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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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uns bei Herrn Johann Franz Dapunt im Wirthshause jenseits der Kirche zur Rast.

Wir sind also in St. Leonhard oder wie man in der Thalsprache sagt Badia. Diesem wälschen Namen entspricht denn wieder auch ein deutscher, nämlich Abtei, welcher von einem ehemaligen Stifte der Templer herstammen soll. Uebrigens gilt der Name Badia im gewöhnlichen Gebrauche für das ganze innere Thal, etwa von der Pontatscher Schlucht angefangen, und die Einwohner dieser Landschaft heißen daher auch Badioten. Sie sind große Viehzüchter und die Gemeinde Abtei verkauft jährlich allein an fünfhundert Stücke Zuchtvieh. Hoch wird der Fleiß und die Aufmerksamkeit gerühmt, die der Landmann diesem Erwerbzweige schenkt. In seinen Ställen soll eine Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie man sie in seinen Stuben umsonst sucht, und die Sorgfalt für sein Vieh soll jene für sein menschliches Hauswesen weit überbieten. Was die andern Eigenschaften der Badioten und der Enneberger insgesammt betrifft, so zeichnen sie sich nach den Erfahrungen der Landeskundigen durch ungemeine Gutmüthigkeit, Geduld und Genügsamkeit aus. So arbeitsam und sparsam wie der Enneberger, sagt Hr. J. Th. Haller, ihr gewesener Landrichter, so duldend und zufrieden, so fromm und sittlich, so voll Zutrauen und Achtung gegen Seelsorger und Obrigkeit, so offen für Belehrung und bereit zum Gehorsame dürfte der Landmann nicht leicht anderswo wieder zu finden seyn. Freilich ist schwer zu errathen, wie damit Proceßsucht, Mißtrauen und Mangel an Gemeinsinn zu vereinigen, was ihnen doch auch in bewährten Büchern vorgeworfen wird. In den Familien waltet patriarchalisches Leben. Vater, Söhne und Schwiegertöchter mit zahlreichen Geschwistern und Kindern theilen friedlich Tisch und Wohnung. Seine heimathliche Sittlichkeit und Ordnungsliebe verläßt den Enneberger auch nicht, wenn er auswärts als Dienstbote oder im Heere dient; er ist eben so treu im Gesinde als brav im Kriegsdienste. Jenes milde, sanfte, fast süße Wesen habe ich zu allererst an dem guten Wirthe von St. Leonhard, dem genannten Herrn Dapunt, für mich abgenommen und zwar schon das einemal, als ich im Jahre

uns bei Herrn Johann Franz Dapunt im Wirthshause jenseits der Kirche zur Rast.

Wir sind also in St. Leonhard oder wie man in der Thalsprache sagt Badia. Diesem wälschen Namen entspricht denn wieder auch ein deutscher, nämlich Abtei, welcher von einem ehemaligen Stifte der Templer herstammen soll. Uebrigens gilt der Name Badia im gewöhnlichen Gebrauche für das ganze innere Thal, etwa von der Pontatscher Schlucht angefangen, und die Einwohner dieser Landschaft heißen daher auch Badioten. Sie sind große Viehzüchter und die Gemeinde Abtei verkauft jährlich allein an fünfhundert Stücke Zuchtvieh. Hoch wird der Fleiß und die Aufmerksamkeit gerühmt, die der Landmann diesem Erwerbzweige schenkt. In seinen Ställen soll eine Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie man sie in seinen Stuben umsonst sucht, und die Sorgfalt für sein Vieh soll jene für sein menschliches Hauswesen weit überbieten. Was die andern Eigenschaften der Badioten und der Enneberger insgesammt betrifft, so zeichnen sie sich nach den Erfahrungen der Landeskundigen durch ungemeine Gutmüthigkeit, Geduld und Genügsamkeit aus. So arbeitsam und sparsam wie der Enneberger, sagt Hr. J. Th. Haller, ihr gewesener Landrichter, so duldend und zufrieden, so fromm und sittlich, so voll Zutrauen und Achtung gegen Seelsorger und Obrigkeit, so offen für Belehrung und bereit zum Gehorsame dürfte der Landmann nicht leicht anderswo wieder zu finden seyn. Freilich ist schwer zu errathen, wie damit Proceßsucht, Mißtrauen und Mangel an Gemeinsinn zu vereinigen, was ihnen doch auch in bewährten Büchern vorgeworfen wird. In den Familien waltet patriarchalisches Leben. Vater, Söhne und Schwiegertöchter mit zahlreichen Geschwistern und Kindern theilen friedlich Tisch und Wohnung. Seine heimathliche Sittlichkeit und Ordnungsliebe verläßt den Enneberger auch nicht, wenn er auswärts als Dienstbote oder im Heere dient; er ist eben so treu im Gesinde als brav im Kriegsdienste. Jenes milde, sanfte, fast süße Wesen habe ich zu allererst an dem guten Wirthe von St. Leonhard, dem genannten Herrn Dapunt, für mich abgenommen und zwar schon das einemal, als ich im Jahre

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[450/0454] uns bei Herrn Johann Franz Dapunt im Wirthshause jenseits der Kirche zur Rast. Wir sind also in St. Leonhard oder wie man in der Thalsprache sagt Badia. Diesem wälschen Namen entspricht denn wieder auch ein deutscher, nämlich Abtei, welcher von einem ehemaligen Stifte der Templer herstammen soll. Uebrigens gilt der Name Badia im gewöhnlichen Gebrauche für das ganze innere Thal, etwa von der Pontatscher Schlucht angefangen, und die Einwohner dieser Landschaft heißen daher auch Badioten. Sie sind große Viehzüchter und die Gemeinde Abtei verkauft jährlich allein an fünfhundert Stücke Zuchtvieh. Hoch wird der Fleiß und die Aufmerksamkeit gerühmt, die der Landmann diesem Erwerbzweige schenkt. In seinen Ställen soll eine Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie man sie in seinen Stuben umsonst sucht, und die Sorgfalt für sein Vieh soll jene für sein menschliches Hauswesen weit überbieten. Was die andern Eigenschaften der Badioten und der Enneberger insgesammt betrifft, so zeichnen sie sich nach den Erfahrungen der Landeskundigen durch ungemeine Gutmüthigkeit, Geduld und Genügsamkeit aus. So arbeitsam und sparsam wie der Enneberger, sagt Hr. J. Th. Haller, ihr gewesener Landrichter, so duldend und zufrieden, so fromm und sittlich, so voll Zutrauen und Achtung gegen Seelsorger und Obrigkeit, so offen für Belehrung und bereit zum Gehorsame dürfte der Landmann nicht leicht anderswo wieder zu finden seyn. Freilich ist schwer zu errathen, wie damit Proceßsucht, Mißtrauen und Mangel an Gemeinsinn zu vereinigen, was ihnen doch auch in bewährten Büchern vorgeworfen wird. In den Familien waltet patriarchalisches Leben. Vater, Söhne und Schwiegertöchter mit zahlreichen Geschwistern und Kindern theilen friedlich Tisch und Wohnung. Seine heimathliche Sittlichkeit und Ordnungsliebe verläßt den Enneberger auch nicht, wenn er auswärts als Dienstbote oder im Heere dient; er ist eben so treu im Gesinde als brav im Kriegsdienste. Jenes milde, sanfte, fast süße Wesen habe ich zu allererst an dem guten Wirthe von St. Leonhard, dem genannten Herrn Dapunt, für mich abgenommen und zwar schon das einemal, als ich im Jahre

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/454>, abgerufen am 23.11.2024.