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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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wohlklingenden Beinamen von alten Burgen und neuen Schlössern. Nach diesem hören allmählich die einträglichen Dienste auf, dagegen wird der Briefadel zahlreich und die Matrikel füllt sich unglaublich. Jetzt werden auch die Freiherren und die Grafen gemacht, deren früher sehr wenige waren. Mit der Masse wächst aber der Verfall. Man hat sich allseitig erschöpft, unter anderm auch sehr stark in geistiger Beziehung. Allmählich trat die Verarmung ein und das Herabkommen. Eine Menge kleinen Adels flüchtet sich in die Städte und nagt an den Schnüren der Wappenbriefe, bleibt aber dabei herrisch und sich vordrängend wie früher. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war es diesem Stande wirklich gelungen, eine Stellung zu gewinnen, so unbeliebt als je, worüber man das schon öfter gedruckte Promemoria der Landeckerbauern vom Jahre 1801 nachlesen mag. Im Kriege von 1809 beobachtete der Adel mit wenigen Ausnahmen eine standesgemäße Neutralität, immer mehr von den Bauern fürchtend, als von den Bayern. Seit der Säcularisation war indessen auch der zahlreiche Bischofsadel in die Matrikel gekommen und die vielen tridentischen Conti di Nonanta, die ihre Titel 1790 während des Reichsvicariats hatten improvisiren lassen, verwandelten sich größtentheils in österreichische Cavalieri. Somit mag man wohl nirgends einen zahlreichern Kleinadel finden, als heute in Tirol. Alte Familien von Bedeutung, denen es nicht an Macht, das heißt an Geld fehlt, das Prästigium aufrecht zu erhalten, sind indessen wohl kein Duzend, und auch von diesen wenigen fällt die Mehrzahl auf Wälschtirol. Die übrigen benützen ihre Titel als Empfehlungen zu Beamten- und Officierstellen und zur hie und da sehr nöthigen Ritterhülfe (Unterstützung aus dem Matrikelfonde). Auch die Landtagsplätze sind ersehnte Sinecuren. Viele sitzen auf dem verbliebenen Väterboden und treiben gemüthlich ein herrisches Bauernthum, ohne große Ansprüche an das Leben, zufrieden, daß sie einst begraben werden mit dreizehn Geistlichen und ihren Wappen an der Bahre. So wenig die Glieder dieses Kleinadels zu blenden vermögen, weder durch Ansehen oder durch Vermögen, noch durch den

wohlklingenden Beinamen von alten Burgen und neuen Schlössern. Nach diesem hören allmählich die einträglichen Dienste auf, dagegen wird der Briefadel zahlreich und die Matrikel füllt sich unglaublich. Jetzt werden auch die Freiherren und die Grafen gemacht, deren früher sehr wenige waren. Mit der Masse wächst aber der Verfall. Man hat sich allseitig erschöpft, unter anderm auch sehr stark in geistiger Beziehung. Allmählich trat die Verarmung ein und das Herabkommen. Eine Menge kleinen Adels flüchtet sich in die Städte und nagt an den Schnüren der Wappenbriefe, bleibt aber dabei herrisch und sich vordrängend wie früher. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war es diesem Stande wirklich gelungen, eine Stellung zu gewinnen, so unbeliebt als je, worüber man das schon öfter gedruckte Promemoria der Landeckerbauern vom Jahre 1801 nachlesen mag. Im Kriege von 1809 beobachtete der Adel mit wenigen Ausnahmen eine standesgemäße Neutralität, immer mehr von den Bauern fürchtend, als von den Bayern. Seit der Säcularisation war indessen auch der zahlreiche Bischofsadel in die Matrikel gekommen und die vielen tridentischen Conti di Nonanta, die ihre Titel 1790 während des Reichsvicariats hatten improvisiren lassen, verwandelten sich größtentheils in österreichische Cavalieri. Somit mag man wohl nirgends einen zahlreichern Kleinadel finden, als heute in Tirol. Alte Familien von Bedeutung, denen es nicht an Macht, das heißt an Geld fehlt, das Prästigium aufrecht zu erhalten, sind indessen wohl kein Duzend, und auch von diesen wenigen fällt die Mehrzahl auf Wälschtirol. Die übrigen benützen ihre Titel als Empfehlungen zu Beamten- und Officierstellen und zur hie und da sehr nöthigen Ritterhülfe (Unterstützung aus dem Matrikelfonde). Auch die Landtagsplätze sind ersehnte Sinecuren. Viele sitzen auf dem verbliebenen Väterboden und treiben gemüthlich ein herrisches Bauernthum, ohne große Ansprüche an das Leben, zufrieden, daß sie einst begraben werden mit dreizehn Geistlichen und ihren Wappen an der Bahre. So wenig die Glieder dieses Kleinadels zu blenden vermögen, weder durch Ansehen oder durch Vermögen, noch durch den

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wohlklingenden Beinamen von alten Burgen und neuen Schlössern. Nach diesem hören allmählich die einträglichen Dienste auf, dagegen wird der Briefadel zahlreich und die Matrikel füllt sich unglaublich. Jetzt werden auch die Freiherren und die Grafen gemacht, deren früher sehr wenige waren. Mit der Masse wächst aber der Verfall. Man hat sich allseitig erschöpft, unter anderm auch sehr stark in geistiger Beziehung. Allmählich trat die Verarmung ein und das Herabkommen. Eine Menge kleinen Adels flüchtet sich in die Städte und nagt an den Schnüren der Wappenbriefe, bleibt aber dabei herrisch und sich vordrängend wie früher. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war es diesem Stande wirklich gelungen, eine Stellung zu gewinnen, so unbeliebt als je, worüber man das schon öfter gedruckte Promemoria der Landeckerbauern vom Jahre 1801 nachlesen mag. Im Kriege von 1809 beobachtete der Adel mit wenigen Ausnahmen eine standesgemäße Neutralität, immer mehr von den Bauern fürchtend, als von den Bayern. Seit der Säcularisation war indessen auch der zahlreiche Bischofsadel in die Matrikel gekommen und die vielen tridentischen <hi rendition="#aq">Conti di Nonanta</hi>, die ihre Titel 1790 während des Reichsvicariats hatten improvisiren lassen, verwandelten sich größtentheils in österreichische Cavalieri. Somit mag man wohl nirgends einen zahlreichern Kleinadel finden, als heute in Tirol. Alte Familien von Bedeutung, denen es nicht an Macht, das heißt an Geld fehlt, das Prästigium aufrecht zu erhalten, sind indessen wohl kein Duzend, und auch von diesen wenigen fällt die Mehrzahl auf Wälschtirol. Die übrigen benützen ihre Titel als Empfehlungen zu Beamten- und Officierstellen und zur hie und da sehr nöthigen Ritterhülfe (Unterstützung aus dem Matrikelfonde). Auch die Landtagsplätze sind ersehnte Sinecuren. Viele sitzen auf dem verbliebenen Väterboden und treiben gemüthlich ein herrisches Bauernthum, ohne große Ansprüche an das Leben, zufrieden, daß sie einst begraben werden mit dreizehn Geistlichen und ihren Wappen an der Bahre. So wenig die Glieder dieses Kleinadels zu blenden vermögen, weder durch Ansehen oder durch Vermögen, noch durch den
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[661/0665] wohlklingenden Beinamen von alten Burgen und neuen Schlössern. Nach diesem hören allmählich die einträglichen Dienste auf, dagegen wird der Briefadel zahlreich und die Matrikel füllt sich unglaublich. Jetzt werden auch die Freiherren und die Grafen gemacht, deren früher sehr wenige waren. Mit der Masse wächst aber der Verfall. Man hat sich allseitig erschöpft, unter anderm auch sehr stark in geistiger Beziehung. Allmählich trat die Verarmung ein und das Herabkommen. Eine Menge kleinen Adels flüchtet sich in die Städte und nagt an den Schnüren der Wappenbriefe, bleibt aber dabei herrisch und sich vordrängend wie früher. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war es diesem Stande wirklich gelungen, eine Stellung zu gewinnen, so unbeliebt als je, worüber man das schon öfter gedruckte Promemoria der Landeckerbauern vom Jahre 1801 nachlesen mag. Im Kriege von 1809 beobachtete der Adel mit wenigen Ausnahmen eine standesgemäße Neutralität, immer mehr von den Bauern fürchtend, als von den Bayern. Seit der Säcularisation war indessen auch der zahlreiche Bischofsadel in die Matrikel gekommen und die vielen tridentischen Conti di Nonanta, die ihre Titel 1790 während des Reichsvicariats hatten improvisiren lassen, verwandelten sich größtentheils in österreichische Cavalieri. Somit mag man wohl nirgends einen zahlreichern Kleinadel finden, als heute in Tirol. Alte Familien von Bedeutung, denen es nicht an Macht, das heißt an Geld fehlt, das Prästigium aufrecht zu erhalten, sind indessen wohl kein Duzend, und auch von diesen wenigen fällt die Mehrzahl auf Wälschtirol. Die übrigen benützen ihre Titel als Empfehlungen zu Beamten- und Officierstellen und zur hie und da sehr nöthigen Ritterhülfe (Unterstützung aus dem Matrikelfonde). Auch die Landtagsplätze sind ersehnte Sinecuren. Viele sitzen auf dem verbliebenen Väterboden und treiben gemüthlich ein herrisches Bauernthum, ohne große Ansprüche an das Leben, zufrieden, daß sie einst begraben werden mit dreizehn Geistlichen und ihren Wappen an der Bahre. So wenig die Glieder dieses Kleinadels zu blenden vermögen, weder durch Ansehen oder durch Vermögen, noch durch den

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/665>, abgerufen am 23.11.2024.