Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Unsrer Meinung nach sind also die Grödner und die Enneberger wie die Romanschen in Graubünden Abkömmlinge der alten Rhätier, welche Urahnen zu ihrer Zeit lateinisch gelernt und diese Sprache zu weiterer Verarbeitung ihren Enkeln hinterlassen haben. Daß diese damit nun nicht gerade ganz aufs Italienische hinausgekommen sind, ist auch nicht schwer zu erklären. Beide Thäler sind nämlich von den angränzenden italienischen Landschaften durch hohe Jöcher geschieden, und da diese immer wälschen Herren gehorchten, so standen jene, welche deutschen Dynasten untergeben waren, auch in keiner politischen Verbindung mit Italien. Das Deutsche aber konnte wegen der specifischen Verschiedenheit des Idioms ohnedem kein bildendes Element der Sprache werden, wenigstens nicht mehr, als es, wenn die in neuerer Zeit wieder bestrittene Ansicht sich halten läßt, überhaupt auf die Gestaltung der romanischen Sprachen gewirkt hat. Daß viele deutsche Wörter aufgenommen worden, wie denn das Wort für die Hauptbeschäftigung des Grödners selbst ein deutsches ist, nämlich snizle, dieß ändert nichts an der Sache. Auch darf es nicht auffallen, daß sich einzelne lateinische Wörter vorfinden, welche im Italienischen untergegangen sind, denn bekanntlich haben auch die romanischen Schriftsprachen nicht mit gleicher Wachsamkeit über dem ihnen ursprünglich anvertrauten Wörtervorrath gewaltet, so daß das Spanische und Französische manche lateinische Etyma bewahrte, welche das Italienische außer Uebung kommen ließ und umgekehrt. Manche Erscheinungen, welche Ottfried Müller veranlaßten, von einem französischen Jargon zu sprechen, kommen in den oberitalienischen Dialekten ebenfalls vor und sind überhaupt der ganzen Familie der nordromanischen Idiome eigen. *) *) Um den Leser, der am Sprachlichen keine Freude hat, nicht aufzuhalten, wollen wir nur in der Note etwas näher auf die Sache eingehen. Es ist nicht zu läugnen, daß sich diese Dialekte in vielen Erscheinungen auf einer Fährte betreffen lassen, die auch das Lateinische in Gallien eingeschlagen hat. Pater ist ihnen ebenfalls zu pere geworden, ja mit weit getriebener Analogie haben sie auch aus latro (Dieb) ein lere gemacht. Da[s]
Unsrer Meinung nach sind also die Grödner und die Enneberger wie die Romanschen in Graubünden Abkömmlinge der alten Rhätier, welche Urahnen zu ihrer Zeit lateinisch gelernt und diese Sprache zu weiterer Verarbeitung ihren Enkeln hinterlassen haben. Daß diese damit nun nicht gerade ganz aufs Italienische hinausgekommen sind, ist auch nicht schwer zu erklären. Beide Thäler sind nämlich von den angränzenden italienischen Landschaften durch hohe Jöcher geschieden, und da diese immer wälschen Herren gehorchten, so standen jene, welche deutschen Dynasten untergeben waren, auch in keiner politischen Verbindung mit Italien. Das Deutsche aber konnte wegen der specifischen Verschiedenheit des Idioms ohnedem kein bildendes Element der Sprache werden, wenigstens nicht mehr, als es, wenn die in neuerer Zeit wieder bestrittene Ansicht sich halten läßt, überhaupt auf die Gestaltung der romanischen Sprachen gewirkt hat. Daß viele deutsche Wörter aufgenommen worden, wie denn das Wort für die Hauptbeschäftigung des Grödners selbst ein deutsches ist, nämlich snizlé, dieß ändert nichts an der Sache. Auch darf es nicht auffallen, daß sich einzelne lateinische Wörter vorfinden, welche im Italienischen untergegangen sind, denn bekanntlich haben auch die romanischen Schriftsprachen nicht mit gleicher Wachsamkeit über dem ihnen ursprünglich anvertrauten Wörtervorrath gewaltet, so daß das Spanische und Französische manche lateinische Etyma bewahrte, welche das Italienische außer Uebung kommen ließ und umgekehrt. Manche Erscheinungen, welche Ottfried Müller veranlaßten, von einem französischen Jargon zu sprechen, kommen in den oberitalienischen Dialekten ebenfalls vor und sind überhaupt der ganzen Familie der nordromanischen Idiome eigen. *) *) Um den Leser, der am Sprachlichen keine Freude hat, nicht aufzuhalten, wollen wir nur in der Note etwas näher auf die Sache eingehen. Es ist nicht zu läugnen, daß sich diese Dialekte in vielen Erscheinungen auf einer Fährte betreffen lassen, die auch das Lateinische in Gallien eingeschlagen hat. Pater ist ihnen ebenfalls zu pere geworden, ja mit weit getriebener Analogie haben sie auch aus latro (Dieb) ein lere gemacht. Da[s]
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Unsrer Meinung nach sind also die Grödner und die Enneberger wie die Romanschen in Graubünden Abkömmlinge der alten Rhätier, welche Urahnen zu ihrer Zeit lateinisch gelernt und diese Sprache zu weiterer Verarbeitung ihren Enkeln hinterlassen haben. Daß diese damit nun nicht gerade ganz aufs Italienische hinausgekommen sind, ist auch nicht schwer zu erklären. Beide Thäler sind nämlich von den angränzenden italienischen Landschaften durch hohe Jöcher geschieden, und da diese immer wälschen Herren gehorchten, so standen jene, welche deutschen Dynasten untergeben waren, auch in keiner politischen Verbindung mit Italien. Das Deutsche aber konnte wegen der specifischen Verschiedenheit des Idioms ohnedem kein bildendes Element der Sprache werden, wenigstens nicht mehr, als es, wenn die in neuerer Zeit wieder bestrittene Ansicht sich halten läßt, überhaupt auf die Gestaltung der romanischen Sprachen gewirkt hat.
Daß viele deutsche Wörter aufgenommen worden, wie denn das Wort für die Hauptbeschäftigung des Grödners selbst ein deutsches ist, nämlich snizlé, dieß ändert nichts an der Sache. Auch darf es nicht auffallen, daß sich einzelne lateinische Wörter vorfinden, welche im Italienischen untergegangen sind, denn bekanntlich haben auch die romanischen Schriftsprachen nicht mit gleicher Wachsamkeit über dem ihnen ursprünglich anvertrauten Wörtervorrath gewaltet, so daß das Spanische und Französische manche lateinische Etyma bewahrte, welche das Italienische außer Uebung kommen ließ und umgekehrt. Manche Erscheinungen, welche Ottfried Müller veranlaßten, von einem französischen Jargon zu sprechen, kommen in den oberitalienischen Dialekten ebenfalls vor und sind überhaupt der ganzen Familie der nordromanischen Idiome eigen. *)
*) Um den Leser, der am Sprachlichen keine Freude hat, nicht aufzuhalten, wollen wir nur in der Note etwas näher auf die Sache eingehen. Es ist nicht zu läugnen, daß sich diese Dialekte in vielen Erscheinungen auf einer Fährte betreffen lassen, die auch das Lateinische in Gallien eingeschlagen hat. Pater ist ihnen ebenfalls zu pere geworden, ja mit weit getriebener Analogie haben sie auch aus latro (Dieb) ein lere gemacht. Das
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