Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dache, an dem ein riesiger Nußbaum stand. An dem hölzernen Brunnengerüste musicirten eben durchziehende Zigeuner. -- Es war zu Tische auch ein Fremder gekommen, ein Jüngling in frühesten Jahren. Er fiel mir durch seine außerordentliche Schönheit auf. Er hatte Briefe aus der Nachbarschaft gebracht und war nach dem Essen wieder fortgeritten. Von dem Major war er sehr achtungsvoll, fast zärtlich behandelt worden. Den heißen Nachmittag verbrachten wir in den kühlen Zimmern. Abends zeigte mir mein Gastfreund das Abendroth der Haide. Wir ritten eigens zu dem Zwecke hinaus, nachdem er mir gerathen hatte, so wie er gegen die Fieberluft der Ebene einen Pelz umzuthun, wenn ihn auch die noch warme Luft entbehrlich zu machen scheine. Wir warteten, da wir hinaus gekommen waren, an dem von ihm angegebenen Punkte, bis die Sonne untergegangen war. Und in der That, es war ein prachtvoller Anblick, der nun folgte: auf der ganzen schwarzen Scheibe der Haide war die Riesenglocke des brennend gelben, flammenden Himmels gestellt, so sehr in die Augen wogend und sie beherrschend, daß jedes Ding der Erde schwarz und fremd wird. Ein Grashalm der Haide steht wie ein Balken gegen die Glut, ein gelegentlich vorübergehendes Thier zeichnet ein schwarzes Ungeheuer auf den Goldgrund, und arme Wachholder- und Schlehenbüsche malen ferne Dome und Paläste. Im Osten fängt dann nach wenigen Augenblicken das feuchte kalte Blau der Nacht herauf zu steigen an dache, an dem ein riesiger Nußbaum stand. An dem hölzernen Brunnengerüste musicirten eben durchziehende Zigeuner. — Es war zu Tische auch ein Fremder gekommen, ein Jüngling in frühesten Jahren. Er fiel mir durch seine außerordentliche Schönheit auf. Er hatte Briefe aus der Nachbarschaft gebracht und war nach dem Essen wieder fortgeritten. Von dem Major war er sehr achtungsvoll, fast zärtlich behandelt worden. Den heißen Nachmittag verbrachten wir in den kühlen Zimmern. Abends zeigte mir mein Gastfreund das Abendroth der Haide. Wir ritten eigens zu dem Zwecke hinaus, nachdem er mir gerathen hatte, so wie er gegen die Fieberluft der Ebene einen Pelz umzuthun, wenn ihn auch die noch warme Luft entbehrlich zu machen scheine. Wir warteten, da wir hinaus gekommen waren, an dem von ihm angegebenen Punkte, bis die Sonne untergegangen war. Und in der That, es war ein prachtvoller Anblick, der nun folgte: auf der ganzen schwarzen Scheibe der Haide war die Riesenglocke des brennend gelben, flammenden Himmels gestellt, so sehr in die Augen wogend und sie beherrschend, daß jedes Ding der Erde schwarz und fremd wird. Ein Grashalm der Haide steht wie ein Balken gegen die Glut, ein gelegentlich vorübergehendes Thier zeichnet ein schwarzes Ungeheuer auf den Goldgrund, und arme Wachholder- und Schlehenbüsche malen ferne Dome und Paläste. Im Osten fängt dann nach wenigen Augenblicken das feuchte kalte Blau der Nacht herauf zu steigen an <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0033"/> dache, an dem ein riesiger Nußbaum stand. An dem hölzernen Brunnengerüste musicirten eben durchziehende Zigeuner. — Es war zu Tische auch ein Fremder gekommen, ein Jüngling in frühesten Jahren. Er fiel mir durch seine außerordentliche Schönheit auf. Er hatte Briefe aus der Nachbarschaft gebracht und war nach dem Essen wieder fortgeritten. Von dem Major war er sehr achtungsvoll, fast zärtlich behandelt worden.</p><lb/> <p>Den heißen Nachmittag verbrachten wir in den kühlen Zimmern. Abends zeigte mir mein Gastfreund das Abendroth der Haide. Wir ritten eigens zu dem Zwecke hinaus, nachdem er mir gerathen hatte, so wie er gegen die Fieberluft der Ebene einen Pelz umzuthun, wenn ihn auch die noch warme Luft entbehrlich zu machen scheine. Wir warteten, da wir hinaus gekommen waren, an dem von ihm angegebenen Punkte, bis die Sonne untergegangen war. Und in der That, es war ein prachtvoller Anblick, der nun folgte: auf der ganzen schwarzen Scheibe der Haide war die Riesenglocke des brennend gelben, flammenden Himmels gestellt, so sehr in die Augen wogend und sie beherrschend, daß jedes Ding der Erde schwarz und fremd wird. Ein Grashalm der Haide steht wie ein Balken gegen die Glut, ein gelegentlich vorübergehendes Thier zeichnet ein schwarzes Ungeheuer auf den Goldgrund, und arme Wachholder- und Schlehenbüsche malen ferne Dome und Paläste. Im Osten fängt dann nach wenigen Augenblicken das feuchte kalte Blau der Nacht herauf zu steigen an<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
dache, an dem ein riesiger Nußbaum stand. An dem hölzernen Brunnengerüste musicirten eben durchziehende Zigeuner. — Es war zu Tische auch ein Fremder gekommen, ein Jüngling in frühesten Jahren. Er fiel mir durch seine außerordentliche Schönheit auf. Er hatte Briefe aus der Nachbarschaft gebracht und war nach dem Essen wieder fortgeritten. Von dem Major war er sehr achtungsvoll, fast zärtlich behandelt worden.
Den heißen Nachmittag verbrachten wir in den kühlen Zimmern. Abends zeigte mir mein Gastfreund das Abendroth der Haide. Wir ritten eigens zu dem Zwecke hinaus, nachdem er mir gerathen hatte, so wie er gegen die Fieberluft der Ebene einen Pelz umzuthun, wenn ihn auch die noch warme Luft entbehrlich zu machen scheine. Wir warteten, da wir hinaus gekommen waren, an dem von ihm angegebenen Punkte, bis die Sonne untergegangen war. Und in der That, es war ein prachtvoller Anblick, der nun folgte: auf der ganzen schwarzen Scheibe der Haide war die Riesenglocke des brennend gelben, flammenden Himmels gestellt, so sehr in die Augen wogend und sie beherrschend, daß jedes Ding der Erde schwarz und fremd wird. Ein Grashalm der Haide steht wie ein Balken gegen die Glut, ein gelegentlich vorübergehendes Thier zeichnet ein schwarzes Ungeheuer auf den Goldgrund, und arme Wachholder- und Schlehenbüsche malen ferne Dome und Paläste. Im Osten fängt dann nach wenigen Augenblicken das feuchte kalte Blau der Nacht herauf zu steigen an
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/33 |
Zitationshilfe: | Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/33>, abgerufen am 16.02.2025. |