Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.einem Crucifix oder mit einem Todtenkopfe agirt, beginnt in diesem Stadium die Beschwichtigung des Sturmes, und das Trauerspiel endet mit einer Art allgemeinen Tugendgelübdes, mit der Abschwörung aller Weltfreude und dem Versprechen eines streng ascetischen Lebens. Am andern Tage ist großes Abendmahl, wozu die Junggesellen unter schallender Musik im Schützengewande aufziehen. Die Jungfrauen tragen Blumenkränze; die Gefallenen erscheinen ohne diese Zier und in dunkeln Kleidern. Was die Folgen dieser Missionen betrifft, so sind bereits mehrere der Zuhörer wahnsinnig geworden und das hat selbst hohen Gönnern den Gefallen an dem frommen Werke etwas verdorben. Auch von Selbstmord als Ergebniß innerer Verzweiflung wird gesprochen. Bei einigen zeigten sich die Missionen bloß als eine nutzlose Quälerei; die meisten wurden zwar nicht besser, aber finster, trübselig, zerfallen und hatten lange zu thun, das Uebel wieder aus den Gliedern zu bringen. Auch wollten manche Seelsorger finden, daß viele, die von diesem wälschen, dem deutschen nüchternen Volkscharakter widerstrebenden Reizmittel gekostet, durch den ruhig würdigen Vortrag des göttlichen Wortes sich nicht mehr befriedigt fühlten. Etliche ältere Bauern, die den höllischen Schwefelgestank nicht mehr los werden konnten, haben sich mit neuer Liebe dem calmirenden Säuferhandwerk zugewendet. Allem nach scheinen diese Missionen folgerecht fortgesetzt das beste Mittel, um den Bauern gemüthlich vollständig auszuzehren und ihm den letzten gesunden Tropfen Blutes abzuzapfen, auch oft den letzten Groschen Geldes, der nach Wälschland wandert zu Messen, die in Deutschand nicht mehr gelesen werden können.*) Diese Weise der Bauernerziehung ist bekanntlich auch für Altbayern empfohlen worden. Wenn man bedenkt, wie der Bauer des altbayrischen Flachlandes im Laufe der Zeiten noch weiter zurückgekommen, als der des Hochlandes, wie er bei schwerfälligerem Geiste viel weniger gegen verdumpfende Einflüsse *) Bei der letzten Mission in Welsberg (Pusterthal) wurden, wie ein verlässiger Gewährsmann angibt, von den Wirthen jedem der HH. Missionäre täglich im Minimum zwei Maß Wein gereicht und an Geschenken, Kirchenopfern und Bußgeldern, 600 fl. eingenommen.
einem Crucifix oder mit einem Todtenkopfe agirt, beginnt in diesem Stadium die Beschwichtigung des Sturmes, und das Trauerspiel endet mit einer Art allgemeinen Tugendgelübdes, mit der Abschwörung aller Weltfreude und dem Versprechen eines streng ascetischen Lebens. Am andern Tage ist großes Abendmahl, wozu die Junggesellen unter schallender Musik im Schützengewande aufziehen. Die Jungfrauen tragen Blumenkränze; die Gefallenen erscheinen ohne diese Zier und in dunkeln Kleidern. Was die Folgen dieser Missionen betrifft, so sind bereits mehrere der Zuhörer wahnsinnig geworden und das hat selbst hohen Gönnern den Gefallen an dem frommen Werke etwas verdorben. Auch von Selbstmord als Ergebniß innerer Verzweiflung wird gesprochen. Bei einigen zeigten sich die Missionen bloß als eine nutzlose Quälerei; die meisten wurden zwar nicht besser, aber finster, trübselig, zerfallen und hatten lange zu thun, das Uebel wieder aus den Gliedern zu bringen. Auch wollten manche Seelsorger finden, daß viele, die von diesem wälschen, dem deutschen nüchternen Volkscharakter widerstrebenden Reizmittel gekostet, durch den ruhig würdigen Vortrag des göttlichen Wortes sich nicht mehr befriedigt fühlten. Etliche ältere Bauern, die den höllischen Schwefelgestank nicht mehr los werden konnten, haben sich mit neuer Liebe dem calmirenden Säuferhandwerk zugewendet. Allem nach scheinen diese Missionen folgerecht fortgesetzt das beste Mittel, um den Bauern gemüthlich vollständig auszuzehren und ihm den letzten gesunden Tropfen Blutes abzuzapfen, auch oft den letzten Groschen Geldes, der nach Wälschland wandert zu Messen, die in Deutschand nicht mehr gelesen werden können.*) Diese Weise der Bauernerziehung ist bekanntlich auch für Altbayern empfohlen worden. Wenn man bedenkt, wie der Bauer des altbayrischen Flachlandes im Laufe der Zeiten noch weiter zurückgekommen, als der des Hochlandes, wie er bei schwerfälligerem Geiste viel weniger gegen verdumpfende Einflüsse *) Bei der letzten Mission in Welsberg (Pusterthal) wurden, wie ein verlässiger Gewährsmann angibt, von den Wirthen jedem der HH. Missionäre täglich im Minimum zwei Maß Wein gereicht und an Geschenken, Kirchenopfern und Bußgeldern, 600 fl. eingenommen.
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einem Crucifix oder mit einem Todtenkopfe agirt, beginnt in diesem Stadium die Beschwichtigung des Sturmes, und das Trauerspiel endet mit einer Art allgemeinen Tugendgelübdes, mit der Abschwörung aller Weltfreude und dem Versprechen eines streng ascetischen Lebens. Am andern Tage ist großes Abendmahl, wozu die Junggesellen unter schallender Musik im Schützengewande aufziehen. Die Jungfrauen tragen Blumenkränze; die Gefallenen erscheinen ohne diese Zier und in dunkeln Kleidern.
Was die Folgen dieser Missionen betrifft, so sind bereits mehrere der Zuhörer wahnsinnig geworden und das hat selbst hohen Gönnern den Gefallen an dem frommen Werke etwas verdorben. Auch von Selbstmord als Ergebniß innerer Verzweiflung wird gesprochen. Bei einigen zeigten sich die Missionen bloß als eine nutzlose Quälerei; die meisten wurden zwar nicht besser, aber finster, trübselig, zerfallen und hatten lange zu thun, das Uebel wieder aus den Gliedern zu bringen. Auch wollten manche Seelsorger finden, daß viele, die von diesem wälschen, dem deutschen nüchternen Volkscharakter widerstrebenden Reizmittel gekostet, durch den ruhig würdigen Vortrag des göttlichen Wortes sich nicht mehr befriedigt fühlten. Etliche ältere Bauern, die den höllischen Schwefelgestank nicht mehr los werden konnten, haben sich mit neuer Liebe dem calmirenden Säuferhandwerk zugewendet. Allem nach scheinen diese Missionen folgerecht fortgesetzt das beste Mittel, um den Bauern gemüthlich vollständig auszuzehren und ihm den letzten gesunden Tropfen Blutes abzuzapfen, auch oft den letzten Groschen Geldes, der nach Wälschland wandert zu Messen, die in Deutschand nicht mehr gelesen werden können. *)
Diese Weise der Bauernerziehung ist bekanntlich auch für Altbayern empfohlen worden. Wenn man bedenkt, wie der Bauer des altbayrischen Flachlandes im Laufe der Zeiten noch weiter zurückgekommen, als der des Hochlandes, wie er bei schwerfälligerem Geiste viel weniger gegen verdumpfende Einflüsse
*) Bei der letzten Mission in Welsberg (Pusterthal) wurden, wie ein verlässiger Gewährsmann angibt, von den Wirthen jedem der HH. Missionäre täglich im Minimum zwei Maß Wein gereicht und an Geschenken, Kirchenopfern und Bußgeldern, 600 fl. eingenommen.
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Zitationshilfe: | Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/661>, abgerufen am 17.02.2025. |