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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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schweigender Theilnahme das kranke Mädchen - recht unbequem dagegen machte sich die wallfahrende Dame aus Frankreich. Nachdem sie einmal ihrer Nerven sicher war, trat sie keck voran, begehrte mit Ungestüm die Wundmale zu schauen und suchte die Hände des Fräuleins auseinander zu zwängen, weil sie auf der innern Fläche deutlicher sind als auf der äußern. Nach diesem zog sie kleine Bildchen heraus, wie man sie in Rom und Loreto kauft, und schenkte etliche der Kranken, worauf diese den Pater Capistran durch ein Zeichen bat, er möge ihr auch ihre Bilderschachtel geben. Darauf tauschten sie beide ihre Kupferstiche und Maria mußte alle diejenigen küssen, die die Französin behielt; auch an die Wundmalen wollte diese sie drücken, weiß aber nicht, ob es gelang. Endlich machte sie mit den beiden Fingern der rechten Hand gegen die Mönche, die kein Französisch verstanden, die Bewegung einer Scheere, um anzudeuten, daß sie etliche Haare von dem schönen Reichthum des Fräuleins abschneiden wollte. Mein Gott, sagte dagegen Pater Capistran, wenn wir dieß erlaubten, hätte sie schon lange kein Härchen mehr im Schopfe. Während wir nun allesammt etwas ärgerlich über diese Begehrlichkeiten am Bette standen, war das Fräulein wieder ecstatisch geworden und lag theilnahmslos mit starren Augen vor uns. Als die reisende Dame den Zustand bemerkte, bat sie um Erlaubniß die Verzückte küssen zu dürfen, und als ihr dieß ungern gestattet worden, drückte sie etliche schnalzende Küsse auf die bleichen Lippen, war auch nur durch entschiedenes Zurückziehen von der Fortsetzung dieser frommen Uebung abzubringen. Ich meinte, das müßte dem Fräulein lästig fallen, allein man entgegnete, sie fühle jetzt nichts und die Frau werde sie sogleich nicht wieder zu sich selber bringen. Es gelang ihr aber dennoch; auf einmal drehte sich Marie herüber, und lächelte ihr wieder anmuthig zu. Endlich als man sich zu gehen anschickte, begehrte jene noch zu bleiben und zwar allein bei ihr, so daß man zuletzt fast sanfte Gewalt anwenden mußte, um sie weiter zu treiben. Uns andern kam diese andächtige Neugier etwas roh vor, die Franciscaner aber versicherten, derlei Leute seyen schon oft dagewesen.

schweigender Theilnahme das kranke Mädchen – recht unbequem dagegen machte sich die wallfahrende Dame aus Frankreich. Nachdem sie einmal ihrer Nerven sicher war, trat sie keck voran, begehrte mit Ungestüm die Wundmale zu schauen und suchte die Hände des Fräuleins auseinander zu zwängen, weil sie auf der innern Fläche deutlicher sind als auf der äußern. Nach diesem zog sie kleine Bildchen heraus, wie man sie in Rom und Loreto kauft, und schenkte etliche der Kranken, worauf diese den Pater Capistran durch ein Zeichen bat, er möge ihr auch ihre Bilderschachtel geben. Darauf tauschten sie beide ihre Kupferstiche und Maria mußte alle diejenigen küssen, die die Französin behielt; auch an die Wundmalen wollte diese sie drücken, weiß aber nicht, ob es gelang. Endlich machte sie mit den beiden Fingern der rechten Hand gegen die Mönche, die kein Französisch verstanden, die Bewegung einer Scheere, um anzudeuten, daß sie etliche Haare von dem schönen Reichthum des Fräuleins abschneiden wollte. Mein Gott, sagte dagegen Pater Capistran, wenn wir dieß erlaubten, hätte sie schon lange kein Härchen mehr im Schopfe. Während wir nun allesammt etwas ärgerlich über diese Begehrlichkeiten am Bette standen, war das Fräulein wieder ecstatisch geworden und lag theilnahmslos mit starren Augen vor uns. Als die reisende Dame den Zustand bemerkte, bat sie um Erlaubniß die Verzückte küssen zu dürfen, und als ihr dieß ungern gestattet worden, drückte sie etliche schnalzende Küsse auf die bleichen Lippen, war auch nur durch entschiedenes Zurückziehen von der Fortsetzung dieser frommen Uebung abzubringen. Ich meinte, das müßte dem Fräulein lästig fallen, allein man entgegnete, sie fühle jetzt nichts und die Frau werde sie sogleich nicht wieder zu sich selber bringen. Es gelang ihr aber dennoch; auf einmal drehte sich Marie herüber, und lächelte ihr wieder anmuthig zu. Endlich als man sich zu gehen anschickte, begehrte jene noch zu bleiben und zwar allein bei ihr, so daß man zuletzt fast sanfte Gewalt anwenden mußte, um sie weiter zu treiben. Uns andern kam diese andächtige Neugier etwas roh vor, die Franciscaner aber versicherten, derlei Leute seyen schon oft dagewesen.

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[393/0397] schweigender Theilnahme das kranke Mädchen – recht unbequem dagegen machte sich die wallfahrende Dame aus Frankreich. Nachdem sie einmal ihrer Nerven sicher war, trat sie keck voran, begehrte mit Ungestüm die Wundmale zu schauen und suchte die Hände des Fräuleins auseinander zu zwängen, weil sie auf der innern Fläche deutlicher sind als auf der äußern. Nach diesem zog sie kleine Bildchen heraus, wie man sie in Rom und Loreto kauft, und schenkte etliche der Kranken, worauf diese den Pater Capistran durch ein Zeichen bat, er möge ihr auch ihre Bilderschachtel geben. Darauf tauschten sie beide ihre Kupferstiche und Maria mußte alle diejenigen küssen, die die Französin behielt; auch an die Wundmalen wollte diese sie drücken, weiß aber nicht, ob es gelang. Endlich machte sie mit den beiden Fingern der rechten Hand gegen die Mönche, die kein Französisch verstanden, die Bewegung einer Scheere, um anzudeuten, daß sie etliche Haare von dem schönen Reichthum des Fräuleins abschneiden wollte. Mein Gott, sagte dagegen Pater Capistran, wenn wir dieß erlaubten, hätte sie schon lange kein Härchen mehr im Schopfe. Während wir nun allesammt etwas ärgerlich über diese Begehrlichkeiten am Bette standen, war das Fräulein wieder ecstatisch geworden und lag theilnahmslos mit starren Augen vor uns. Als die reisende Dame den Zustand bemerkte, bat sie um Erlaubniß die Verzückte küssen zu dürfen, und als ihr dieß ungern gestattet worden, drückte sie etliche schnalzende Küsse auf die bleichen Lippen, war auch nur durch entschiedenes Zurückziehen von der Fortsetzung dieser frommen Uebung abzubringen. Ich meinte, das müßte dem Fräulein lästig fallen, allein man entgegnete, sie fühle jetzt nichts und die Frau werde sie sogleich nicht wieder zu sich selber bringen. Es gelang ihr aber dennoch; auf einmal drehte sich Marie herüber, und lächelte ihr wieder anmuthig zu. Endlich als man sich zu gehen anschickte, begehrte jene noch zu bleiben und zwar allein bei ihr, so daß man zuletzt fast sanfte Gewalt anwenden mußte, um sie weiter zu treiben. Uns andern kam diese andächtige Neugier etwas roh vor, die Franciscaner aber versicherten, derlei Leute seyen schon oft dagewesen.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/397>, abgerufen am 23.11.2024.