Nachdem wir die Principien der Grammatik festgestellt ha- ben, wollen wir noch die Hauptpunkte derselben näher erörtern. Und so nun vor Allem Einiges über
a) die Lautlehre.
Wenn es schon überhaupt nicht unsere Absicht ist, hier ausführlich auf Einzelheiten einzugehen, so sind wir dessen für die Betrachtung der Lautseite der Sprache um so mehr über- hoben, als wir auf die schöne Abhandlung Heyses verweisen können: "System der Sprachlaute" (in Höfers Zeitschrift f. d. Wissensch. d. Spr. IV, 1. 1852; leider besitzen wir desselben vortrefflichen Sprachforschers philosophische Sprachwissenschaft noch immer nicht). Nur einige allgemeine Bemerkungen haben wir hier zu machen, zu denen uns die genannte Abhandlung veranlaßt.
§. 120. Von der Articulation im Allgemeinen.
Wir unterscheiden mit unserm Gehör die Sprachlaute sehr bestimmt und in mannigfacher Weise. Der Ton ist aber, wie die Farbe u. s. w., lediglich ein Product unserer Seele. Aeu- ßerlich, mechanisch, ist nur die Schwingung eines Körpers vor- handen, die sich dem uns umgebenden Elemente, also gewöhn- lich der Luft, mittheilt und dadurch endlich auf unsere Gehör- nerven fortpflanzt. Was nun aber in der Seele bei der Bildung des Tones, der Farbe, bei der Umwandlung der bloß quantita- tiven Bewegungen in eine qualitative, raumlose, einheitliche Em- pfindung vorgeht? warum die Seele auf Veranlassung gewisser materieller Bewegungen ihrer Leiblichkeit gerade diese oder jene bestimmte Empfindung erzeugt? das wissen wir nicht; nur die Bedingungen, die der Seele von der äußern Welt und dem ei- genen Leibe gegeben sein müssen, um jene Gehör- und Gesichts- wahrnehmungen zu bilden, sind Gegenstand der Wissenschaft.
Diese Bedingungen aber sind oft nicht vollständig bekannt; sondern wir sehen bloß die ferner liegenden Ursachen. So wis- sen wir also z. B., welche mechanischen Verhältnisse überhaupt die Seele zur Bildung des Tons erregen, also Töne erzeugen; wir wissen auch weiter, wodurch diejenige Eigenschaft der Ton- empfindung bedingt wird, welche wir als bestimmten Grad der Höhe und Tiefe, der Stärke oder Schwäche unterscheiden.
2. Hauptpunkte der Grammatik.
Nachdem wir die Principien der Grammatik festgestellt ha- ben, wollen wir noch die Hauptpunkte derselben näher erörtern. Und so nun vor Allem Einiges über
a) die Lautlehre.
Wenn es schon überhaupt nicht unsere Absicht ist, hier ausführlich auf Einzelheiten einzugehen, so sind wir dessen für die Betrachtung der Lautseite der Sprache um so mehr über- hoben, als wir auf die schöne Abhandlung Heyses verweisen können: „System der Sprachlaute“ (in Höfers Zeitschrift f. d. Wissensch. d. Spr. IV, 1. 1852; leider besitzen wir desselben vortrefflichen Sprachforschers philosophische Sprachwissenschaft noch immer nicht). Nur einige allgemeine Bemerkungen haben wir hier zu machen, zu denen uns die genannte Abhandlung veranlaßt.
§. 120. Von der Articulation im Allgemeinen.
Wir unterscheiden mit unserm Gehör die Sprachlaute sehr bestimmt und in mannigfacher Weise. Der Ton ist aber, wie die Farbe u. s. w., lediglich ein Product unserer Seele. Aeu- ßerlich, mechanisch, ist nur die Schwingung eines Körpers vor- handen, die sich dem uns umgebenden Elemente, also gewöhn- lich der Luft, mittheilt und dadurch endlich auf unsere Gehör- nerven fortpflanzt. Was nun aber in der Seele bei der Bildung des Tones, der Farbe, bei der Umwandlung der bloß quantita- tiven Bewegungen in eine qualitative, raumlose, einheitliche Em- pfindung vorgeht? warum die Seele auf Veranlassung gewisser materieller Bewegungen ihrer Leiblichkeit gerade diese oder jene bestimmte Empfindung erzeugt? das wissen wir nicht; nur die Bedingungen, die der Seele von der äußern Welt und dem ei- genen Leibe gegeben sein müssen, um jene Gehör- und Gesichts- wahrnehmungen zu bilden, sind Gegenstand der Wissenschaft.
Diese Bedingungen aber sind oft nicht vollständig bekannt; sondern wir sehen bloß die ferner liegenden Ursachen. So wis- sen wir also z. B., welche mechanischen Verhältnisse überhaupt die Seele zur Bildung des Tons erregen, also Töne erzeugen; wir wissen auch weiter, wodurch diejenige Eigenschaft der Ton- empfindung bedingt wird, welche wir als bestimmten Grad der Höhe und Tiefe, der Stärke oder Schwäche unterscheiden.
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2. Hauptpunkte der Grammatik.
Nachdem wir die Principien der Grammatik festgestellt ha-
ben, wollen wir noch die Hauptpunkte derselben näher erörtern.
Und so nun vor Allem Einiges über
a) die Lautlehre.
Wenn es schon überhaupt nicht unsere Absicht ist, hier
ausführlich auf Einzelheiten einzugehen, so sind wir dessen für
die Betrachtung der Lautseite der Sprache um so mehr über-
hoben, als wir auf die schöne Abhandlung Heyses verweisen
können: „System der Sprachlaute“ (in Höfers Zeitschrift f. d.
Wissensch. d. Spr. IV, 1. 1852; leider besitzen wir desselben
vortrefflichen Sprachforschers philosophische Sprachwissenschaft
noch immer nicht). Nur einige allgemeine Bemerkungen haben
wir hier zu machen, zu denen uns die genannte Abhandlung
veranlaßt.
§. 120. Von der Articulation im Allgemeinen.
Wir unterscheiden mit unserm Gehör die Sprachlaute sehr
bestimmt und in mannigfacher Weise. Der Ton ist aber, wie
die Farbe u. s. w., lediglich ein Product unserer Seele. Aeu-
ßerlich, mechanisch, ist nur die Schwingung eines Körpers vor-
handen, die sich dem uns umgebenden Elemente, also gewöhn-
lich der Luft, mittheilt und dadurch endlich auf unsere Gehör-
nerven fortpflanzt. Was nun aber in der Seele bei der Bildung
des Tones, der Farbe, bei der Umwandlung der bloß quantita-
tiven Bewegungen in eine qualitative, raumlose, einheitliche Em-
pfindung vorgeht? warum die Seele auf Veranlassung gewisser
materieller Bewegungen ihrer Leiblichkeit gerade diese oder jene
bestimmte Empfindung erzeugt? das wissen wir nicht; nur die
Bedingungen, die der Seele von der äußern Welt und dem ei-
genen Leibe gegeben sein müssen, um jene Gehör- und Gesichts-
wahrnehmungen zu bilden, sind Gegenstand der Wissenschaft.
Diese Bedingungen aber sind oft nicht vollständig bekannt;
sondern wir sehen bloß die ferner liegenden Ursachen. So wis-
sen wir also z. B., welche mechanischen Verhältnisse überhaupt
die Seele zur Bildung des Tons erregen, also Töne erzeugen;
wir wissen auch weiter, wodurch diejenige Eigenschaft der Ton-
empfindung bedingt wird, welche wir als bestimmten Grad der
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/386>, abgerufen am 22.11.2024.
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