"Nicht der Siz allein, das ganze Land ist reizend, erwiederte er, "und es ist gut da wohnen, wenn man von den Menschen kömmt, wo sie ein wenig zu dicht an einander sind, und wenn man für die Kräfte sei¬ nes Wesens Thätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man auch einen Blick in sich selbst thun. Doch soll man nicht stettig mit sich allein auch in dem schönsten Lande sein; man muß zu Zeiten wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehren, wäre es auch nur, um sich an mancher glänzenden Menschentrümmer, die aus unsrer Jugend noch übrig ist, zu erquicken, oder an manchem festen Thurm von einem Menschen empor zu schauen, der sich gerettet hat. Nach solchen Zeiten geht das Land¬ leben wieder wie lindes Öhl in das geöffnete Ge¬ müth. Man muß aber weit von der Stadt weg und von ihr unberührt sein. In der Stadt kommen die Ver¬ änderungen, welche die Künste und die Gewerbe be¬ wirkt haben, zur Erscheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Bedürfniß oder Einwirken der Naturgegenstände auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen sich nicht, und hat man das Erste hinter sich, so erscheint das Zweite fast wie ein Blei¬ bendes, und dann ruht vor dem Sinne ein schönes Bestehendes, und zeigt sich dem Nachdenken ein schö¬
Stifter, Nachsommer. I. 13
„Nicht der Siz allein, das ganze Land iſt reizend, erwiederte er, „und es iſt gut da wohnen, wenn man von den Menſchen kömmt, wo ſie ein wenig zu dicht an einander ſind, und wenn man für die Kräfte ſei¬ nes Weſens Thätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man auch einen Blick in ſich ſelbſt thun. Doch ſoll man nicht ſtettig mit ſich allein auch in dem ſchönſten Lande ſein; man muß zu Zeiten wieder zu ſeiner Geſellſchaft zurückkehren, wäre es auch nur, um ſich an mancher glänzenden Menſchentrümmer, die aus unſrer Jugend noch übrig iſt, zu erquicken, oder an manchem feſten Thurm von einem Menſchen empor zu ſchauen, der ſich gerettet hat. Nach ſolchen Zeiten geht das Land¬ leben wieder wie lindes Öhl in das geöffnete Ge¬ müth. Man muß aber weit von der Stadt weg und von ihr unberührt ſein. In der Stadt kommen die Ver¬ änderungen, welche die Künſte und die Gewerbe be¬ wirkt haben, zur Erſcheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Bedürfniß oder Einwirken der Naturgegenſtände auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen ſich nicht, und hat man das Erſte hinter ſich, ſo erſcheint das Zweite faſt wie ein Blei¬ bendes, und dann ruht vor dem Sinne ein ſchönes Beſtehendes, und zeigt ſich dem Nachdenken ein ſchö¬
Stifter, Nachſommer. I. 13
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„Nicht der Siz allein, das ganze Land iſt reizend,
erwiederte er, „und es iſt gut da wohnen, wenn man
von den Menſchen kömmt, wo ſie ein wenig zu dicht
an einander ſind, und wenn man für die Kräfte ſei¬
nes Weſens Thätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man
auch einen Blick in ſich ſelbſt thun. Doch ſoll man
nicht ſtettig mit ſich allein auch in dem ſchönſten Lande
ſein; man muß zu Zeiten wieder zu ſeiner Geſellſchaft
zurückkehren, wäre es auch nur, um ſich an mancher
glänzenden Menſchentrümmer, die aus unſrer Jugend
noch übrig iſt, zu erquicken, oder an manchem feſten
Thurm von einem Menſchen empor zu ſchauen, der
ſich gerettet hat. Nach ſolchen Zeiten geht das Land¬
leben wieder wie lindes Öhl in das geöffnete Ge¬
müth. Man muß aber weit von der Stadt weg und
von ihr unberührt ſein. In der Stadt kommen die Ver¬
änderungen, welche die Künſte und die Gewerbe be¬
wirkt haben, zur Erſcheinung: auf dem Lande die,
welche naheliegendes Bedürfniß oder Einwirken der
Naturgegenſtände auf einander hervorgebracht haben.
Beide vertragen ſich nicht, und hat man das Erſte
hinter ſich, ſo erſcheint das Zweite faſt wie ein Blei¬
bendes, und dann ruht vor dem Sinne ein ſchönes
Beſtehendes, und zeigt ſich dem Nachdenken ein ſchö¬
Stifter, Nachſommer. I. 13
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/207>, abgerufen am 25.11.2024.
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