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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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chemische Verbindung zweier einfachen Körper (des Sauerstoffes
und Wasserstoffes) nach bestimmten Aequivalenten, durch wel-
che derjenige zusammengesetzte Körper entsteht, den man Was-
ser
nennt, die Eigenschaft der Adhäsion habe, welche das Queck-
silber z. B. nicht hat. Spricht er den Satz aus: das Wasser
ist flüssig:
so liegt darin ein Urtheil, welches wohl weiß, daß
Flüssig-sein kein wesentliches Element des Wassers ist, und er
wird dabei vielmehr an Temperatur und Luftdruck denken. Für
diese logischen Urtheile nun und diese Begriffe dient die Vor-
stellung des gemeinen Lebens, wie sie im Worte und im Satze
liegt, gerade eben so als eine gewisse Stütze, wie ehemals die
innere Sprachform der Vorstellung als Stütze diente. Wie dem
instinctiven Selbstbewußtsein zum Festhalten der Vorstellung
des Wassers (unda, udor von der Wurzel und fließen) die An-
schauung des Flüssigen diente, zum Festhalten der Vorstellung
naß (madere, Wurzel sna waschen) die Anschauung des Gewa-
schenen
: eben so dient dem wissenschaftlichen Selbstbewußtsein
zur Fixirung des Begriffes Wasser, naß, die gemeine Vorstel-
lung davon. Wie verschieden ist der naturwissenschaftliche Be-
griff Feuer von der gemeinen Vorstellung, die im Feuer ein wun-
derliches, die Dinge verzehrendes und dann spurlos verschwin-
dendes Wesen sieht! Diese Vorstellung dient dem Begriffe zur
Stütze, wie ursprünglich der Vorstellung die sprachliche An-
schauung des Reinen (Feuer, pur, Wurzel pu reinigen) diente.

Der Unterschied zwischen dem Urtheil der Vorstellung oder
dem psychologischen und dem des Begriffs oder dem logischen
besteht ebenso darin, daß jenes allemal nur assertorisch, dieses
dagegen apodictisch ist oder zu werden strebt. "Cäsar ist über
den Rubicon gegangen" kann wohl ein Urtheil des Begriffs
sein, wenn es eben Glied einer philosophisch-geschichtlichen An-
schauung von Cäsars Leben ist, Glied eines Systems von Ur-
theilen, welche die Idee Cäsar umfaßt. Als Urtheil der Vor-
stellung bedeutet jener Satz nur eine vereinzelte That. Daß
aber das Urtheil der innern Sprachform, also der Satz, noch
etwas anderes sei, als das Urtheil der Vorstellung und des Be-
griffs; daß das grammatische Urtheil weder das gemeine psy-
chologische der Vorstellung, noch das logische des Begriffs ist:
geht daraus hervor, daß derselbe Inhalt in eine andre Satzform
gegossen werden kann, ohne eine Veränderung zu erleiden. "Cä-
sar hat den Rubicon überschritten", oder "ist über den R. ge-

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chemische Verbindung zweier einfachen Körper (des Sauerstoffes
und Wasserstoffes) nach bestimmten Aequivalenten, durch wel-
che derjenige zusammengesetzte Körper entsteht, den man Was-
ser
nennt, die Eigenschaft der Adhäsion habe, welche das Queck-
silber z. B. nicht hat. Spricht er den Satz aus: das Wasser
ist flüssig:
so liegt darin ein Urtheil, welches wohl weiß, daß
Flüssig-sein kein wesentliches Element des Wassers ist, und er
wird dabei vielmehr an Temperatur und Luftdruck denken. Für
diese logischen Urtheile nun und diese Begriffe dient die Vor-
stellung des gemeinen Lebens, wie sie im Worte und im Satze
liegt, gerade eben so als eine gewisse Stütze, wie ehemals die
innere Sprachform der Vorstellung als Stütze diente. Wie dem
instinctiven Selbstbewußtsein zum Festhalten der Vorstellung
des Wassers (unda, ὕδωϱ von der Wurzel und fließen) die An-
schauung des Flüssigen diente, zum Festhalten der Vorstellung
naß (madere, Wurzel snā waschen) die Anschauung des Gewa-
schenen
: eben so dient dem wissenschaftlichen Selbstbewußtsein
zur Fixirung des Begriffes Wasser, naß, die gemeine Vorstel-
lung davon. Wie verschieden ist der naturwissenschaftliche Be-
griff Feuer von der gemeinen Vorstellung, die im Feuer ein wun-
derliches, die Dinge verzehrendes und dann spurlos verschwin-
dendes Wesen sieht! Diese Vorstellung dient dem Begriffe zur
Stütze, wie ursprünglich der Vorstellung die sprachliche An-
schauung des Reinen (Feuer, πῦϱ, Wurzel reinigen) diente.

Der Unterschied zwischen dem Urtheil der Vorstellung oder
dem psychologischen und dem des Begriffs oder dem logischen
besteht ebenso darin, daß jenes allemal nur assertorisch, dieses
dagegen apodictisch ist oder zu werden strebt. „Cäsar ist über
den Rubicon gegangen“ kann wohl ein Urtheil des Begriffs
sein, wenn es eben Glied einer philosophisch-geschichtlichen An-
schauung von Cäsars Leben ist, Glied eines Systems von Ur-
theilen, welche die Idee Cäsar umfaßt. Als Urtheil der Vor-
stellung bedeutet jener Satz nur eine vereinzelte That. Daß
aber das Urtheil der innern Sprachform, also der Satz, noch
etwas anderes sei, als das Urtheil der Vorstellung und des Be-
griffs; daß das grammatische Urtheil weder das gemeine psy-
chologische der Vorstellung, noch das logische des Begriffs ist:
geht daraus hervor, daß derselbe Inhalt in eine andre Satzform
gegossen werden kann, ohne eine Veränderung zu erleiden. „Cä-
sar hat den Rubicon überschritten“, oder „ist über den R. ge-

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[339/0377] chemische Verbindung zweier einfachen Körper (des Sauerstoffes und Wasserstoffes) nach bestimmten Aequivalenten, durch wel- che derjenige zusammengesetzte Körper entsteht, den man Was- ser nennt, die Eigenschaft der Adhäsion habe, welche das Queck- silber z. B. nicht hat. Spricht er den Satz aus: das Wasser ist flüssig: so liegt darin ein Urtheil, welches wohl weiß, daß Flüssig-sein kein wesentliches Element des Wassers ist, und er wird dabei vielmehr an Temperatur und Luftdruck denken. Für diese logischen Urtheile nun und diese Begriffe dient die Vor- stellung des gemeinen Lebens, wie sie im Worte und im Satze liegt, gerade eben so als eine gewisse Stütze, wie ehemals die innere Sprachform der Vorstellung als Stütze diente. Wie dem instinctiven Selbstbewußtsein zum Festhalten der Vorstellung des Wassers (unda, ὕδωϱ von der Wurzel und fließen) die An- schauung des Flüssigen diente, zum Festhalten der Vorstellung naß (madere, Wurzel snā waschen) die Anschauung des Gewa- schenen: eben so dient dem wissenschaftlichen Selbstbewußtsein zur Fixirung des Begriffes Wasser, naß, die gemeine Vorstel- lung davon. Wie verschieden ist der naturwissenschaftliche Be- griff Feuer von der gemeinen Vorstellung, die im Feuer ein wun- derliches, die Dinge verzehrendes und dann spurlos verschwin- dendes Wesen sieht! Diese Vorstellung dient dem Begriffe zur Stütze, wie ursprünglich der Vorstellung die sprachliche An- schauung des Reinen (Feuer, πῦϱ, Wurzel pū reinigen) diente. Der Unterschied zwischen dem Urtheil der Vorstellung oder dem psychologischen und dem des Begriffs oder dem logischen besteht ebenso darin, daß jenes allemal nur assertorisch, dieses dagegen apodictisch ist oder zu werden strebt. „Cäsar ist über den Rubicon gegangen“ kann wohl ein Urtheil des Begriffs sein, wenn es eben Glied einer philosophisch-geschichtlichen An- schauung von Cäsars Leben ist, Glied eines Systems von Ur- theilen, welche die Idee Cäsar umfaßt. Als Urtheil der Vor- stellung bedeutet jener Satz nur eine vereinzelte That. Daß aber das Urtheil der innern Sprachform, also der Satz, noch etwas anderes sei, als das Urtheil der Vorstellung und des Be- griffs; daß das grammatische Urtheil weder das gemeine psy- chologische der Vorstellung, noch das logische des Begriffs ist: geht daraus hervor, daß derselbe Inhalt in eine andre Satzform gegossen werden kann, ohne eine Veränderung zu erleiden. „Cä- sar hat den Rubicon überschritten“, oder „ist über den R. ge- 22*

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/377>, abgerufen am 22.11.2024.