſagte, daß das nicht
möglich ſei, und ich wußte beinahe nicht mehr, was
vor mir und um mich vorging. Als ich mich ein we¬
nig erholt hatte, that ich faſt ſcheu einen Blick auf
meine Umgebung, gleichſam, um mich zu überzeugen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0318" n="304"/>
der übermannenden Heftigkeit der Gefühle gelegen<lb/>
war, und daß &#x017F;ich &#x017F;ein Gei&#x017F;t durch die lange Ruhe<lb/>
und den erquickenden Schlaf wieder &#x017F;timmen werde.<lb/>
Der König erwacht endlich, blickt die Frau an, hat<lb/>
nicht den Muth, die vor ihm &#x017F;tehende Cordelia als<lb/>
&#x017F;olche zu erkennen, und &#x017F;agt im Mißtrauen auf &#x017F;einen<lb/>
Gei&#x017F;t mit Ver&#x017F;chämtheit, er halte die&#x017F;e fremde Frau<lb/>
für &#x017F;ein Kind Cordelia. Da man ihn &#x017F;anft von der<lb/>
Wahrheit &#x017F;einer Vor&#x017F;tellung überzeugt, gleitet er ohne<lb/>
Worte von dem Bette herab, und bittet knieend und<lb/>
händefaltend &#x017F;ein eigenes Kind &#x017F;tumm um Verge¬<lb/>
bung. Mein Herz war in dem Augenblicke gleich&#x017F;am<lb/>
zermalmt, ich wußte mich vor Schmerz kaum mehr zu<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en. Das hatte ich nicht geahnt, von einem Schau¬<lb/>
&#x017F;piele war &#x017F;chon läng&#x017F;t keine Rede mehr, das war die<lb/>
wirklich&#x017F;te Wirklichkeit vor mir. Der gün&#x017F;tige Aus¬<lb/>
gang, welchen man den Aufführungen die&#x017F;es Stückes<lb/>
in jener Zeit gab, um die fürchterlichen Gefühle, die<lb/>
die&#x017F;e Begebenheit erregt, zu mildern, that auf mich<lb/>
keine Wirkung mehr, mein Herz &#x017F;agte, daß das nicht<lb/>
möglich &#x017F;ei, und ich wußte beinahe nicht mehr, was<lb/>
vor mir und um mich vorging. Als ich mich ein we¬<lb/>
nig erholt hatte, that ich fa&#x017F;t &#x017F;cheu einen Blick auf<lb/>
meine Umgebung, gleich&#x017F;am, um mich zu überzeugen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0318] der übermannenden Heftigkeit der Gefühle gelegen war, und daß ſich ſein Geiſt durch die lange Ruhe und den erquickenden Schlaf wieder ſtimmen werde. Der König erwacht endlich, blickt die Frau an, hat nicht den Muth, die vor ihm ſtehende Cordelia als ſolche zu erkennen, und ſagt im Mißtrauen auf ſeinen Geiſt mit Verſchämtheit, er halte dieſe fremde Frau für ſein Kind Cordelia. Da man ihn ſanft von der Wahrheit ſeiner Vorſtellung überzeugt, gleitet er ohne Worte von dem Bette herab, und bittet knieend und händefaltend ſein eigenes Kind ſtumm um Verge¬ bung. Mein Herz war in dem Augenblicke gleichſam zermalmt, ich wußte mich vor Schmerz kaum mehr zu faſſen. Das hatte ich nicht geahnt, von einem Schau¬ ſpiele war ſchon längſt keine Rede mehr, das war die wirklichſte Wirklichkeit vor mir. Der günſtige Aus¬ gang, welchen man den Aufführungen dieſes Stückes in jener Zeit gab, um die fürchterlichen Gefühle, die dieſe Begebenheit erregt, zu mildern, that auf mich keine Wirkung mehr, mein Herz ſagte, daß das nicht möglich ſei, und ich wußte beinahe nicht mehr, was vor mir und um mich vorging. Als ich mich ein we¬ nig erholt hatte, that ich faſt ſcheu einen Blick auf meine Umgebung, gleichſam, um mich zu überzeugen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/318
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/318>, abgerufen am 22.07.2024.