einem Schlage -- eine sehr bedeutende Erkenntniß gewonnen. So wird oft der größte Fortschritt in der Erkenntniß der Dinge dadurch gemacht, daß ihnen der rechte Name gegeben wird.
Wie sehr endlich in dem eigentlichen Kreise der hohen Ab- stractionen fein geschiedene Synonyma das Denken anregen und befruchten: daran soll nur kurz erinnert werden.
Wahr aber bleibt Herbarts Schlußbemerkung: "Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung anpreisen, und das discur- sive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben insofern nicht ganz Unrecht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, daß jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte herauszuarbei- ten verstünden. Gäbe es eine intellectuale Anschauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich sein. Gerade dieselbe Eigen- schaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem dis- cursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen bedürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden; aber der Vortrag, der alle diese Worte auf einen langen Faden reiht, ist nicht das Wissen selbst, welches in beinahe unge- theilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählich ausgebildeten Gedanken trägt und festhält." Diese Worte eines der klarsten, ich möchte sagen, discursivsten Denker erinnern mich an eine Aeußerung Mozarts, wonach er Musik, deren We- sen doch auf der Zeitfolge zu beruhen scheint, sich zeitlos, dauernd gegenwärtig, wie ein Bild, vorstellt, also in "ungetheil- ter Ueberschauung". Mozart nämlich schreibt: "Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken strom- weis und am besten ... Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang, so daß ich's hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild, oder einen hübschen Menschen, im Geist über- sehe, und es auch gar nicht nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, son- dern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmaus! Alles das Finden und Machen geht in mir nun wie in einem
einem Schlage — eine sehr bedeutende Erkenntniß gewonnen. So wird oft der größte Fortschritt in der Erkenntniß der Dinge dadurch gemacht, daß ihnen der rechte Name gegeben wird.
Wie sehr endlich in dem eigentlichen Kreise der hohen Ab- stractionen fein geschiedene Synonyma das Denken anregen und befruchten: daran soll nur kurz erinnert werden.
Wahr aber bleibt Herbarts Schlußbemerkung: „Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung anpreisen, und das discur- sive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben insofern nicht ganz Unrecht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, daß jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte herauszuarbei- ten verstünden. Gäbe es eine intellectuale Anschauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich sein. Gerade dieselbe Eigen- schaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem dis- cursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen bedürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden; aber der Vortrag, der alle diese Worte auf einen langen Faden reiht, ist nicht das Wissen selbst, welches in beinahe unge- theilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählich ausgebildeten Gedanken trägt und festhält.“ Diese Worte eines der klarsten, ich möchte sagen, discursivsten Denker erinnern mich an eine Aeußerung Mozarts, wonach er Musik, deren We- sen doch auf der Zeitfolge zu beruhen scheint, sich zeitlos, dauernd gegenwärtig, wie ein Bild, vorstellt, also in „ungetheil- ter Ueberschauung“. Mozart nämlich schreibt: „Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken strom- weis und am besten … Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang, so daß ich’s hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild, oder einen hübschen Menschen, im Geist über- sehe, und es auch gar nicht nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, son- dern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmaus! Alles das Finden und Machen geht in mir nun wie in einem
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einem Schlage — eine sehr bedeutende Erkenntniß gewonnen.
So wird oft der größte Fortschritt in der Erkenntniß der Dinge
dadurch gemacht, daß ihnen der rechte Name gegeben wird.
Wie sehr endlich in dem eigentlichen Kreise der hohen Ab-
stractionen fein geschiedene Synonyma das Denken anregen und
befruchten: daran soll nur kurz erinnert werden.
Wahr aber bleibt Herbarts Schlußbemerkung: „Diejenigen,
welche die intellectuale Anschauung anpreisen, und das discur-
sive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben
insofern nicht ganz Unrecht, als das Kleben am Symbol, wenn
man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt,
und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen,
daß jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte herauszuarbei-
ten verstünden. Gäbe es eine intellectuale Anschauung: so würde
ihr Angeschautes unaussprechlich sein. Gerade dieselbe Eigen-
schaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem dis-
cursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger
Forschungen bedürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden;
aber der Vortrag, der alle diese Worte auf einen langen Faden
reiht, ist nicht das Wissen selbst, welches in beinahe unge-
theilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählich
ausgebildeten Gedanken trägt und festhält.“ Diese Worte eines
der klarsten, ich möchte sagen, discursivsten Denker erinnern
mich an eine Aeußerung Mozarts, wonach er Musik, deren We-
sen doch auf der Zeitfolge zu beruhen scheint, sich zeitlos,
dauernd gegenwärtig, wie ein Bild, vorstellt, also in „ungetheil-
ter Ueberschauung“. Mozart nämlich schreibt: „Wenn ich recht
für mich bin und guter Dinge etwa auf Reisen im Wagen, oder
nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn
ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken strom-
weis und am besten … Das erhitzt mir nun die Seele, wenn
ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und
ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird
im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang, so daß ich’s
hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes
Bild, oder einen hübschen Menschen, im Geist über-
sehe, und es auch gar nicht nach einander, wie es
hernach kommen muß, in der Einbildung höre, son-
dern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmaus!
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/374>, abgerufen am 18.12.2024.
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