Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich." Für Bergsteiger ist's ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen.

Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, - einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale.

Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während

angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich.“ Für Bergsteiger ist’s ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen.

Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, – einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale.

Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0485" n="481"/>
angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich.&#x201C; Für Bergsteiger ist&#x2019;s ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen.</p>
        <p>Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, &#x2013; einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale.</p>
        <p>Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[481/0485] angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich.“ Für Bergsteiger ist’s ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen. Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, – einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale. Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/485
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/485>, abgerufen am 23.11.2024.