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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Dem Bache nachgehend gelangten wir nach Stern, einem Weiler, der in der Landessprache la villa heißt. Es steht das Schloß Rubatsch am Wege, ein großes, festes Haus, das ehemals mit Erkerthürmchen gewappnet war, in einem Umfang von ungemein hohen Mauern. Die Edlen von Rubatsch sind aber schon lange weggezogen und jetzt wohnt in den ritterlichen Gemächern ein schlichter Bauersmann mit seinem fleißigen Hauswesen. Gegenüber der Burg Rubatsch, auf der linken Seite des Weges, steht ein anderes Haus, groß und stark gebaut, ehemals ein Sitz der Kolzen, deren Stammhaus übrigens zu Abtei ist, jetzt ebenfalls in den Händen eines bäuerlichen Herrn. Ein ansehnliches gothisches Portal ziert den Bau. Im Grödnerthale hat alle Maurerei den Charakter von gestern her; die Häuser scheinen alle neu und frisch; in Enneberg aber tritt das Altdeutsche überraschend hervor und der Wanderer trifft auf mächtige Thorbogen, auf spitzbogige Fenster, auf ragende Erker, die er sich sehr verwundert, hier zu finden.

Eine halbe Stunde von Stern liegt la Muda, welcher Name ein Dörfchen bezeichnet, das vordem sechs Häuser zählend hier gelegen, aber im Jahre 1821 durch einen Bergbruch zu Grunde ging, der vom östlichen Mittelgebirge sich ablösend, Saatfelder und Waldungen mit sich führend, langsam ins Thal herniedersank, einen fünfhundert Klafter breiten Schuttdamm aufwarf, sofort auch den Gaderbach anschwellte und dadurch den Sompuntersee entstehen ließ, der aber im Raume eines Decenniums wieder verlief.

Unterdessen ist schon lange der schöne spitze Kirchenthurm von St. Leonhard aufgetaucht und um ihn herum zeigen sich gute dreistöckige Häuser, auf grünen Auen zerstreut. Diese, von vielen Wasserrissen durchschnitten, ziehen in mannichfaltigen Hebungen an den Halden hinauf, die ein ehemaliger Bergbruch sind. Die Gebäude verrathen vielen Wohlstand, und wenn die Badioten arm sind, wie kaum zu läugnen, so lassen sie dieß wenigstens an ihren Häusern nicht vermerken. Allmählich hatten wir die ersten erreicht und bald setzten wir

Dem Bache nachgehend gelangten wir nach Stern, einem Weiler, der in der Landessprache la villa heißt. Es steht das Schloß Rubatsch am Wege, ein großes, festes Haus, das ehemals mit Erkerthürmchen gewappnet war, in einem Umfang von ungemein hohen Mauern. Die Edlen von Rubatsch sind aber schon lange weggezogen und jetzt wohnt in den ritterlichen Gemächern ein schlichter Bauersmann mit seinem fleißigen Hauswesen. Gegenüber der Burg Rubatsch, auf der linken Seite des Weges, steht ein anderes Haus, groß und stark gebaut, ehemals ein Sitz der Kolzen, deren Stammhaus übrigens zu Abtei ist, jetzt ebenfalls in den Händen eines bäuerlichen Herrn. Ein ansehnliches gothisches Portal ziert den Bau. Im Grödnerthale hat alle Maurerei den Charakter von gestern her; die Häuser scheinen alle neu und frisch; in Enneberg aber tritt das Altdeutsche überraschend hervor und der Wanderer trifft auf mächtige Thorbogen, auf spitzbogige Fenster, auf ragende Erker, die er sich sehr verwundert, hier zu finden.

Eine halbe Stunde von Stern liegt la Muda, welcher Name ein Dörfchen bezeichnet, das vordem sechs Häuser zählend hier gelegen, aber im Jahre 1821 durch einen Bergbruch zu Grunde ging, der vom östlichen Mittelgebirge sich ablösend, Saatfelder und Waldungen mit sich führend, langsam ins Thal herniedersank, einen fünfhundert Klafter breiten Schuttdamm aufwarf, sofort auch den Gaderbach anschwellte und dadurch den Sompuntersee entstehen ließ, der aber im Raume eines Decenniums wieder verlief.

Unterdessen ist schon lange der schöne spitze Kirchenthurm von St. Leonhard aufgetaucht und um ihn herum zeigen sich gute dreistöckige Häuser, auf grünen Auen zerstreut. Diese, von vielen Wasserrissen durchschnitten, ziehen in mannichfaltigen Hebungen an den Halden hinauf, die ein ehemaliger Bergbruch sind. Die Gebäude verrathen vielen Wohlstand, und wenn die Badioten arm sind, wie kaum zu läugnen, so lassen sie dieß wenigstens an ihren Häusern nicht vermerken. Allmählich hatten wir die ersten erreicht und bald setzten wir

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[449/0453] Dem Bache nachgehend gelangten wir nach Stern, einem Weiler, der in der Landessprache la villa heißt. Es steht das Schloß Rubatsch am Wege, ein großes, festes Haus, das ehemals mit Erkerthürmchen gewappnet war, in einem Umfang von ungemein hohen Mauern. Die Edlen von Rubatsch sind aber schon lange weggezogen und jetzt wohnt in den ritterlichen Gemächern ein schlichter Bauersmann mit seinem fleißigen Hauswesen. Gegenüber der Burg Rubatsch, auf der linken Seite des Weges, steht ein anderes Haus, groß und stark gebaut, ehemals ein Sitz der Kolzen, deren Stammhaus übrigens zu Abtei ist, jetzt ebenfalls in den Händen eines bäuerlichen Herrn. Ein ansehnliches gothisches Portal ziert den Bau. Im Grödnerthale hat alle Maurerei den Charakter von gestern her; die Häuser scheinen alle neu und frisch; in Enneberg aber tritt das Altdeutsche überraschend hervor und der Wanderer trifft auf mächtige Thorbogen, auf spitzbogige Fenster, auf ragende Erker, die er sich sehr verwundert, hier zu finden. Eine halbe Stunde von Stern liegt la Muda, welcher Name ein Dörfchen bezeichnet, das vordem sechs Häuser zählend hier gelegen, aber im Jahre 1821 durch einen Bergbruch zu Grunde ging, der vom östlichen Mittelgebirge sich ablösend, Saatfelder und Waldungen mit sich führend, langsam ins Thal herniedersank, einen fünfhundert Klafter breiten Schuttdamm aufwarf, sofort auch den Gaderbach anschwellte und dadurch den Sompuntersee entstehen ließ, der aber im Raume eines Decenniums wieder verlief. Unterdessen ist schon lange der schöne spitze Kirchenthurm von St. Leonhard aufgetaucht und um ihn herum zeigen sich gute dreistöckige Häuser, auf grünen Auen zerstreut. Diese, von vielen Wasserrissen durchschnitten, ziehen in mannichfaltigen Hebungen an den Halden hinauf, die ein ehemaliger Bergbruch sind. Die Gebäude verrathen vielen Wohlstand, und wenn die Badioten arm sind, wie kaum zu läugnen, so lassen sie dieß wenigstens an ihren Häusern nicht vermerken. Allmählich hatten wir die ersten erreicht und bald setzten wir

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/453>, abgerufen am 25.08.2024.