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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl
die Schauspielhäuser zu besuchen. Da ich mich aber
mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte, hatte ich
nach dieser Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus
Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den
nehmlichen Stücken, die ich schon mit den Eltern ge¬
sehen hatte. In diesem Herbste wurde es anders. Ich
wählte zuweilen selber ein Stück aus, dessen Auffüh¬
rung im Hoftheater ich sehen wollte.

Es lebte damals an der Hofbühne ein Künstler,
von dem der Ruf sagte, daß er in der Darstellung des
Königs Lear von Shakespeare das Höchste leiste, was
ein Mensch in diesem Kunstzweige zu leisten im
Stande sei. Die Hofbühne stand auch in dem Rufe
der Musteranstalt für ganz Deutschland. Es wurde
daher behauptet, daß es in deutscher Sprache auf
keiner deutschen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬
stellung gleich käme, und ein großer Kenner von
Schauspieldarstellungen sagte in seinem Buche über
diese Dinge von dem Darsteller des Königs Lear auf
unserer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er
diese Handlung so darstellen könnte, wie er sie dar¬
stellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren
Lichtes in ihm lebte, wodurch dieses Meisterwerk er¬

war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl
die Schauſpielhäuſer zu beſuchen. Da ich mich aber
mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten beſchäftigte, hatte ich
nach dieſer Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus
Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den
nehmlichen Stücken, die ich ſchon mit den Eltern ge¬
ſehen hatte. In dieſem Herbſte wurde es anders. Ich
wählte zuweilen ſelber ein Stück aus, deſſen Auffüh¬
rung im Hoftheater ich ſehen wollte.

Es lebte damals an der Hofbühne ein Künſtler,
von dem der Ruf ſagte, daß er in der Darſtellung des
Königs Lear von Shakeſpeare das Höchſte leiſte, was
ein Menſch in dieſem Kunſtzweige zu leiſten im
Stande ſei. Die Hofbühne ſtand auch in dem Rufe
der Muſteranſtalt für ganz Deutſchland. Es wurde
daher behauptet, daß es in deutſcher Sprache auf
keiner deutſchen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬
ſtellung gleich käme, und ein großer Kenner von
Schauſpieldarſtellungen ſagte in ſeinem Buche über
dieſe Dinge von dem Darſteller des Königs Lear auf
unſerer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er
dieſe Handlung ſo darſtellen könnte, wie er ſie dar¬
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[296/0310] war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl die Schauſpielhäuſer zu beſuchen. Da ich mich aber mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten beſchäftigte, hatte ich nach dieſer Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den nehmlichen Stücken, die ich ſchon mit den Eltern ge¬ ſehen hatte. In dieſem Herbſte wurde es anders. Ich wählte zuweilen ſelber ein Stück aus, deſſen Auffüh¬ rung im Hoftheater ich ſehen wollte. Es lebte damals an der Hofbühne ein Künſtler, von dem der Ruf ſagte, daß er in der Darſtellung des Königs Lear von Shakeſpeare das Höchſte leiſte, was ein Menſch in dieſem Kunſtzweige zu leiſten im Stande ſei. Die Hofbühne ſtand auch in dem Rufe der Muſteranſtalt für ganz Deutſchland. Es wurde daher behauptet, daß es in deutſcher Sprache auf keiner deutſchen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬ ſtellung gleich käme, und ein großer Kenner von Schauſpieldarſtellungen ſagte in ſeinem Buche über dieſe Dinge von dem Darſteller des Königs Lear auf unſerer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er dieſe Handlung ſo darſtellen könnte, wie er ſie dar¬ ſtellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren Lichtes in ihm lebte, wodurch dieſes Meiſterwerk er¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/310>, abgerufen am 22.11.2024.