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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten.

Nun gewann der Erwerb bald einen weitern Schwung und ungefähr um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Bildschnitzerei in alle Gemeinden von Gröden. Die Zahl der Schnitzer vermehrte sich in steigender Zunahme und im Jahre 1807 zählte deren Steiner gegen dreihundert. Zu Ammergau im bayerischen Gebirge an der Straße von Partenkirchen nach Schongau, wo derselbe Erwerbzweig schon früher blühte, hörten es gleichwohl die Leute mit Schrecken, daß weit drinnen in Tirol, in einem stillen Thal bei wälschen Hirten die gleiche Liebe zur Holzbildnerei auflebte, und so machten sie sich alsbald auf den Weg und kamen ängstlich hereingewandert, kauften die fertigen Schnitzwaaren auf und machten neue Bestellungen, um sich so wenigstens den Vertrieb zu sichern. Dieß währte indessen nicht lange, denn die Kunst in Gardena verspürte bald, daß sie auf diese Art den größern Theil des Gewinns aus den Händen lasse, und unternahm daher lieber selbst den Versuch, ihre Erzeugnisse im Auslande abzusetzen. Einige, und es waren meist junge, rührige Leute, rüsteten sich und gingen nach Italien, andere zogen nach Spanien und es gelang so gut, daß fast alle diese armen Händler reiche Kaufherren wurden. Und als sie so weit waren, dünkte es sie Verzagtheit, mit ihren Puppen und Hanswursten innerhalb der Säulen des Hercules stehen zu bleiben. In den siebenziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ sich Peter Wellponer in Mexico nieder und später begaben sich andere sogar nach Neu-York und Philadelphia.

zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten.

Nun gewann der Erwerb bald einen weitern Schwung und ungefähr um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Bildschnitzerei in alle Gemeinden von Gröden. Die Zahl der Schnitzer vermehrte sich in steigender Zunahme und im Jahre 1807 zählte deren Steiner gegen dreihundert. Zu Ammergau im bayerischen Gebirge an der Straße von Partenkirchen nach Schongau, wo derselbe Erwerbzweig schon früher blühte, hörten es gleichwohl die Leute mit Schrecken, daß weit drinnen in Tirol, in einem stillen Thal bei wälschen Hirten die gleiche Liebe zur Holzbildnerei auflebte, und so machten sie sich alsbald auf den Weg und kamen ängstlich hereingewandert, kauften die fertigen Schnitzwaaren auf und machten neue Bestellungen, um sich so wenigstens den Vertrieb zu sichern. Dieß währte indessen nicht lange, denn die Kunst in Gardena verspürte bald, daß sie auf diese Art den größern Theil des Gewinns aus den Händen lasse, und unternahm daher lieber selbst den Versuch, ihre Erzeugnisse im Auslande abzusetzen. Einige, und es waren meist junge, rührige Leute, rüsteten sich und gingen nach Italien, andere zogen nach Spanien und es gelang so gut, daß fast alle diese armen Händler reiche Kaufherren wurden. Und als sie so weit waren, dünkte es sie Verzagtheit, mit ihren Puppen und Hanswursten innerhalb der Säulen des Hercules stehen zu bleiben. In den siebenziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ sich Peter Wellponer in Mexico nieder und später begaben sich andere sogar nach Neu-York und Philadelphia.

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zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten.</p>
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[423/0427] zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten. Nun gewann der Erwerb bald einen weitern Schwung und ungefähr um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Bildschnitzerei in alle Gemeinden von Gröden. Die Zahl der Schnitzer vermehrte sich in steigender Zunahme und im Jahre 1807 zählte deren Steiner gegen dreihundert. Zu Ammergau im bayerischen Gebirge an der Straße von Partenkirchen nach Schongau, wo derselbe Erwerbzweig schon früher blühte, hörten es gleichwohl die Leute mit Schrecken, daß weit drinnen in Tirol, in einem stillen Thal bei wälschen Hirten die gleiche Liebe zur Holzbildnerei auflebte, und so machten sie sich alsbald auf den Weg und kamen ängstlich hereingewandert, kauften die fertigen Schnitzwaaren auf und machten neue Bestellungen, um sich so wenigstens den Vertrieb zu sichern. Dieß währte indessen nicht lange, denn die Kunst in Gardena verspürte bald, daß sie auf diese Art den größern Theil des Gewinns aus den Händen lasse, und unternahm daher lieber selbst den Versuch, ihre Erzeugnisse im Auslande abzusetzen. Einige, und es waren meist junge, rührige Leute, rüsteten sich und gingen nach Italien, andere zogen nach Spanien und es gelang so gut, daß fast alle diese armen Händler reiche Kaufherren wurden. Und als sie so weit waren, dünkte es sie Verzagtheit, mit ihren Puppen und Hanswursten innerhalb der Säulen des Hercules stehen zu bleiben. In den siebenziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ sich Peter Wellponer in Mexico nieder und später begaben sich andere sogar nach Neu-York und Philadelphia.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/427>, abgerufen am 23.11.2024.