Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt. Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt - wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma's, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen.*) Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht's an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf *) Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.
das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt. Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt – wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma’s, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen.*) Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht’s an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf *) Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.
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das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt.
Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt – wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma’s, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen. *)
Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht’s an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf
*) Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.
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