Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

beklagt, daß so vielen Talenten zu Kunst und Wissenschaft, die der tirolische Boden erzeugt, doch nicht die rechte Lebenslust vergönnt sey; daß es bei der bestehenden Einschnürung so unendlich schwierig, einen Wuchs zu erreichen, der über die Mittelmäßigkeit hinausgeht; man erkennt mit Bedauern an, daß die wenigen Tiroler, die einen Namen in Deutschland erworben, ihn nicht auf vaterländischer Erde gewinnen konnten. Man belächelt die vielen Austriacismen, die noch als politisches Rococo in unsre Zeit hereinhängen, die zappelnde Aengstlichkeit vor der Verbreitung neuer Ideen, die trotz des Cordons jetzt in alle österreichischen Länder eingedrungen sind, die "unaufsichtliche Aufsicht," die über alle Regungen des öffentlichen Geistes verhängt ist. Alles, was da von Wien aus eine Aenderung verspricht - und in neuerer Zeit hat es anerkanntermaßen nicht an Fortschritten gefehlt, - wird mit größter Befriedigung aufgenommen. Die Verhandlungen des jüngsten Landtags in Bayern, als dem nächsten Nachbarlande, sollen manche Vergleichungen herbeigeführt haben, die den alten Freiheiten nicht sehr günstig lauteten. Von dem Werthe der Ueberwucherung kirchlichen Lebens hat man aber in diesen zur nächsten Beobachtung geeigneten Kreisen so mäßige Schätzung, daß man die Versuche, Bayern in dieser Beziehung zu tirolisiren, nicht zu würdigen weiß. An den Vorgängen im großen germanischen Vaterlande nimmt man von Jahr zu Jahr lebhafteren Antheil, obwohl es herkömmlich ist: da draußen in Deutschland - zu sagen.

So gleicht denn Tirol sowohl für den deutschen Gast als für den einheimischen Landesfreund, der an eine Zukunft glaubt, einer großen Halle, von alten Zeiten her geschmückt mit Inseln und Krummstäben, mit Helmen und Wappen, mit schmucken Stadtbannern und insbesondere mit trophäenartig aufgerichteten Dreschflegeln und Heugabeln, Morgensternen und Büchsen, zwischen denen eroberte Fahnen prangen, - einer schönen, prunkenden, mit historischen Erbstücken reich gezierten Halle, in welcher viele denkwürdige Haupt- und Staatsactionen vorgegangen, aber es ist zu lange kein Fenster mehr geöffnet, keine frische Luft mehr hereingelassen worden, und

beklagt, daß so vielen Talenten zu Kunst und Wissenschaft, die der tirolische Boden erzeugt, doch nicht die rechte Lebenslust vergönnt sey; daß es bei der bestehenden Einschnürung so unendlich schwierig, einen Wuchs zu erreichen, der über die Mittelmäßigkeit hinausgeht; man erkennt mit Bedauern an, daß die wenigen Tiroler, die einen Namen in Deutschland erworben, ihn nicht auf vaterländischer Erde gewinnen konnten. Man belächelt die vielen Austriacismen, die noch als politisches Rococo in unsre Zeit hereinhängen, die zappelnde Aengstlichkeit vor der Verbreitung neuer Ideen, die trotz des Cordons jetzt in alle österreichischen Länder eingedrungen sind, die „unaufsichtliche Aufsicht,“ die über alle Regungen des öffentlichen Geistes verhängt ist. Alles, was da von Wien aus eine Aenderung verspricht – und in neuerer Zeit hat es anerkanntermaßen nicht an Fortschritten gefehlt, – wird mit größter Befriedigung aufgenommen. Die Verhandlungen des jüngsten Landtags in Bayern, als dem nächsten Nachbarlande, sollen manche Vergleichungen herbeigeführt haben, die den alten Freiheiten nicht sehr günstig lauteten. Von dem Werthe der Ueberwucherung kirchlichen Lebens hat man aber in diesen zur nächsten Beobachtung geeigneten Kreisen so mäßige Schätzung, daß man die Versuche, Bayern in dieser Beziehung zu tirolisiren, nicht zu würdigen weiß. An den Vorgängen im großen germanischen Vaterlande nimmt man von Jahr zu Jahr lebhafteren Antheil, obwohl es herkömmlich ist: da draußen in Deutschland – zu sagen.

So gleicht denn Tirol sowohl für den deutschen Gast als für den einheimischen Landesfreund, der an eine Zukunft glaubt, einer großen Halle, von alten Zeiten her geschmückt mit Inseln und Krummstäben, mit Helmen und Wappen, mit schmucken Stadtbannern und insbesondere mit trophäenartig aufgerichteten Dreschflegeln und Heugabeln, Morgensternen und Büchsen, zwischen denen eroberte Fahnen prangen, – einer schönen, prunkenden, mit historischen Erbstücken reich gezierten Halle, in welcher viele denkwürdige Haupt- und Staatsactionen vorgegangen, aber es ist zu lange kein Fenster mehr geöffnet, keine frische Luft mehr hereingelassen worden, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0667" n="663"/>
beklagt, daß so vielen Talenten zu Kunst und Wissenschaft, die der tirolische Boden erzeugt, doch nicht die rechte Lebenslust vergönnt sey; daß es bei der bestehenden Einschnürung so unendlich schwierig, einen Wuchs zu erreichen, der über die Mittelmäßigkeit hinausgeht; man erkennt mit Bedauern an, daß die wenigen Tiroler, die einen Namen in Deutschland erworben, ihn nicht auf vaterländischer Erde gewinnen konnten. Man belächelt die vielen Austriacismen, die noch als politisches Rococo in unsre Zeit hereinhängen, die zappelnde Aengstlichkeit vor der Verbreitung neuer Ideen, die trotz des Cordons jetzt in alle österreichischen Länder eingedrungen sind, die &#x201E;unaufsichtliche Aufsicht,&#x201C; die über alle Regungen des öffentlichen Geistes verhängt ist. Alles, was da von Wien aus eine Aenderung verspricht &#x2013; und in neuerer Zeit hat es anerkanntermaßen nicht an Fortschritten gefehlt, &#x2013; wird mit größter Befriedigung aufgenommen. Die Verhandlungen des jüngsten Landtags in Bayern, als dem nächsten Nachbarlande, sollen manche Vergleichungen herbeigeführt haben, die den alten Freiheiten nicht sehr günstig lauteten. Von dem Werthe der Ueberwucherung kirchlichen Lebens hat man aber in diesen zur nächsten Beobachtung geeigneten Kreisen so mäßige Schätzung, daß man die Versuche, Bayern in dieser Beziehung zu tirolisiren, nicht zu würdigen weiß. An den Vorgängen im großen germanischen Vaterlande nimmt man von Jahr zu Jahr lebhafteren Antheil, obwohl es herkömmlich ist: da draußen in Deutschland &#x2013; zu sagen.</p>
        <p>So gleicht denn Tirol sowohl für den deutschen Gast als für den einheimischen Landesfreund, der an eine Zukunft glaubt, einer großen Halle, von alten Zeiten her geschmückt mit Inseln und Krummstäben, mit Helmen und Wappen, mit schmucken Stadtbannern und insbesondere mit trophäenartig aufgerichteten Dreschflegeln und Heugabeln, Morgensternen und Büchsen, zwischen denen eroberte Fahnen prangen, &#x2013; einer schönen, prunkenden, mit historischen Erbstücken reich gezierten Halle, in welcher viele denkwürdige Haupt- und Staatsactionen vorgegangen, aber es ist zu lange kein Fenster mehr geöffnet, keine frische Luft mehr hereingelassen worden, und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[663/0667] beklagt, daß so vielen Talenten zu Kunst und Wissenschaft, die der tirolische Boden erzeugt, doch nicht die rechte Lebenslust vergönnt sey; daß es bei der bestehenden Einschnürung so unendlich schwierig, einen Wuchs zu erreichen, der über die Mittelmäßigkeit hinausgeht; man erkennt mit Bedauern an, daß die wenigen Tiroler, die einen Namen in Deutschland erworben, ihn nicht auf vaterländischer Erde gewinnen konnten. Man belächelt die vielen Austriacismen, die noch als politisches Rococo in unsre Zeit hereinhängen, die zappelnde Aengstlichkeit vor der Verbreitung neuer Ideen, die trotz des Cordons jetzt in alle österreichischen Länder eingedrungen sind, die „unaufsichtliche Aufsicht,“ die über alle Regungen des öffentlichen Geistes verhängt ist. Alles, was da von Wien aus eine Aenderung verspricht – und in neuerer Zeit hat es anerkanntermaßen nicht an Fortschritten gefehlt, – wird mit größter Befriedigung aufgenommen. Die Verhandlungen des jüngsten Landtags in Bayern, als dem nächsten Nachbarlande, sollen manche Vergleichungen herbeigeführt haben, die den alten Freiheiten nicht sehr günstig lauteten. Von dem Werthe der Ueberwucherung kirchlichen Lebens hat man aber in diesen zur nächsten Beobachtung geeigneten Kreisen so mäßige Schätzung, daß man die Versuche, Bayern in dieser Beziehung zu tirolisiren, nicht zu würdigen weiß. An den Vorgängen im großen germanischen Vaterlande nimmt man von Jahr zu Jahr lebhafteren Antheil, obwohl es herkömmlich ist: da draußen in Deutschland – zu sagen. So gleicht denn Tirol sowohl für den deutschen Gast als für den einheimischen Landesfreund, der an eine Zukunft glaubt, einer großen Halle, von alten Zeiten her geschmückt mit Inseln und Krummstäben, mit Helmen und Wappen, mit schmucken Stadtbannern und insbesondere mit trophäenartig aufgerichteten Dreschflegeln und Heugabeln, Morgensternen und Büchsen, zwischen denen eroberte Fahnen prangen, – einer schönen, prunkenden, mit historischen Erbstücken reich gezierten Halle, in welcher viele denkwürdige Haupt- und Staatsactionen vorgegangen, aber es ist zu lange kein Fenster mehr geöffnet, keine frische Luft mehr hereingelassen worden, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/667
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/667>, abgerufen am 27.11.2024.