indem im Hintergrunde seines Geistes ein unorganischer Theil der Natur einem organischen gegenübersteht, ist folgender.
Wenn man, wie Becker in seiner Unklarheit thut, den Unterschied organischer und unorganischer Wesen in der Na- tur, todter und lebender, verwischt, und das All organisch, lebend sein läßt, so hat man in Wahrheit nicht alles für die Anschauung belebt, sondern getödtet. Oben sahen wir, daß Becker den Tod aus dem All gestrichen hat; er hat vielmehr das Leben gestrichen; denn nur was stirbt, lebt. Wenn er das All organisch nennt, so kann er die Grundbestimmung des Or- ganismus und seine wesentlichsten Merkmale nur dem Punkte entlehnen, der allen Dingen gemeinsam ist -- und heißt das nicht das Leben zum Tod herabsetzen, wenn man es wesentlich von derselben Seite wie den Tod auffaßt? -- Wenn nun Becker als Grundbestimmung des Organismus den Zweck hervorhebt, so haben wir oben schon gesehen, in welche Verlegenheiten und Verwirrungen ihn dieser zu weite und zu enge Begriff führte, und werden das falsche Wesen dieses Begriffs bei Becker bald noch gründlicher kennen lernen. Daß er mit den Merkmalen der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit sogar in die causale Betrachtung fällt, daß das des Natürlichen abermals zu eng und zu weit und nichtssagend ist, haben wir ebenfalls schon gesehen und werden wir bald noch mehr sehen. Hier aber wollen wir besonders das Merkmal des Gegensatzes als den oben bezeich- neten wahrhaft zerstörenden Fehler betrachten. Dieses Merkmal nämlich ist wesentlich dem Erdorganismus, also wie wir jetzt wissen, dem Reiche des Unorganischen entlehnt, dem Reiche, wo die Kräfte in voller Einseitigkeit wirken und in ihrer Ver- einzelung, wie sie eben sind, dem Zwecke genügen, wo die Zweckbetrachtung noch keinen Raum hat, die reine Ursächlich- keit herrscht. Polarität ist die Gliederung dieser elementar- sten Kräfte, und somit der Gegensatz die elementarste, also ab- stracteste Form der Besonderung. Wir nennen dieses gabelför- mige Spalten in Gegensätze eben nur Besonderung, nicht etwa Gliederung, Entwickelung, welche wir ausschließlich für das engere Leben aufbewahren, wie für den Geist. Diese Polarität aber, der Gegensatz, ist bei Becker die einzige Weise der Besonderung, und sie gerade ist der Tod aller organischen Glie- derung und Entwickelung. -- Indem Becker den Gegensatz zum Charakter des organischen Lebens macht, wird ihm dieses
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indem im Hintergrunde seines Geistes ein unorganischer Theil der Natur einem organischen gegenübersteht, ist folgender.
Wenn man, wie Becker in seiner Unklarheit thut, den Unterschied organischer und unorganischer Wesen in der Na- tur, todter und lebender, verwischt, und das All organisch, lebend sein läßt, so hat man in Wahrheit nicht alles für die Anschauung belebt, sondern getödtet. Oben sahen wir, daß Becker den Tod aus dem All gestrichen hat; er hat vielmehr das Leben gestrichen; denn nur was stirbt, lebt. Wenn er das All organisch nennt, so kann er die Grundbestimmung des Or- ganismus und seine wesentlichsten Merkmale nur dem Punkte entlehnen, der allen Dingen gemeinsam ist — und heißt das nicht das Leben zum Tod herabsetzen, wenn man es wesentlich von derselben Seite wie den Tod auffaßt? — Wenn nun Becker als Grundbestimmung des Organismus den Zweck hervorhebt, so haben wir oben schon gesehen, in welche Verlegenheiten und Verwirrungen ihn dieser zu weite und zu enge Begriff führte, und werden das falsche Wesen dieses Begriffs bei Becker bald noch gründlicher kennen lernen. Daß er mit den Merkmalen der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit sogar in die causale Betrachtung fällt, daß das des Natürlichen abermals zu eng und zu weit und nichtssagend ist, haben wir ebenfalls schon gesehen und werden wir bald noch mehr sehen. Hier aber wollen wir besonders das Merkmal des Gegensatzes als den oben bezeich- neten wahrhaft zerstörenden Fehler betrachten. Dieses Merkmal nämlich ist wesentlich dem Erdorganismus, also wie wir jetzt wissen, dem Reiche des Unorganischen entlehnt, dem Reiche, wo die Kräfte in voller Einseitigkeit wirken und in ihrer Ver- einzelung, wie sie eben sind, dem Zwecke genügen, wo die Zweckbetrachtung noch keinen Raum hat, die reine Ursächlich- keit herrscht. Polarität ist die Gliederung dieser elementar- sten Kräfte, und somit der Gegensatz die elementarste, also ab- stracteste Form der Besonderung. Wir nennen dieses gabelför- mige Spalten in Gegensätze eben nur Besonderung, nicht etwa Gliederung, Entwickelung, welche wir ausschließlich für das engere Leben aufbewahren, wie für den Geist. Diese Polarität aber, der Gegensatz, ist bei Becker die einzige Weise der Besonderung, und sie gerade ist der Tod aller organischen Glie- derung und Entwickelung. — Indem Becker den Gegensatz zum Charakter des organischen Lebens macht, wird ihm dieses
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indem im Hintergrunde seines Geistes ein unorganischer Theil
der Natur einem organischen gegenübersteht, ist folgender.
Wenn man, wie Becker in seiner Unklarheit thut, den
Unterschied organischer und unorganischer Wesen in der Na-
tur, todter und lebender, verwischt, und das All organisch,
lebend sein läßt, so hat man in Wahrheit nicht alles für die
Anschauung belebt, sondern getödtet. Oben sahen wir, daß
Becker den Tod aus dem All gestrichen hat; er hat vielmehr
das Leben gestrichen; denn nur was stirbt, lebt. Wenn er das
All organisch nennt, so kann er die Grundbestimmung des Or-
ganismus und seine wesentlichsten Merkmale nur dem Punkte
entlehnen, der allen Dingen gemeinsam ist — und heißt das
nicht das Leben zum Tod herabsetzen, wenn man es wesentlich
von derselben Seite wie den Tod auffaßt? — Wenn nun Becker
als Grundbestimmung des Organismus den Zweck hervorhebt,
so haben wir oben schon gesehen, in welche Verlegenheiten und
Verwirrungen ihn dieser zu weite und zu enge Begriff führte,
und werden das falsche Wesen dieses Begriffs bei Becker bald
noch gründlicher kennen lernen. Daß er mit den Merkmalen
der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit sogar in die causale
Betrachtung fällt, daß das des Natürlichen abermals zu eng und
zu weit und nichtssagend ist, haben wir ebenfalls schon gesehen
und werden wir bald noch mehr sehen. Hier aber wollen wir
besonders das Merkmal des Gegensatzes als den oben bezeich-
neten wahrhaft zerstörenden Fehler betrachten. Dieses Merkmal
nämlich ist wesentlich dem Erdorganismus, also wie wir jetzt
wissen, dem Reiche des Unorganischen entlehnt, dem Reiche,
wo die Kräfte in voller Einseitigkeit wirken und in ihrer Ver-
einzelung, wie sie eben sind, dem Zwecke genügen, wo die
Zweckbetrachtung noch keinen Raum hat, die reine Ursächlich-
keit herrscht. Polarität ist die Gliederung dieser elementar-
sten Kräfte, und somit der Gegensatz die elementarste, also ab-
stracteste Form der Besonderung. Wir nennen dieses gabelför-
mige Spalten in Gegensätze eben nur Besonderung, nicht etwa
Gliederung, Entwickelung, welche wir ausschließlich für das
engere Leben aufbewahren, wie für den Geist. Diese Polarität
aber, der Gegensatz, ist bei Becker die einzige Weise der
Besonderung, und sie gerade ist der Tod aller organischen Glie-
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zum Charakter des organischen Lebens macht, wird ihm dieses
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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