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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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über alle Kunstwerke, die jezt noch sind, ein ewiger
Schleier der Vergessenheit liegen, wie er jezt über de¬
nen liegt, die vor ihnen waren."

"Ihr arbeitet an der Herstellung eines zweiten
Altares," sagte ich, "da ihr einen schon vollendet
habt: würdet ihr auch noch andere herstellen, da ihr
sagt, daß es mehrere in dem Lande gibt?"

"Wenn ich die Mittel dazu hätte, würde ich es
thun," erwiederte er, "ich würde sogar, wenn ich reich
genug wäre, angefangene mittelalterliche Bauwerke
vollenden lassen. Da steht in Grünau hart an der
Grenze unseres Landes an der Stadtpfarrkirche ein
Thurm, welcher der schönste unseres Landes ist, und
der höchste wäre, wenn er vollendet wäre; aber er ist
nur ungefähr bis zu zwei Drittheilen seiner Höhe fer¬
tig geworden. Dieser altdeutsche Thurm wäre das
Erste, welches ich vollenden ließe. Wenn ihr wieder
kommt, so führe ich euch in eine Kirche, in welcher
auf Landeskosten ein geschnizter Flügelaltar wieder
hergestellt worden ist, der zu den bedeutendsten Kunst¬
werken gehört, welche in dieser Art vorhanden sind."

Wir traten bei diesen Worten den Rückweg aus
dem Trockenhause in die Arbeitstube an. Mein Be¬
gleiter sagte auf diesem Wege: "Da Eustach jezt vor¬

über alle Kunſtwerke, die jezt noch ſind, ein ewiger
Schleier der Vergeſſenheit liegen, wie er jezt über de¬
nen liegt, die vor ihnen waren.“

„Ihr arbeitet an der Herſtellung eines zweiten
Altares,“ ſagte ich, „da ihr einen ſchon vollendet
habt: würdet ihr auch noch andere herſtellen, da ihr
ſagt, daß es mehrere in dem Lande gibt?“

„Wenn ich die Mittel dazu hätte, würde ich es
thun,“ erwiederte er, „ich würde ſogar, wenn ich reich
genug wäre, angefangene mittelalterliche Bauwerke
vollenden laſſen. Da ſteht in Grünau hart an der
Grenze unſeres Landes an der Stadtpfarrkirche ein
Thurm, welcher der ſchönſte unſeres Landes iſt, und
der höchſte wäre, wenn er vollendet wäre; aber er iſt
nur ungefähr bis zu zwei Drittheilen ſeiner Höhe fer¬
tig geworden. Dieſer altdeutſche Thurm wäre das
Erſte, welches ich vollenden ließe. Wenn ihr wieder
kommt, ſo führe ich euch in eine Kirche, in welcher
auf Landeskoſten ein geſchnizter Flügelaltar wieder
hergeſtellt worden iſt, der zu den bedeutendſten Kunſt¬
werken gehört, welche in dieſer Art vorhanden ſind.“

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[168/0182] über alle Kunſtwerke, die jezt noch ſind, ein ewiger Schleier der Vergeſſenheit liegen, wie er jezt über de¬ nen liegt, die vor ihnen waren.“ „Ihr arbeitet an der Herſtellung eines zweiten Altares,“ ſagte ich, „da ihr einen ſchon vollendet habt: würdet ihr auch noch andere herſtellen, da ihr ſagt, daß es mehrere in dem Lande gibt?“ „Wenn ich die Mittel dazu hätte, würde ich es thun,“ erwiederte er, „ich würde ſogar, wenn ich reich genug wäre, angefangene mittelalterliche Bauwerke vollenden laſſen. Da ſteht in Grünau hart an der Grenze unſeres Landes an der Stadtpfarrkirche ein Thurm, welcher der ſchönſte unſeres Landes iſt, und der höchſte wäre, wenn er vollendet wäre; aber er iſt nur ungefähr bis zu zwei Drittheilen ſeiner Höhe fer¬ tig geworden. Dieſer altdeutſche Thurm wäre das Erſte, welches ich vollenden ließe. Wenn ihr wieder kommt, ſo führe ich euch in eine Kirche, in welcher auf Landeskoſten ein geſchnizter Flügelaltar wieder hergeſtellt worden iſt, der zu den bedeutendſten Kunſt¬ werken gehört, welche in dieſer Art vorhanden ſind.“ Wir traten bei dieſen Worten den Rückweg aus dem Trockenhauſe in die Arbeitſtube an. Mein Be¬ gleiter ſagte auf dieſem Wege: „Da Euſtach jezt vor¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/182>, abgerufen am 25.11.2024.