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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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mit Schwaigen und Sennhütten bedeckt, hin und wieder durch einen Ansatz von Fichtenhain unterbrochen, überall von unsichtbaren Bächlein durchrieselt, jetzt als zur Zeit der Heuernte weit und breit voll Mähder und Mähderinnen, die in langen Reihen nach einander hinarbeiteten. Von nah und fern umschlossen wilde Berge die grüne Ebene, der Schlernkofel zunächst, der aber hier ein ganz anderes Ansehen hat, da die beiden Wassergüsse den Leib des Unthieres fast völlig verdecken; über das Grödnerthal hin steigen beschneite Dolomiten auf.

Die Seiseralm gehört zumeist den Bauern von Castelruth und ist für sie eine Quelle reichlichen Einkommens. Im August ziehen sie mit allem Hausgesinde herauf, um das Gras zu schneiden. Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg. Wir machten bei einer der Schwaigen eine längere Rast, um dem Mittagmahl der Mähder beizuwohnen. Es fand sich der Herr, ein ansehnlicher Bauer dazu ein, und der Knechte und Mägde waren es etwa ein halbes Duzend. Darunter auch ein Wälscher, d. h. ein Grödner aus St. Christina, noch jung, um nebenher beim Mähen deutsch zu lernen. Bald ließen sich alle zum Tischgebet auf die Knie nieder. Das Essen wurde in großen Schüsseln aufgetragen und auf dem Rasen liegend eingenommen; sehr anständig und unter heiteren Tischgesprächen. Und zur selben Zeit, als sie vor unsrer Schwaige zu Tische saßen, saßen auch nah und fern mehrere hundert Mähder auf dem Rasen, um Mittag zu halten. Die Nahrung muß bei der anstrengenden Arbeit kräftig seyn und daher auch hier, wie im Etschland, fünf Mahlzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinuntergesunken, so nimmt man das Abendmahl ein, und dann gehen alle schlafen, das Gesinde in der Dille, nämlich dem Heustadel, wo es im Heu sehr süß und warm sich ruht, der Herr in der Schwaige, wo ihm ein Bett bereitet. Der Bauer, bei dessen Mahl wir saßen, gab gerne Antwort auf unsre Fragen. Von ihm erfuhren wir mancherlei, zum Beispiel, daß der Lohn der verdingten Arbeiter ein Gulden und dreißig

mit Schwaigen und Sennhütten bedeckt, hin und wieder durch einen Ansatz von Fichtenhain unterbrochen, überall von unsichtbaren Bächlein durchrieselt, jetzt als zur Zeit der Heuernte weit und breit voll Mähder und Mähderinnen, die in langen Reihen nach einander hinarbeiteten. Von nah und fern umschlossen wilde Berge die grüne Ebene, der Schlernkofel zunächst, der aber hier ein ganz anderes Ansehen hat, da die beiden Wassergüsse den Leib des Unthieres fast völlig verdecken; über das Grödnerthal hin steigen beschneite Dolomiten auf.

Die Seiseralm gehört zumeist den Bauern von Castelruth und ist für sie eine Quelle reichlichen Einkommens. Im August ziehen sie mit allem Hausgesinde herauf, um das Gras zu schneiden. Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg. Wir machten bei einer der Schwaigen eine längere Rast, um dem Mittagmahl der Mähder beizuwohnen. Es fand sich der Herr, ein ansehnlicher Bauer dazu ein, und der Knechte und Mägde waren es etwa ein halbes Duzend. Darunter auch ein Wälscher, d. h. ein Grödner aus St. Christina, noch jung, um nebenher beim Mähen deutsch zu lernen. Bald ließen sich alle zum Tischgebet auf die Knie nieder. Das Essen wurde in großen Schüsseln aufgetragen und auf dem Rasen liegend eingenommen; sehr anständig und unter heiteren Tischgesprächen. Und zur selben Zeit, als sie vor unsrer Schwaige zu Tische saßen, saßen auch nah und fern mehrere hundert Mähder auf dem Rasen, um Mittag zu halten. Die Nahrung muß bei der anstrengenden Arbeit kräftig seyn und daher auch hier, wie im Etschland, fünf Mahlzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinuntergesunken, so nimmt man das Abendmahl ein, und dann gehen alle schlafen, das Gesinde in der Dille, nämlich dem Heustadel, wo es im Heu sehr süß und warm sich ruht, der Herr in der Schwaige, wo ihm ein Bett bereitet. Der Bauer, bei dessen Mahl wir saßen, gab gerne Antwort auf unsre Fragen. Von ihm erfuhren wir mancherlei, zum Beispiel, daß der Lohn der verdingten Arbeiter ein Gulden und dreißig

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[414/0418] mit Schwaigen und Sennhütten bedeckt, hin und wieder durch einen Ansatz von Fichtenhain unterbrochen, überall von unsichtbaren Bächlein durchrieselt, jetzt als zur Zeit der Heuernte weit und breit voll Mähder und Mähderinnen, die in langen Reihen nach einander hinarbeiteten. Von nah und fern umschlossen wilde Berge die grüne Ebene, der Schlernkofel zunächst, der aber hier ein ganz anderes Ansehen hat, da die beiden Wassergüsse den Leib des Unthieres fast völlig verdecken; über das Grödnerthal hin steigen beschneite Dolomiten auf. Die Seiseralm gehört zumeist den Bauern von Castelruth und ist für sie eine Quelle reichlichen Einkommens. Im August ziehen sie mit allem Hausgesinde herauf, um das Gras zu schneiden. Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg. Wir machten bei einer der Schwaigen eine längere Rast, um dem Mittagmahl der Mähder beizuwohnen. Es fand sich der Herr, ein ansehnlicher Bauer dazu ein, und der Knechte und Mägde waren es etwa ein halbes Duzend. Darunter auch ein Wälscher, d. h. ein Grödner aus St. Christina, noch jung, um nebenher beim Mähen deutsch zu lernen. Bald ließen sich alle zum Tischgebet auf die Knie nieder. Das Essen wurde in großen Schüsseln aufgetragen und auf dem Rasen liegend eingenommen; sehr anständig und unter heiteren Tischgesprächen. Und zur selben Zeit, als sie vor unsrer Schwaige zu Tische saßen, saßen auch nah und fern mehrere hundert Mähder auf dem Rasen, um Mittag zu halten. Die Nahrung muß bei der anstrengenden Arbeit kräftig seyn und daher auch hier, wie im Etschland, fünf Mahlzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinuntergesunken, so nimmt man das Abendmahl ein, und dann gehen alle schlafen, das Gesinde in der Dille, nämlich dem Heustadel, wo es im Heu sehr süß und warm sich ruht, der Herr in der Schwaige, wo ihm ein Bett bereitet. Der Bauer, bei dessen Mahl wir saßen, gab gerne Antwort auf unsre Fragen. Von ihm erfuhren wir mancherlei, zum Beispiel, daß der Lohn der verdingten Arbeiter ein Gulden und dreißig

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/418>, abgerufen am 23.11.2024.