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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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zwar die Bänke voll Trinker gewahren, aber durch die offenen Fenster selten ein vernehmbares Wort erfassen können, so leisen Tones halten die Trinker ihre Gespräche ab. Selbst für Ja und Nein haben sie etwas ersonnen, was ihre Aussprache unnöthig macht, und Ja bezeichnen sie, indem sie leise einwärts pfeifen, Nein aber mit einem hellen Schnalzen der Zunge. Sind das die Ueberreste einer uralten Zeichensprache oder die Anfangsgründe einer neuen?

Gesang und Lieder sind unter diesem Volke wenig in Gebrauch, doch hört man hin und wieder eine Zither aus den Fensterchen klingen, die das Reblaub vergittert. Auch sagenreich ist die Gegend nicht, obgleich alte Schlösser anderswo ein guter Hort völksthümlicher Ueberlieferungen sind. Von den Bergmännlein haben sich noch einige Erzählungen erhalten, doch lassen sie sich, wie die Wirthin von Algund behauptet, nimmer sehen, seitdem man nicht mehr an sie glaubt. Sie heißen Norke, Nörkelen, im benachbarten Ultenthale Lorken - ein Name, der eine romanische Erbschaft und von un orco l'orco, dem alten Orcus abzuleiten ist, der bei den Italienern in einen Haus-, Wald- und Berggeist übergegangen. Von diesen wälschbenannten Männchen erzählt man eben dieselben Geschichten, wie von ihren deutschen Gesippten und sie sind auch ganz sicher aus der deutschen Mythologie herausgewachsen. So ist z. B. bei Vernuer ober Riffian eine Norkenhöhle und einer ihrer Bewohner kam einst täglich zu den Bauern um ihnen Korn mahlen zu helfen, verschwand aber, als man ihm zur Belohnung ein neues Röckchen hinlegte. Ebenso verschwand in einem Hause bei Algund ein Nork, der als Knecht gedient hatte, als man ihm an seine Peitsche, die er in den Stall zu hängen pflegte, ein silbernen Thaler gebunden. Diese Männlein haben also ungefähr denselben Humor wie jenes auf der Bärenweid im kleinen Walserthal. Auf der Muttspitze oben haust ein alter Nork, den ein Hirte einmal seufzen hörte: Wie bin ich so grau, wie bin ich so alt - denk den Muttkopf dreimal Wiese und dreimal Wald - eine Elegie, deren Seitenstück einst bei Münster im Unterinnthale vernommen wurde als der Geist der Tegerwiese behauptete, er habe

zwar die Bänke voll Trinker gewahren, aber durch die offenen Fenster selten ein vernehmbares Wort erfassen können, so leisen Tones halten die Trinker ihre Gespräche ab. Selbst für Ja und Nein haben sie etwas ersonnen, was ihre Aussprache unnöthig macht, und Ja bezeichnen sie, indem sie leise einwärts pfeifen, Nein aber mit einem hellen Schnalzen der Zunge. Sind das die Ueberreste einer uralten Zeichensprache oder die Anfangsgründe einer neuen?

Gesang und Lieder sind unter diesem Volke wenig in Gebrauch, doch hört man hin und wieder eine Zither aus den Fensterchen klingen, die das Reblaub vergittert. Auch sagenreich ist die Gegend nicht, obgleich alte Schlösser anderswo ein guter Hort völksthümlicher Ueberlieferungen sind. Von den Bergmännlein haben sich noch einige Erzählungen erhalten, doch lassen sie sich, wie die Wirthin von Algund behauptet, nimmer sehen, seitdem man nicht mehr an sie glaubt. Sie heißen Norke, Nörkelen, im benachbarten Ultenthale Lorken – ein Name, der eine romanische Erbschaft und von un orco l’orco, dem alten Orcus abzuleiten ist, der bei den Italienern in einen Haus-, Wald- und Berggeist übergegangen. Von diesen wälschbenannten Männchen erzählt man eben dieselben Geschichten, wie von ihren deutschen Gesippten und sie sind auch ganz sicher aus der deutschen Mythologie herausgewachsen. So ist z. B. bei Vernuer ober Riffian eine Norkenhöhle und einer ihrer Bewohner kam einst täglich zu den Bauern um ihnen Korn mahlen zu helfen, verschwand aber, als man ihm zur Belohnung ein neues Röckchen hinlegte. Ebenso verschwand in einem Hause bei Algund ein Nork, der als Knecht gedient hatte, als man ihm an seine Peitsche, die er in den Stall zu hängen pflegte, ein silbernen Thaler gebunden. Diese Männlein haben also ungefähr denselben Humor wie jenes auf der Bärenweid im kleinen Walserthal. Auf der Muttspitze oben haust ein alter Nork, den ein Hirte einmal seufzen hörte: Wie bin ich so grau, wie bin ich so alt – denk den Muttkopf dreimal Wiese und dreimal Wald – eine Elegie, deren Seitenstück einst bei Münster im Unterinnthale vernommen wurde als der Geist der Tegerwiese behauptete, er habe

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[318/0322] zwar die Bänke voll Trinker gewahren, aber durch die offenen Fenster selten ein vernehmbares Wort erfassen können, so leisen Tones halten die Trinker ihre Gespräche ab. Selbst für Ja und Nein haben sie etwas ersonnen, was ihre Aussprache unnöthig macht, und Ja bezeichnen sie, indem sie leise einwärts pfeifen, Nein aber mit einem hellen Schnalzen der Zunge. Sind das die Ueberreste einer uralten Zeichensprache oder die Anfangsgründe einer neuen? Gesang und Lieder sind unter diesem Volke wenig in Gebrauch, doch hört man hin und wieder eine Zither aus den Fensterchen klingen, die das Reblaub vergittert. Auch sagenreich ist die Gegend nicht, obgleich alte Schlösser anderswo ein guter Hort völksthümlicher Ueberlieferungen sind. Von den Bergmännlein haben sich noch einige Erzählungen erhalten, doch lassen sie sich, wie die Wirthin von Algund behauptet, nimmer sehen, seitdem man nicht mehr an sie glaubt. Sie heißen Norke, Nörkelen, im benachbarten Ultenthale Lorken – ein Name, der eine romanische Erbschaft und von un orco l’orco, dem alten Orcus abzuleiten ist, der bei den Italienern in einen Haus-, Wald- und Berggeist übergegangen. Von diesen wälschbenannten Männchen erzählt man eben dieselben Geschichten, wie von ihren deutschen Gesippten und sie sind auch ganz sicher aus der deutschen Mythologie herausgewachsen. So ist z. B. bei Vernuer ober Riffian eine Norkenhöhle und einer ihrer Bewohner kam einst täglich zu den Bauern um ihnen Korn mahlen zu helfen, verschwand aber, als man ihm zur Belohnung ein neues Röckchen hinlegte. Ebenso verschwand in einem Hause bei Algund ein Nork, der als Knecht gedient hatte, als man ihm an seine Peitsche, die er in den Stall zu hängen pflegte, ein silbernen Thaler gebunden. Diese Männlein haben also ungefähr denselben Humor wie jenes auf der Bärenweid im kleinen Walserthal. Auf der Muttspitze oben haust ein alter Nork, den ein Hirte einmal seufzen hörte: Wie bin ich so grau, wie bin ich so alt – denk den Muttkopf dreimal Wiese und dreimal Wald – eine Elegie, deren Seitenstück einst bei Münster im Unterinnthale vernommen wurde als der Geist der Tegerwiese behauptete, er habe

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/322>, abgerufen am 23.11.2024.