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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Verlässige Zeugen wollten gesehen haben, wie der junge Mystagog die junge Sibylle "gebußt." Man entsandte daher das Mädchen zu den Klosterfrauen in Zams. Sie konnte es aber dort nicht aushalten, weil sie vom Teufel in ihrer Zelle allzuheftig bedrängt wurde. Im Sommer 1838 ging man damit um, die Prophetin zur Aufsicht in den Pfarrhof von Marling zu bringen, denn der damalige Pfarrer, der jetzige Decan zu Meran, ist ein Gegner der Wunder wie der Weltlust, und man hoffte daher viel von der geistigen Diät, die ihr bevorstand. Als der Pflegvater vorgerufen wurde, um sie zu schaffen, war indeß die Heilige fort und er wußte nicht wohin. Bald darauf wurde auch der Tschermser Curat versetzt. Man sagt, die Jungfrau lebe jetzt in der Verborgenheit in Wälschtirol. Böse Zungen sprechen auch von einem kleinen Kinde, mit dem die Prophetin niedergekommen und lassen sich's nicht ausreden, obwohl die Unterrichteten nichts davon wissen wollen. Das verdächtige Auftreten der Tschermserin hat den Glauben an die Uebernatürlichkeit solcher Erscheinungen sehr erschüttert. Die Weltkinder zu Bozen glaubten nie daran, schon aus Pique gegen ihre frommen Mitbürger, welche darüber jubelten. Sie halten auch die Heilige von Kaltern für ein Blendwerk der Mönche, lassen diesen aber die Ehre, daß sie es verständig angegangen. Ja, sagte ein kaustischer Bozner, als davon die Rede war, ja die Heilige von Kaltern, das ist eine solide Unternehmung, aber bei der zu Tscherms ist die Dividende großer geworden, als die Aktionäre gewünscht haben.

Anstrengender als nach Kaltern, vielleicht auch nicht so genußreich, doch immerhin nicht zu widerrathen ist ein Gang von Bozen ins Sarnthal. Da muß nun zuerst das Schloß Ravenstein erstiegen werden, auf einem rauh, verrenkten Pfade, dessen Steilheit oft zum Rasten nöthigt. Bei heißer Tageszeit wird der Steiger oft sehnsüchtig in die Höhe blicken zur alten Burg, die das Ziel der Anstrengung scheint, denn dahinter, denkt er, werde sich der Weg sanft und linde ins Thal hinunter senken. Unterdessen nützt er die kurzen Rastzeiten, um den Windungen der Etsch nach unendlich

Verlässige Zeugen wollten gesehen haben, wie der junge Mystagog die junge Sibylle „gebußt.“ Man entsandte daher das Mädchen zu den Klosterfrauen in Zams. Sie konnte es aber dort nicht aushalten, weil sie vom Teufel in ihrer Zelle allzuheftig bedrängt wurde. Im Sommer 1838 ging man damit um, die Prophetin zur Aufsicht in den Pfarrhof von Marling zu bringen, denn der damalige Pfarrer, der jetzige Decan zu Meran, ist ein Gegner der Wunder wie der Weltlust, und man hoffte daher viel von der geistigen Diät, die ihr bevorstand. Als der Pflegvater vorgerufen wurde, um sie zu schaffen, war indeß die Heilige fort und er wußte nicht wohin. Bald darauf wurde auch der Tschermser Curat versetzt. Man sagt, die Jungfrau lebe jetzt in der Verborgenheit in Wälschtirol. Böse Zungen sprechen auch von einem kleinen Kinde, mit dem die Prophetin niedergekommen und lassen sich’s nicht ausreden, obwohl die Unterrichteten nichts davon wissen wollen. Das verdächtige Auftreten der Tschermserin hat den Glauben an die Uebernatürlichkeit solcher Erscheinungen sehr erschüttert. Die Weltkinder zu Bozen glaubten nie daran, schon aus Pique gegen ihre frommen Mitbürger, welche darüber jubelten. Sie halten auch die Heilige von Kaltern für ein Blendwerk der Mönche, lassen diesen aber die Ehre, daß sie es verständig angegangen. Ja, sagte ein kaustischer Bozner, als davon die Rede war, ja die Heilige von Kaltern, das ist eine solide Unternehmung, aber bei der zu Tscherms ist die Dividende großer geworden, als die Aktionäre gewünscht haben.

Anstrengender als nach Kaltern, vielleicht auch nicht so genußreich, doch immerhin nicht zu widerrathen ist ein Gang von Bozen ins Sarnthal. Da muß nun zuerst das Schloß Ravenstein erstiegen werden, auf einem rauh, verrenkten Pfade, dessen Steilheit oft zum Rasten nöthigt. Bei heißer Tageszeit wird der Steiger oft sehnsüchtig in die Höhe blicken zur alten Burg, die das Ziel der Anstrengung scheint, denn dahinter, denkt er, werde sich der Weg sanft und linde ins Thal hinunter senken. Unterdessen nützt er die kurzen Rastzeiten, um den Windungen der Etsch nach unendlich

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[395/0399] Verlässige Zeugen wollten gesehen haben, wie der junge Mystagog die junge Sibylle „gebußt.“ Man entsandte daher das Mädchen zu den Klosterfrauen in Zams. Sie konnte es aber dort nicht aushalten, weil sie vom Teufel in ihrer Zelle allzuheftig bedrängt wurde. Im Sommer 1838 ging man damit um, die Prophetin zur Aufsicht in den Pfarrhof von Marling zu bringen, denn der damalige Pfarrer, der jetzige Decan zu Meran, ist ein Gegner der Wunder wie der Weltlust, und man hoffte daher viel von der geistigen Diät, die ihr bevorstand. Als der Pflegvater vorgerufen wurde, um sie zu schaffen, war indeß die Heilige fort und er wußte nicht wohin. Bald darauf wurde auch der Tschermser Curat versetzt. Man sagt, die Jungfrau lebe jetzt in der Verborgenheit in Wälschtirol. Böse Zungen sprechen auch von einem kleinen Kinde, mit dem die Prophetin niedergekommen und lassen sich’s nicht ausreden, obwohl die Unterrichteten nichts davon wissen wollen. Das verdächtige Auftreten der Tschermserin hat den Glauben an die Uebernatürlichkeit solcher Erscheinungen sehr erschüttert. Die Weltkinder zu Bozen glaubten nie daran, schon aus Pique gegen ihre frommen Mitbürger, welche darüber jubelten. Sie halten auch die Heilige von Kaltern für ein Blendwerk der Mönche, lassen diesen aber die Ehre, daß sie es verständig angegangen. Ja, sagte ein kaustischer Bozner, als davon die Rede war, ja die Heilige von Kaltern, das ist eine solide Unternehmung, aber bei der zu Tscherms ist die Dividende großer geworden, als die Aktionäre gewünscht haben. Anstrengender als nach Kaltern, vielleicht auch nicht so genußreich, doch immerhin nicht zu widerrathen ist ein Gang von Bozen ins Sarnthal. Da muß nun zuerst das Schloß Ravenstein erstiegen werden, auf einem rauh, verrenkten Pfade, dessen Steilheit oft zum Rasten nöthigt. Bei heißer Tageszeit wird der Steiger oft sehnsüchtig in die Höhe blicken zur alten Burg, die das Ziel der Anstrengung scheint, denn dahinter, denkt er, werde sich der Weg sanft und linde ins Thal hinunter senken. Unterdessen nützt er die kurzen Rastzeiten, um den Windungen der Etsch nach unendlich

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/399>, abgerufen am 23.11.2024.