Bache versumpft sind, und saures Gras tragen. Dem wäre leicht abzuhelfen, und das mildeste Gras zu er¬ zielen, wenn man dem Bache einen geraden Lauf gäbe, daß er schneller abflösse, die Wände hie und da mit Steinen ausmauerte und die Niederungen mit trockener Erde anfüllte. Ich kann euch jezt den Grund zeigen, weßhalb dieses nicht geschieht. Ihr seht an beiden Seiten des Baches Erlenschößlinge wachsen. Wenn ihr näher herzutretet, so werdet ihr sehen, daß diese Schößlinge aus dicken Blöcken gleich¬ sam aus Knollen und Höckern von Holz hervorwach¬ sen, welches Holz theils über der Erde ist, theils in dem feuchten Boden derselben steckt."
Wir waren bei diesen Worten zu dem Bache hin¬ zugegangen, und ich sah, daß es so war.
"Diese ungestalteten Anhäufungen von Holz," fuhr er fort, "aus denen die dünnen Ruthen oder krüppelhafte Äste hervorragen, bilden sich hier in sumpfigem Boden, sie entstehen aber auch im Sande oder in Steinen, und sind ein Aftererzeugniß des sonst recht schön emporwach¬ senden Erlenbaumes. In dem vieltheiligen Streben des Holzes, eine Menge Ruthen oder zwieträchtige Äste an¬ zusezen und sich selber dabei zu vergrößern entsteht ein solches Verwinden und Drehen der Fasern und Rinden,
Stifter, Nachsommer. I. 14
Bache verſumpft ſind, und ſaures Gras tragen. Dem wäre leicht abzuhelfen, und das mildeſte Gras zu er¬ zielen, wenn man dem Bache einen geraden Lauf gäbe, daß er ſchneller abflöſſe, die Wände hie und da mit Steinen ausmauerte und die Niederungen mit trockener Erde anfüllte. Ich kann euch jezt den Grund zeigen, weßhalb dieſes nicht geſchieht. Ihr ſeht an beiden Seiten des Baches Erlenſchößlinge wachſen. Wenn ihr näher herzutretet, ſo werdet ihr ſehen, daß dieſe Schößlinge aus dicken Blöcken gleich¬ ſam aus Knollen und Höckern von Holz hervorwach¬ ſen, welches Holz theils über der Erde iſt, theils in dem feuchten Boden derſelben ſteckt.“
Wir waren bei dieſen Worten zu dem Bache hin¬ zugegangen, und ich ſah, daß es ſo war.
„Dieſe ungeſtalteten Anhäufungen von Holz,“ fuhr er fort, „aus denen die dünnen Ruthen oder krüppelhafte Äſte hervorragen, bilden ſich hier in ſumpfigem Boden, ſie entſtehen aber auch im Sande oder in Steinen, und ſind ein Aftererzeugniß des ſonſt recht ſchön emporwach¬ ſenden Erlenbaumes. In dem vieltheiligen Streben des Holzes, eine Menge Ruthen oder zwieträchtige Äſte an¬ zuſezen und ſich ſelber dabei zu vergrößern entſteht ein ſolches Verwinden und Drehen der Faſern und Rinden,
Stifter, Nachſommer. I. 14
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Bache verſumpft ſind, und ſaures Gras tragen. Dem
wäre leicht abzuhelfen, und das mildeſte Gras zu er¬
zielen, wenn man dem Bache einen geraden Lauf
gäbe, daß er ſchneller abflöſſe, die Wände hie und
da mit Steinen ausmauerte und die Niederungen
mit trockener Erde anfüllte. Ich kann euch jezt den
Grund zeigen, weßhalb dieſes nicht geſchieht. Ihr
ſeht an beiden Seiten des Baches Erlenſchößlinge
wachſen. Wenn ihr näher herzutretet, ſo werdet ihr
ſehen, daß dieſe Schößlinge aus dicken Blöcken gleich¬
ſam aus Knollen und Höckern von Holz hervorwach¬
ſen, welches Holz theils über der Erde iſt, theils in
dem feuchten Boden derſelben ſteckt.“
Wir waren bei dieſen Worten zu dem Bache hin¬
zugegangen, und ich ſah, daß es ſo war.
„Dieſe ungeſtalteten Anhäufungen von Holz,“ fuhr
er fort, „aus denen die dünnen Ruthen oder krüppelhafte
Äſte hervorragen, bilden ſich hier in ſumpfigem Boden,
ſie entſtehen aber auch im Sande oder in Steinen, und
ſind ein Aftererzeugniß des ſonſt recht ſchön emporwach¬
ſenden Erlenbaumes. In dem vieltheiligen Streben des
Holzes, eine Menge Ruthen oder zwieträchtige Äſte an¬
zuſezen und ſich ſelber dabei zu vergrößern entſteht ein
ſolches Verwinden und Drehen der Faſern und Rinden,
Stifter, Nachſommer. I. 14
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/223>, abgerufen am 25.11.2024.
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