Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. Der Lech, ungemein frisch und munter, schlingt seine blauen Arme um die zahlreichen Sandbänke, mit denen sein Bett eingelegt ist. Anfangs füllen Straße, schmaler Rain und Fluß das Thal aus, von welchem waldige Halden schroff in die Höhe steigen - allmählig aber öffnet sich ein erquickender Einblick in das innere Gelände, das uns in heiterer Bergpracht willkommen heißt. Die Kirche von Vils erhebt sich aus dem Tannengebüsche und verräth den Ort, wo das kleinste Städtchen Tirols mit kaum sechshundert Einwohnern sich geschämig verbirgt. Weite Wiesbreiten füllen den Thalgrund, heimliche gebirglerische Wohnhäuser stehen am Wege, von den Halden tönen Heerdenglocken und von den Berghöhen locken stille grüne Alpenweiden. Die blau und weißen, die gelb und schwarzen Gränzpfähle, an denen wir vorübergegangen, scheiden auch in manchen Stücken Sitte, Tracht und Sprache um so mehr, weil sie auch Gebirg und Ebene scheiden. Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber "fein." Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler. Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. Seit Hohenschwangau wieder ein Wallfahrtsort geworden, ist auch Reute während der schönen Jahreszeit mit Fremden angefüllt. Die große Tour aller Hochzeitreisenden aus Schwaben geht seit mehreren Jahren über Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. Der Lech, ungemein frisch und munter, schlingt seine blauen Arme um die zahlreichen Sandbänke, mit denen sein Bett eingelegt ist. Anfangs füllen Straße, schmaler Rain und Fluß das Thal aus, von welchem waldige Halden schroff in die Höhe steigen – allmählig aber öffnet sich ein erquickender Einblick in das innere Gelände, das uns in heiterer Bergpracht willkommen heißt. Die Kirche von Vils erhebt sich aus dem Tannengebüsche und verräth den Ort, wo das kleinste Städtchen Tirols mit kaum sechshundert Einwohnern sich geschämig verbirgt. Weite Wiesbreiten füllen den Thalgrund, heimliche gebirglerische Wohnhäuser stehen am Wege, von den Halden tönen Heerdenglocken und von den Berghöhen locken stille grüne Alpenweiden. Die blau und weißen, die gelb und schwarzen Gränzpfähle, an denen wir vorübergegangen, scheiden auch in manchen Stücken Sitte, Tracht und Sprache um so mehr, weil sie auch Gebirg und Ebene scheiden. Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber „fein." Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler. Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. Seit Hohenschwangau wieder ein Wallfahrtsort geworden, ist auch Reute während der schönen Jahreszeit mit Fremden angefüllt. Die große Tour aller Hochzeitreisenden aus Schwaben geht seit mehreren Jahren über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0016" n="11"/> <p>Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. 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Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber „fein." Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler.</p> <p>Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. 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Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. Der Lech, ungemein frisch und munter, schlingt seine blauen Arme um die zahlreichen Sandbänke, mit denen sein Bett eingelegt ist. Anfangs füllen Straße, schmaler Rain und Fluß das Thal aus, von welchem waldige Halden schroff in die Höhe steigen – allmählig aber öffnet sich ein erquickender Einblick in das innere Gelände, das uns in heiterer Bergpracht willkommen heißt. Die Kirche von Vils erhebt sich aus dem Tannengebüsche und verräth den Ort, wo das kleinste Städtchen Tirols mit kaum sechshundert Einwohnern sich geschämig verbirgt. Weite Wiesbreiten füllen den Thalgrund, heimliche gebirglerische Wohnhäuser stehen am Wege, von den Halden tönen Heerdenglocken und von den Berghöhen locken stille grüne Alpenweiden. Die blau und weißen, die gelb und schwarzen Gränzpfähle, an denen wir vorübergegangen, scheiden auch in manchen Stücken Sitte, Tracht und Sprache um so mehr, weil sie auch Gebirg und Ebene scheiden. Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber „fein." Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler.
Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. Seit Hohenschwangau wieder ein Wallfahrtsort geworden, ist auch Reute während der schönen Jahreszeit mit Fremden angefüllt. Die große Tour aller Hochzeitreisenden aus Schwaben geht seit mehreren Jahren über
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