Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau.

Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber.

An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre - den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen Mordenau, sondern den ganz unschuldigen Martinau. Freilich steht da ein altes Schwert

Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau.

Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber.

An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre – den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen Mordenau, sondern den ganz unschuldigen Martinau. Freilich steht da ein altes Schwert

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="17"/>
Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau.</p>
        <p>Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber.</p>
        <p>An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre &#x2013; den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen <hi rendition="#g">Mordenau</hi>, sondern den ganz unschuldigen <hi rendition="#g">Martinau</hi>. Freilich steht da ein altes Schwert
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0022] Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau. Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber. An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre – den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen Mordenau, sondern den ganz unschuldigen Martinau. Freilich steht da ein altes Schwert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/22
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/22>, abgerufen am 23.11.2024.