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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale.

Dieses nämliche Engadein, das jetzt den Tirolern so fremd geworden ist, hing übrigens in früheren Zeiten aufs engste mit dem Vintschgau zusammen. Wenn auch die Sachen dieser Gegend von Alters her, als noch Enkel der Grafen des churischen Rhätiens auf der Burg Tirol saßen und unter ihren Erben aus dem Görzischen Hause sehr verwickelt waren, so galt doch in Unterengadein bis Pontalto hinauf tirolische Herrschaft, wogegen dann wieder die Bischöfe von Chur Land und Leute hatten bis in die Gegend von Meran. Damals war auch noch in beiden Thälern romanische Sprache und wohl in den meisten Dingen gleiche Art und Sitte. Als aber im fünfzehnten Jahrhundert die Engadeiner anfingen sich zu den rhätischen Bünden zu neigen, entstanden auch alsbald mit ihren Nachbarn, die zu Oesterreich hielten, blutige Fehden, in welchen jene viel Glück hatten. Im Jahre 1478 brach der Hennenkrieg aus, so benannt, weil die Tiroler geschworen hatten keine engadeinische Henne am Leben zu lassen oder wohl eher, weil die Engadeiner den Hühnerzins verweigerten, welchen die herzoglichen Beamten für die Fastnacht forderten. Schon dieser Krieg, wo die Tiroler, die Roland von Schlandersberg führte, ins Engadein brachen, wo darauf Gebhard Wilhelm, der Stolz von Ramis, den gewaltigen Martihans von Naudersberg unter der brennenden Burg von Tschanuf im Zweikampfe erschlug, schon dieser Streit hatte günstigen Ausgang, und im Jahre 1499 als Kaiser Max, mit den Eidgenossen zerfallen, den letzten Versuch machte die wankenden oder verlorenen

zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale.

Dieses nämliche Engadein, das jetzt den Tirolern so fremd geworden ist, hing übrigens in früheren Zeiten aufs engste mit dem Vintschgau zusammen. Wenn auch die Sachen dieser Gegend von Alters her, als noch Enkel der Grafen des churischen Rhätiens auf der Burg Tirol saßen und unter ihren Erben aus dem Görzischen Hause sehr verwickelt waren, so galt doch in Unterengadein bis Pontalto hinauf tirolische Herrschaft, wogegen dann wieder die Bischöfe von Chur Land und Leute hatten bis in die Gegend von Meran. Damals war auch noch in beiden Thälern romanische Sprache und wohl in den meisten Dingen gleiche Art und Sitte. Als aber im fünfzehnten Jahrhundert die Engadeiner anfingen sich zu den rhätischen Bünden zu neigen, entstanden auch alsbald mit ihren Nachbarn, die zu Oesterreich hielten, blutige Fehden, in welchen jene viel Glück hatten. Im Jahre 1478 brach der Hennenkrieg aus, so benannt, weil die Tiroler geschworen hatten keine engadeinische Henne am Leben zu lassen oder wohl eher, weil die Engadeiner den Hühnerzins verweigerten, welchen die herzoglichen Beamten für die Fastnacht forderten. Schon dieser Krieg, wo die Tiroler, die Roland von Schlandersberg führte, ins Engadein brachen, wo darauf Gebhard Wilhelm, der Stolz von Ramis, den gewaltigen Martihans von Naudersberg unter der brennenden Burg von Tschanuf im Zweikampfe erschlug, schon dieser Streit hatte günstigen Ausgang, und im Jahre 1499 als Kaiser Max, mit den Eidgenossen zerfallen, den letzten Versuch machte die wankenden oder verlorenen

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zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale.</p>
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[269/0273] zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale. Dieses nämliche Engadein, das jetzt den Tirolern so fremd geworden ist, hing übrigens in früheren Zeiten aufs engste mit dem Vintschgau zusammen. Wenn auch die Sachen dieser Gegend von Alters her, als noch Enkel der Grafen des churischen Rhätiens auf der Burg Tirol saßen und unter ihren Erben aus dem Görzischen Hause sehr verwickelt waren, so galt doch in Unterengadein bis Pontalto hinauf tirolische Herrschaft, wogegen dann wieder die Bischöfe von Chur Land und Leute hatten bis in die Gegend von Meran. Damals war auch noch in beiden Thälern romanische Sprache und wohl in den meisten Dingen gleiche Art und Sitte. Als aber im fünfzehnten Jahrhundert die Engadeiner anfingen sich zu den rhätischen Bünden zu neigen, entstanden auch alsbald mit ihren Nachbarn, die zu Oesterreich hielten, blutige Fehden, in welchen jene viel Glück hatten. Im Jahre 1478 brach der Hennenkrieg aus, so benannt, weil die Tiroler geschworen hatten keine engadeinische Henne am Leben zu lassen oder wohl eher, weil die Engadeiner den Hühnerzins verweigerten, welchen die herzoglichen Beamten für die Fastnacht forderten. Schon dieser Krieg, wo die Tiroler, die Roland von Schlandersberg führte, ins Engadein brachen, wo darauf Gebhard Wilhelm, der Stolz von Ramis, den gewaltigen Martihans von Naudersberg unter der brennenden Burg von Tschanuf im Zweikampfe erschlug, schon dieser Streit hatte günstigen Ausgang, und im Jahre 1499 als Kaiser Max, mit den Eidgenossen zerfallen, den letzten Versuch machte die wankenden oder verlorenen

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/273>, abgerufen am 23.11.2024.