blickten neugierig nach dem Vorhange der Bühne. Es war damals nicht meine Gewohnheit, und ist es jezt auch noch nicht, in überfüllten Räumen die Menge der Menschen die Kleider den Puz die Lichter die Angesichter und dergleichen zu betrachten. Ich stand also ruhig, bis die Musik begann und endete, bis sich der Vorhang hob, und das Stück den Anfang nahm.
Der König trat ein, und war, wie er später von sich sagte, jeder Zoll ein König. Aber er war auch ein übereilender und bedaurungswürdiger Thor. Re¬ gan Goneril und Cordelia redeten, wie sie nach ih¬ rem Gemüthe reden mußten, auch Kent redete so, wie er nicht anders konnte. Der König empfing die Re¬ den, wie er nach seinem heftigen leichtsinnigen und doch liebenswürdigen Gemüthe ebenfalls mußte. Er verbannte die einfache Cordelia, die ihre Antwort nicht schmücken konnte, der er desto heftiger zürnte, da sie früher sein Liebling gewesen war, und gab sein Reich den beiden anderen Töchtern, Regan und Gone¬ ril, die ihm auf seine Frage, wer ihn am meisten liebe, mit übertriebenen Ausdrücken schmeichelten, und ihm dadurch, wenn er der Betrachtung fähig gewesen wäre, schon die Unächtheit ihrer Liebe darthaten, was
blickten neugierig nach dem Vorhange der Bühne. Es war damals nicht meine Gewohnheit, und iſt es jezt auch noch nicht, in überfüllten Räumen die Menge der Menſchen die Kleider den Puz die Lichter die Angeſichter und dergleichen zu betrachten. Ich ſtand alſo ruhig, bis die Muſik begann und endete, bis ſich der Vorhang hob, und das Stück den Anfang nahm.
Der König trat ein, und war, wie er ſpäter von ſich ſagte, jeder Zoll ein König. Aber er war auch ein übereilender und bedaurungswürdiger Thor. Re¬ gan Goneril und Cordelia redeten, wie ſie nach ih¬ rem Gemüthe reden mußten, auch Kent redete ſo, wie er nicht anders konnte. Der König empfing die Re¬ den, wie er nach ſeinem heftigen leichtſinnigen und doch liebenswürdigen Gemüthe ebenfalls mußte. Er verbannte die einfache Cordelia, die ihre Antwort nicht ſchmücken konnte, der er deſto heftiger zürnte, da ſie früher ſein Liebling geweſen war, und gab ſein Reich den beiden anderen Töchtern, Regan und Gone¬ ril, die ihm auf ſeine Frage, wer ihn am meiſten liebe, mit übertriebenen Ausdrücken ſchmeichelten, und ihm dadurch, wenn er der Betrachtung fähig geweſen wäre, ſchon die Unächtheit ihrer Liebe darthaten, was
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0314"n="300"/>
blickten neugierig nach dem Vorhange der Bühne. Es<lb/>
war damals nicht meine Gewohnheit, und iſt es jezt<lb/>
auch noch nicht, in überfüllten Räumen die Menge<lb/>
der Menſchen die Kleider den Puz die Lichter die<lb/>
Angeſichter und dergleichen zu betrachten. Ich ſtand<lb/>
alſo ruhig, bis die Muſik begann und endete, bis<lb/>ſich der Vorhang hob, und das Stück den Anfang<lb/>
nahm.</p><lb/><p>Der König trat ein, und war, wie er ſpäter von<lb/>ſich ſagte, jeder Zoll ein König. Aber er war auch<lb/>
ein übereilender und bedaurungswürdiger Thor. Re¬<lb/>
gan Goneril und Cordelia redeten, wie ſie nach ih¬<lb/>
rem Gemüthe reden mußten, auch Kent redete ſo, wie<lb/>
er nicht anders konnte. Der König empfing die Re¬<lb/>
den, wie er nach ſeinem heftigen leichtſinnigen und<lb/>
doch liebenswürdigen Gemüthe ebenfalls mußte. Er<lb/>
verbannte die einfache Cordelia, die ihre Antwort<lb/>
nicht ſchmücken konnte, der er deſto heftiger zürnte, da<lb/>ſie früher ſein Liebling geweſen war, und gab ſein<lb/>
Reich den beiden anderen Töchtern, Regan und Gone¬<lb/>
ril, die ihm auf ſeine Frage, wer ihn am meiſten liebe,<lb/>
mit übertriebenen Ausdrücken ſchmeichelten, und ihm<lb/>
dadurch, wenn er der Betrachtung fähig geweſen<lb/>
wäre, ſchon die Unächtheit ihrer Liebe darthaten, was<lb/></p></div></body></text></TEI>
[300/0314]
blickten neugierig nach dem Vorhange der Bühne. Es
war damals nicht meine Gewohnheit, und iſt es jezt
auch noch nicht, in überfüllten Räumen die Menge
der Menſchen die Kleider den Puz die Lichter die
Angeſichter und dergleichen zu betrachten. Ich ſtand
alſo ruhig, bis die Muſik begann und endete, bis
ſich der Vorhang hob, und das Stück den Anfang
nahm.
Der König trat ein, und war, wie er ſpäter von
ſich ſagte, jeder Zoll ein König. Aber er war auch
ein übereilender und bedaurungswürdiger Thor. Re¬
gan Goneril und Cordelia redeten, wie ſie nach ih¬
rem Gemüthe reden mußten, auch Kent redete ſo, wie
er nicht anders konnte. Der König empfing die Re¬
den, wie er nach ſeinem heftigen leichtſinnigen und
doch liebenswürdigen Gemüthe ebenfalls mußte. Er
verbannte die einfache Cordelia, die ihre Antwort
nicht ſchmücken konnte, der er deſto heftiger zürnte, da
ſie früher ſein Liebling geweſen war, und gab ſein
Reich den beiden anderen Töchtern, Regan und Gone¬
ril, die ihm auf ſeine Frage, wer ihn am meiſten liebe,
mit übertriebenen Ausdrücken ſchmeichelten, und ihm
dadurch, wenn er der Betrachtung fähig geweſen
wäre, ſchon die Unächtheit ihrer Liebe darthaten, was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/314>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.