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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen - und darauf hatte Johann geantwortet: ie son git. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn's ein Weibsbild ischt, so sagt sie: ie son gita.

Nach ein paar Stunden schlossen wir die Untersuchungen, da es Abend werden wollte und noch etwa eine Stunde nach St. Ulrich, dem Grödner Hauptort, vor uns lag. Nachdem wir allen dreien für ihre Bemühungen herzlich Dank gesagt hatten, eilten wir bergabwärts. Oben indessen hatten wir auch gelernt, wie es auf ladinisch lautet; wenn man fragt: wie weit ist es nach St. Ulrich. Dieß heißt also: Dang longsch

ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen – und darauf hatte Johann geantwortet: ie son git. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn’s ein Weibsbild ischt, so sagt sie: ie son gita.

Nach ein paar Stunden schlossen wir die Untersuchungen, da es Abend werden wollte und noch etwa eine Stunde nach St. Ulrich, dem Grödner Hauptort, vor uns lag. Nachdem wir allen dreien für ihre Bemühungen herzlich Dank gesagt hatten, eilten wir bergabwärts. Oben indessen hatten wir auch gelernt, wie es auf ladinisch lautet; wenn man fragt: wie weit ist es nach St. Ulrich. Dieß heißt also: Dang longsch

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ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen &#x2013; und darauf hatte Johann geantwortet: <hi rendition="#aq">ie son git</hi>. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn&#x2019;s ein Weibsbild ischt, so sagt sie: <hi rendition="#aq">ie son gita</hi>.</p>
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[418/0422] ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen – und darauf hatte Johann geantwortet: ie son git. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn’s ein Weibsbild ischt, so sagt sie: ie son gita. Nach ein paar Stunden schlossen wir die Untersuchungen, da es Abend werden wollte und noch etwa eine Stunde nach St. Ulrich, dem Grödner Hauptort, vor uns lag. Nachdem wir allen dreien für ihre Bemühungen herzlich Dank gesagt hatten, eilten wir bergabwärts. Oben indessen hatten wir auch gelernt, wie es auf ladinisch lautet; wenn man fragt: wie weit ist es nach St. Ulrich. Dieß heißt also: Dang longsch

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/422>, abgerufen am 23.11.2024.