Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Welt des germanischen Alterthums vor Augen gelegt ist, so ergibt sich, daß unser Stamm in seiner Begabung nicht zurückstand vor irgend einem, der jemals in der Geschichte groß war. Frühere deutsche Schriftsteller wußten zwar kein besseres Zeugniß für ihre Kritik und ihre Unbefangenheit zu geben, als grelle Gemälde roher Barbarei und unmenschlicher Versunkenheit, aber dieselben alterthümlich rohen Züge finden wir auch bei den Griechen und Römern. Diese waren, wie Jacob Grimm sagt, nur duldsamer gegen ihr eigenes Alterthum, als wir gegen das unsere; sie suchten ihm geistige Triebfedern unterzulegen und es zu erheben, nicht zu erniedrigen; denn darin eben erwiesen sich die Alten großartig, daß sie die Nacktheit und das Dunkel ihrer Vorzeit gewissenhaft ehrten. - Wie die Sprache damals klangreicher, bildsamer und edler, so war auch noch die geistige Bewegung des Volkes gefügig, reich und schön. Das Leben so eng an der Natur hatte es dahin geführt, ihre Kräfte kennen zu lernen, und wenn diese auch mannichfach überschätzt wurden, wenn dem Zauber zu viel Macht beigelegt war, so erfreut doch auch in diesem Treiben wieder die dichterische Anschauung. Wie Baum, Kraut und Gras, der Berg und seine innersten Tiefen, Quell, Strom und Meer dem Deutschen durch Verknüpfung mit der Göttersage poetische Bedeutung erhielt, so auch das blaue Gewölbe und seine glänzenden Insassen über ihm. Jornandes, der Gothe, berichtet, daß seinen Landsleuten lange vor seiner Zeit außer den Planeten dreihundertundvierundvierzig Sterne bekannt gewesen. Die Milchstraße kennt ja noch Aventin unter dem Namen Euringstraße, den sie von dem mythischen Heroen Iring erhalten hat. Wenn wir nun auch diese volksthümliche Kunde der Natur und ihrer Kräfte durch die neuere Wissenschaft übertreffend vertreten seyn lassen, so ersetzt doch nichts mehr das alte deutsche Recht und die alte deutsche Poesie. Die Verkümmerung des geistigen Lebens unsers Landmannes ist mitunter auch der Einführung eines fremden Rechtes und einer Gerichtsverfassung zuzuschreiben, die ihn als Urtheilssprecher überflüssig machte, dadurch seinen offenen Sinn für die Gewährschaft des Rechtszustandes abstumpfte, die große Welt des germanischen Alterthums vor Augen gelegt ist, so ergibt sich, daß unser Stamm in seiner Begabung nicht zurückstand vor irgend einem, der jemals in der Geschichte groß war. Frühere deutsche Schriftsteller wußten zwar kein besseres Zeugniß für ihre Kritik und ihre Unbefangenheit zu geben, als grelle Gemälde roher Barbarei und unmenschlicher Versunkenheit, aber dieselben alterthümlich rohen Züge finden wir auch bei den Griechen und Römern. Diese waren, wie Jacob Grimm sagt, nur duldsamer gegen ihr eigenes Alterthum, als wir gegen das unsere; sie suchten ihm geistige Triebfedern unterzulegen und es zu erheben, nicht zu erniedrigen; denn darin eben erwiesen sich die Alten großartig, daß sie die Nacktheit und das Dunkel ihrer Vorzeit gewissenhaft ehrten. – Wie die Sprache damals klangreicher, bildsamer und edler, so war auch noch die geistige Bewegung des Volkes gefügig, reich und schön. Das Leben so eng an der Natur hatte es dahin geführt, ihre Kräfte kennen zu lernen, und wenn diese auch mannichfach überschätzt wurden, wenn dem Zauber zu viel Macht beigelegt war, so erfreut doch auch in diesem Treiben wieder die dichterische Anschauung. Wie Baum, Kraut und Gras, der Berg und seine innersten Tiefen, Quell, Strom und Meer dem Deutschen durch Verknüpfung mit der Göttersage poetische Bedeutung erhielt, so auch das blaue Gewölbe und seine glänzenden Insassen über ihm. Jornandes, der Gothe, berichtet, daß seinen Landsleuten lange vor seiner Zeit außer den Planeten dreihundertundvierundvierzig Sterne bekannt gewesen. Die Milchstraße kennt ja noch Aventin unter dem Namen Euringstraße, den sie von dem mythischen Heroen Iring erhalten hat. Wenn wir nun auch diese volksthümliche Kunde der Natur und ihrer Kräfte durch die neuere Wissenschaft übertreffend vertreten seyn lassen, so ersetzt doch nichts mehr das alte deutsche Recht und die alte deutsche Poesie. Die Verkümmerung des geistigen Lebens unsers Landmannes ist mitunter auch der Einführung eines fremden Rechtes und einer Gerichtsverfassung zuzuschreiben, die ihn als Urtheilssprecher überflüssig machte, dadurch seinen offenen Sinn für die Gewährschaft des Rechtszustandes abstumpfte, die große <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0651" n="647"/> Welt des germanischen Alterthums vor Augen gelegt ist, so ergibt sich, daß unser Stamm in seiner Begabung nicht zurückstand vor irgend einem, der jemals in der Geschichte groß war. Frühere deutsche Schriftsteller wußten zwar kein besseres Zeugniß für ihre Kritik und ihre Unbefangenheit zu geben, als grelle Gemälde roher Barbarei und unmenschlicher Versunkenheit, aber dieselben alterthümlich rohen Züge finden wir auch bei den Griechen und Römern. Diese waren, wie Jacob Grimm sagt, nur duldsamer gegen ihr eigenes Alterthum, als wir gegen das unsere; sie suchten ihm geistige Triebfedern unterzulegen und es zu erheben, nicht zu erniedrigen; denn darin eben erwiesen sich die Alten großartig, daß sie die Nacktheit und das Dunkel ihrer Vorzeit gewissenhaft ehrten. – Wie die Sprache damals klangreicher, bildsamer und edler, so war auch noch die geistige Bewegung des Volkes gefügig, reich und schön. Das Leben so eng an der Natur hatte es dahin geführt, ihre Kräfte kennen zu lernen, und wenn diese auch mannichfach überschätzt wurden, wenn dem Zauber zu viel Macht beigelegt war, so erfreut doch auch in diesem Treiben wieder die dichterische Anschauung. Wie Baum, Kraut und Gras, der Berg und seine innersten Tiefen, Quell, Strom und Meer dem Deutschen durch Verknüpfung mit der Göttersage poetische Bedeutung erhielt, so auch das blaue Gewölbe und seine glänzenden Insassen über ihm. Jornandes, der Gothe, berichtet, daß seinen Landsleuten lange vor seiner Zeit außer den Planeten dreihundertundvierundvierzig Sterne bekannt gewesen. Die Milchstraße kennt ja noch Aventin unter dem Namen Euringstraße, den sie von dem mythischen Heroen Iring erhalten hat. Wenn wir nun auch diese volksthümliche Kunde der Natur und ihrer Kräfte durch die neuere Wissenschaft übertreffend vertreten seyn lassen, so ersetzt doch nichts mehr das alte deutsche Recht und die alte deutsche Poesie. Die Verkümmerung des geistigen Lebens unsers Landmannes ist mitunter auch der Einführung eines fremden Rechtes und einer Gerichtsverfassung zuzuschreiben, die ihn als Urtheilssprecher überflüssig machte, dadurch seinen offenen Sinn für die Gewährschaft des Rechtszustandes abstumpfte, die große </p> </div> </body> </text> </TEI> [647/0651]
Welt des germanischen Alterthums vor Augen gelegt ist, so ergibt sich, daß unser Stamm in seiner Begabung nicht zurückstand vor irgend einem, der jemals in der Geschichte groß war. Frühere deutsche Schriftsteller wußten zwar kein besseres Zeugniß für ihre Kritik und ihre Unbefangenheit zu geben, als grelle Gemälde roher Barbarei und unmenschlicher Versunkenheit, aber dieselben alterthümlich rohen Züge finden wir auch bei den Griechen und Römern. Diese waren, wie Jacob Grimm sagt, nur duldsamer gegen ihr eigenes Alterthum, als wir gegen das unsere; sie suchten ihm geistige Triebfedern unterzulegen und es zu erheben, nicht zu erniedrigen; denn darin eben erwiesen sich die Alten großartig, daß sie die Nacktheit und das Dunkel ihrer Vorzeit gewissenhaft ehrten. – Wie die Sprache damals klangreicher, bildsamer und edler, so war auch noch die geistige Bewegung des Volkes gefügig, reich und schön. Das Leben so eng an der Natur hatte es dahin geführt, ihre Kräfte kennen zu lernen, und wenn diese auch mannichfach überschätzt wurden, wenn dem Zauber zu viel Macht beigelegt war, so erfreut doch auch in diesem Treiben wieder die dichterische Anschauung. Wie Baum, Kraut und Gras, der Berg und seine innersten Tiefen, Quell, Strom und Meer dem Deutschen durch Verknüpfung mit der Göttersage poetische Bedeutung erhielt, so auch das blaue Gewölbe und seine glänzenden Insassen über ihm. Jornandes, der Gothe, berichtet, daß seinen Landsleuten lange vor seiner Zeit außer den Planeten dreihundertundvierundvierzig Sterne bekannt gewesen. Die Milchstraße kennt ja noch Aventin unter dem Namen Euringstraße, den sie von dem mythischen Heroen Iring erhalten hat. Wenn wir nun auch diese volksthümliche Kunde der Natur und ihrer Kräfte durch die neuere Wissenschaft übertreffend vertreten seyn lassen, so ersetzt doch nichts mehr das alte deutsche Recht und die alte deutsche Poesie. Die Verkümmerung des geistigen Lebens unsers Landmannes ist mitunter auch der Einführung eines fremden Rechtes und einer Gerichtsverfassung zuzuschreiben, die ihn als Urtheilssprecher überflüssig machte, dadurch seinen offenen Sinn für die Gewährschaft des Rechtszustandes abstumpfte, die große
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |