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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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und verlor durch die Blattern schon das Augenlicht als er kaum fünf Jahre alt war, während von dreizehn Geschwistern die er hatte, sieben an der Seuche starben. Von einem Nachbar, der ein Tischler war und die trostlose Langweile des Knaben bemitleidete, in die Werkstätte aufgenommen, machte er sich bald daran kleine Bildwerke nach betasteten Mustern zu schnitzen. Die ersten Versuche gelangen zum Erstaunen gut, und "schon im dreizehnten Jahre brachte der Blinde ein sehenswürdiges Crucifix zu Stande." Nun schnitzte er einen gekreuzigten Heiland, nach dem andern, und diese Beschäftigung gab seinem frommen Gefühle einen solchen Schwung, daß er, um noch auf andere Weise zur größeren Ehre Gottes beizutragen, selbst die Orgel spielen lernte. Darin brachte er es so weit, daß er einmal in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn dreiviertel Jahr hindurch zur vollen Zufriedenheit den Organistendienst versah. Mittlerweile hatte er auch von dem berühmten Bildhauer Nissel in Fügen gehört, begab sich zu ihm, lernte vierzehn Tage von dem Meister und kehrte an mancher Erfahrung reicher wieder nach Hause zurück. Seitdem hat er mit unermüdetem Fleiße und nicht immer frei von Nahrungssorgen noch manches Crucifix und manchen Heiligen geschnitzt. Ein heiliger Franciscus ist in die Ambraser Sammlung zu Wien aufgenommen worden, andere Arbeiten befinden sich im Besitz der Bischöfe von Brixen und von Chur, und wieder andere sind im Lande umher zerstreut. Ein heiliger Johannes von Nepomuk steht an der Heerstraße zu Latsch im Vintschgau.

Zu Nauders thut der Reisende gut sich auf einen langweiligen Weg gefaßt zu machen, auf die Fahrt über die Haide, oder Hoad, wie das Volk spricht, zuerst wohl nur der Name der Thalfläche, jetzt auch der eines Dorfes und mitunter auch des ganzen Straßenzuges, denn der Tiroler setzt zuweilen auch die Straße über die Hoad, sonst die obere genannt, der Straße über den Brenner entgegen. Der höchste Punkt des Weges in der Nähe von Reschen ist 4725 Wiener Fuß über dem Meere und an dieser Stelle ungefähr ist auch die Wasserscheide. Der Stillebach nämlich entspringt in den nahen westlichen Gebirgen und läuft wenige Schritte an einem andern

und verlor durch die Blattern schon das Augenlicht als er kaum fünf Jahre alt war, während von dreizehn Geschwistern die er hatte, sieben an der Seuche starben. Von einem Nachbar, der ein Tischler war und die trostlose Langweile des Knaben bemitleidete, in die Werkstätte aufgenommen, machte er sich bald daran kleine Bildwerke nach betasteten Mustern zu schnitzen. Die ersten Versuche gelangen zum Erstaunen gut, und „schon im dreizehnten Jahre brachte der Blinde ein sehenswürdiges Crucifix zu Stande.“ Nun schnitzte er einen gekreuzigten Heiland, nach dem andern, und diese Beschäftigung gab seinem frommen Gefühle einen solchen Schwung, daß er, um noch auf andere Weise zur größeren Ehre Gottes beizutragen, selbst die Orgel spielen lernte. Darin brachte er es so weit, daß er einmal in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn dreiviertel Jahr hindurch zur vollen Zufriedenheit den Organistendienst versah. Mittlerweile hatte er auch von dem berühmten Bildhauer Nissel in Fügen gehört, begab sich zu ihm, lernte vierzehn Tage von dem Meister und kehrte an mancher Erfahrung reicher wieder nach Hause zurück. Seitdem hat er mit unermüdetem Fleiße und nicht immer frei von Nahrungssorgen noch manches Crucifix und manchen Heiligen geschnitzt. Ein heiliger Franciscus ist in die Ambraser Sammlung zu Wien aufgenommen worden, andere Arbeiten befinden sich im Besitz der Bischöfe von Brixen und von Chur, und wieder andere sind im Lande umher zerstreut. Ein heiliger Johannes von Nepomuk steht an der Heerstraße zu Latsch im Vintschgau.

Zu Nauders thut der Reisende gut sich auf einen langweiligen Weg gefaßt zu machen, auf die Fahrt über die Haide, oder Hoad, wie das Volk spricht, zuerst wohl nur der Name der Thalfläche, jetzt auch der eines Dorfes und mitunter auch des ganzen Straßenzuges, denn der Tiroler setzt zuweilen auch die Straße über die Hoad, sonst die obere genannt, der Straße über den Brenner entgegen. Der höchste Punkt des Weges in der Nähe von Reschen ist 4725 Wiener Fuß über dem Meere und an dieser Stelle ungefähr ist auch die Wasserscheide. Der Stillebach nämlich entspringt in den nahen westlichen Gebirgen und läuft wenige Schritte an einem andern

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[272/0276] und verlor durch die Blattern schon das Augenlicht als er kaum fünf Jahre alt war, während von dreizehn Geschwistern die er hatte, sieben an der Seuche starben. Von einem Nachbar, der ein Tischler war und die trostlose Langweile des Knaben bemitleidete, in die Werkstätte aufgenommen, machte er sich bald daran kleine Bildwerke nach betasteten Mustern zu schnitzen. Die ersten Versuche gelangen zum Erstaunen gut, und „schon im dreizehnten Jahre brachte der Blinde ein sehenswürdiges Crucifix zu Stande.“ Nun schnitzte er einen gekreuzigten Heiland, nach dem andern, und diese Beschäftigung gab seinem frommen Gefühle einen solchen Schwung, daß er, um noch auf andere Weise zur größeren Ehre Gottes beizutragen, selbst die Orgel spielen lernte. Darin brachte er es so weit, daß er einmal in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn dreiviertel Jahr hindurch zur vollen Zufriedenheit den Organistendienst versah. Mittlerweile hatte er auch von dem berühmten Bildhauer Nissel in Fügen gehört, begab sich zu ihm, lernte vierzehn Tage von dem Meister und kehrte an mancher Erfahrung reicher wieder nach Hause zurück. Seitdem hat er mit unermüdetem Fleiße und nicht immer frei von Nahrungssorgen noch manches Crucifix und manchen Heiligen geschnitzt. Ein heiliger Franciscus ist in die Ambraser Sammlung zu Wien aufgenommen worden, andere Arbeiten befinden sich im Besitz der Bischöfe von Brixen und von Chur, und wieder andere sind im Lande umher zerstreut. Ein heiliger Johannes von Nepomuk steht an der Heerstraße zu Latsch im Vintschgau. Zu Nauders thut der Reisende gut sich auf einen langweiligen Weg gefaßt zu machen, auf die Fahrt über die Haide, oder Hoad, wie das Volk spricht, zuerst wohl nur der Name der Thalfläche, jetzt auch der eines Dorfes und mitunter auch des ganzen Straßenzuges, denn der Tiroler setzt zuweilen auch die Straße über die Hoad, sonst die obere genannt, der Straße über den Brenner entgegen. Der höchste Punkt des Weges in der Nähe von Reschen ist 4725 Wiener Fuß über dem Meere und an dieser Stelle ungefähr ist auch die Wasserscheide. Der Stillebach nämlich entspringt in den nahen westlichen Gebirgen und läuft wenige Schritte an einem andern

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/276>, abgerufen am 23.11.2024.