Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört. In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den "Inclinanten" den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört. In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. 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Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den „Inclinanten“ den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche </p> </div> </body> </text> </TEI> [534/0538]
auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört.
In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den „Inclinanten“ den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche
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