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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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dann folgen einzelne zerstreute Notizen unter verschiedenen Aufschriften, als: von Kirchen, Capellen, Bruderschaften und frommen Stiftungen, von starken, von alten Leuten, von solchen, welche die fünfzigjährige Hochzeit gehalten; von wohlfeilen und theuren Jahren, von Geistergeschichten, von Feuersbrünsten, Wasser- und Lawinenschäden u. s. w. Von diesen Nachrichten haben wir uns manche ausgezogen und lassen hier nun einige folgen. Da indessen die Chronik, seit wir sie in Händen gehabt, mit Zusätzen von Dr. Joseph Zangerl, k. k. Hofarzte in Wien, dem Sohne des Chronisten, gedruckt worden ist und zwar im zehnten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, so werden wir uns mitunter auch an den so vermehrten Text halten.

"Ischgl und Galthür und was dazwischen liegt und sonst dazu gehört, waren vor Jahrhunderten in Engadeinische Pfarren eingethan." Das Gedächtniß dieser kirchlichen Verbindung ist noch unter den Leuten lebendig. In Galthür erzählte mir ein weißhaariger Greis, sein Dorf, dessen Kirche die älteste im Thale, sey ehedem nach Steinsberg "pfärrig" gewesen, was die Romanschen Ardez heißen, und bei Ischgl sagte mir ein andrer Alter, die Ischgler hätten ehemals nach Sins gehört. Galthür wurde im 14ten, Ischgl erst im 15ten Jahrhundert mit eigenem Seelsorger versehen, da der sonntägliche Kirchgang über die Gletscherwildnisse, die das Thal umschließen, in das Gotteshaus der Pfarre, das eine Tagreise entfernt war, den Leuten zu beschwerlich wurde. Ehe da eigene Kirchhöfe geweiht worden, mußten sogar die Leichen über die Gletscher getragen werden, um in heiliger Erde zur Ruhe zu kommen. Im Winter ließ man sie lediglich gefrieren und harrte bis der Paß sich wieder geöffnet - ein Verfahren, das nicht allein im Paznaun, sondern ebenso Jahrhunderte hindurch in einer großen Anzahl von Gemeinden des rhätischen Hochgebirgs üblich war. Das alte Band, das die Innerpaznauner an die Engadeiner knüpfte, war übrigens trotz der Kirchenspaltung und des Sprachwechsels noch bis ins letzte Jahrhundert zu gewahren. Noch bis dahin ging, wie wir schon gehört, ein viel betretener Handelsweg aus dem ladinischen Lande nach dem Innthale durch

dann folgen einzelne zerstreute Notizen unter verschiedenen Aufschriften, als: von Kirchen, Capellen, Bruderschaften und frommen Stiftungen, von starken, von alten Leuten, von solchen, welche die fünfzigjährige Hochzeit gehalten; von wohlfeilen und theuren Jahren, von Geistergeschichten, von Feuersbrünsten, Wasser- und Lawinenschäden u. s. w. Von diesen Nachrichten haben wir uns manche ausgezogen und lassen hier nun einige folgen. Da indessen die Chronik, seit wir sie in Händen gehabt, mit Zusätzen von Dr. Joseph Zangerl, k. k. Hofarzte in Wien, dem Sohne des Chronisten, gedruckt worden ist und zwar im zehnten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, so werden wir uns mitunter auch an den so vermehrten Text halten.

„Ischgl und Galthür und was dazwischen liegt und sonst dazu gehört, waren vor Jahrhunderten in Engadeinische Pfarren eingethan.“ Das Gedächtniß dieser kirchlichen Verbindung ist noch unter den Leuten lebendig. In Galthür erzählte mir ein weißhaariger Greis, sein Dorf, dessen Kirche die älteste im Thale, sey ehedem nach Steinsberg „pfärrig“ gewesen, was die Romanschen Ardez heißen, und bei Ischgl sagte mir ein andrer Alter, die Ischgler hätten ehemals nach Sins gehört. Galthür wurde im 14ten, Ischgl erst im 15ten Jahrhundert mit eigenem Seelsorger versehen, da der sonntägliche Kirchgang über die Gletscherwildnisse, die das Thal umschließen, in das Gotteshaus der Pfarre, das eine Tagreise entfernt war, den Leuten zu beschwerlich wurde. Ehe da eigene Kirchhöfe geweiht worden, mußten sogar die Leichen über die Gletscher getragen werden, um in heiliger Erde zur Ruhe zu kommen. Im Winter ließ man sie lediglich gefrieren und harrte bis der Paß sich wieder geöffnet – ein Verfahren, das nicht allein im Paznaun, sondern ebenso Jahrhunderte hindurch in einer großen Anzahl von Gemeinden des rhätischen Hochgebirgs üblich war. Das alte Band, das die Innerpaznauner an die Engadeiner knüpfte, war übrigens trotz der Kirchenspaltung und des Sprachwechsels noch bis ins letzte Jahrhundert zu gewahren. Noch bis dahin ging, wie wir schon gehört, ein viel betretener Handelsweg aus dem ladinischen Lande nach dem Innthale durch

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[133/0138] dann folgen einzelne zerstreute Notizen unter verschiedenen Aufschriften, als: von Kirchen, Capellen, Bruderschaften und frommen Stiftungen, von starken, von alten Leuten, von solchen, welche die fünfzigjährige Hochzeit gehalten; von wohlfeilen und theuren Jahren, von Geistergeschichten, von Feuersbrünsten, Wasser- und Lawinenschäden u. s. w. Von diesen Nachrichten haben wir uns manche ausgezogen und lassen hier nun einige folgen. Da indessen die Chronik, seit wir sie in Händen gehabt, mit Zusätzen von Dr. Joseph Zangerl, k. k. Hofarzte in Wien, dem Sohne des Chronisten, gedruckt worden ist und zwar im zehnten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, so werden wir uns mitunter auch an den so vermehrten Text halten. „Ischgl und Galthür und was dazwischen liegt und sonst dazu gehört, waren vor Jahrhunderten in Engadeinische Pfarren eingethan.“ Das Gedächtniß dieser kirchlichen Verbindung ist noch unter den Leuten lebendig. In Galthür erzählte mir ein weißhaariger Greis, sein Dorf, dessen Kirche die älteste im Thale, sey ehedem nach Steinsberg „pfärrig“ gewesen, was die Romanschen Ardez heißen, und bei Ischgl sagte mir ein andrer Alter, die Ischgler hätten ehemals nach Sins gehört. Galthür wurde im 14ten, Ischgl erst im 15ten Jahrhundert mit eigenem Seelsorger versehen, da der sonntägliche Kirchgang über die Gletscherwildnisse, die das Thal umschließen, in das Gotteshaus der Pfarre, das eine Tagreise entfernt war, den Leuten zu beschwerlich wurde. Ehe da eigene Kirchhöfe geweiht worden, mußten sogar die Leichen über die Gletscher getragen werden, um in heiliger Erde zur Ruhe zu kommen. Im Winter ließ man sie lediglich gefrieren und harrte bis der Paß sich wieder geöffnet – ein Verfahren, das nicht allein im Paznaun, sondern ebenso Jahrhunderte hindurch in einer großen Anzahl von Gemeinden des rhätischen Hochgebirgs üblich war. Das alte Band, das die Innerpaznauner an die Engadeiner knüpfte, war übrigens trotz der Kirchenspaltung und des Sprachwechsels noch bis ins letzte Jahrhundert zu gewahren. Noch bis dahin ging, wie wir schon gehört, ein viel betretener Handelsweg aus dem ladinischen Lande nach dem Innthale durch

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/138>, abgerufen am 27.11.2024.