Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite
Meran und seine Umgebung.


Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet.

Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge

Meran und seine Umgebung.


Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet.

Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0296" n="292"/>
      <div n="1">
        <head>Meran und seine Umgebung.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet.</p>
        <p>Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0296] Meran und seine Umgebung. Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet. Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/296
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/296>, abgerufen am 22.12.2024.