insofern sie nun Subject ist, wird sie leer und unbestimmt hin- gestellt; durch jedes Prädicat aber, welches sie gewinnt, nimmt sie zu an Inhalt und Klarheit. Die Vorstellung, insofern sie die Anschauung ist, ist die Bedeutung des Wortes. Das Wort wird aber durch die vielfachen Urtheile, in denen es angewandt wird, immer reicher an Bedeutung; sein Sinn wird immer feiner und bestimmter. Die Vorstellung ist also die sich aufklärende und immer mehr ihre wesentlichen Bestimmungen entfaltende Anschauung. Tritt aber die Vorstellung im Satze auf als Sub- ject, von dem im Prädicate etwas erkannt wird: so vertritt sie eben nur die Stelle der Anschauung, läßt ihren Inhalt bei Seite und wirkt als Null. Die Vorstellung als Subject ist eine nackte Bettlerin, der das Almosen des Prädicates gegeben wird; sie ist aber nur eine verstellte Bettlerin, die zu Hause im Verborgenen einen reichen Schatz von Prädicaten besitzt. Dieser Schatz ist die Bedeutung des Wortes.
Die Wörter sind Benennungen der Dinge oder Anschauun- gen; durch die Wörter werden uns die Anschauungen überlie- fert, durch Wörter halten wir die selbständig gebildeten An- schauungen fest. Kann es denn nun wohl für unser Denken gleichgültig sein, wie reich die mit dem Worte gegebene Vor- stellung an Inhalt, an Bedeutung ist? oder ist es gleichgültig, welche Prädicate wir als Bedeutung an die Wörter hängen? Die Wörter sind die Vorstellungen, d. h. die Beziehungen unseres Bewußtseins auf die Dinge; und es soll gleichgültig sein, was in diesen Beziehungen gegeben ist? Die Sprache ist also ge- radezu das Bindeglied zwischen unserm Denken und der Außen- welt, eine geistige Hand, die Dinge zu erfassen -- denn so er- fassen, begreifen wir zunächst die Dinge und Begriffe, wie das Wort sie vorstellt -- und dieses Seelenorgan soll unserm Be- wußtsein gleichgültig, unserm Denken ein Ballast sein?
Man sieht z. B. etwas, und fragt: was ist das? ein Thier wird geantwortet. Vor dieser Antwort sah man doch schon eine gewisse Gestalt, Größe, Farbe; hat man nun durch diese Ant- wort keinen weitern Zuwachs erlangt, als einen Lautballast? Al- les was man sieht oder überhaupt wahrnimmt, ist eine Anschau- ung. Indem man das Wort dazu erhält, gewinnt man die Er- kenntniß der Art, Gattung u. s. w. kurz des Allgemeinen, zu dem jene Anschauung gehört. Und ist die Bedeutung des Wor- tes recht scharf bestimmt, so hat man durch das Wort -- mit
insofern sie nun Subject ist, wird sie leer und unbestimmt hin- gestellt; durch jedes Prädicat aber, welches sie gewinnt, nimmt sie zu an Inhalt und Klarheit. Die Vorstellung, insofern sie die Anschauung ist, ist die Bedeutung des Wortes. Das Wort wird aber durch die vielfachen Urtheile, in denen es angewandt wird, immer reicher an Bedeutung; sein Sinn wird immer feiner und bestimmter. Die Vorstellung ist also die sich aufklärende und immer mehr ihre wesentlichen Bestimmungen entfaltende Anschauung. Tritt aber die Vorstellung im Satze auf als Sub- ject, von dem im Prädicate etwas erkannt wird: so vertritt sie eben nur die Stelle der Anschauung, läßt ihren Inhalt bei Seite und wirkt als Null. Die Vorstellung als Subject ist eine nackte Bettlerin, der das Almosen des Prädicates gegeben wird; sie ist aber nur eine verstellte Bettlerin, die zu Hause im Verborgenen einen reichen Schatz von Prädicaten besitzt. Dieser Schatz ist die Bedeutung des Wortes.
Die Wörter sind Benennungen der Dinge oder Anschauun- gen; durch die Wörter werden uns die Anschauungen überlie- fert, durch Wörter halten wir die selbständig gebildeten An- schauungen fest. Kann es denn nun wohl für unser Denken gleichgültig sein, wie reich die mit dem Worte gegebene Vor- stellung an Inhalt, an Bedeutung ist? oder ist es gleichgültig, welche Prädicate wir als Bedeutung an die Wörter hängen? Die Wörter sind die Vorstellungen, d. h. die Beziehungen unseres Bewußtseins auf die Dinge; und es soll gleichgültig sein, was in diesen Beziehungen gegeben ist? Die Sprache ist also ge- radezu das Bindeglied zwischen unserm Denken und der Außen- welt, eine geistige Hand, die Dinge zu erfassen — denn so er- fassen, begreifen wir zunächst die Dinge und Begriffe, wie das Wort sie vorstellt — und dieses Seelenorgan soll unserm Be- wußtsein gleichgültig, unserm Denken ein Ballast sein?
Man sieht z. B. etwas, und fragt: was ist das? ein Thier wird geantwortet. Vor dieser Antwort sah man doch schon eine gewisse Gestalt, Größe, Farbe; hat man nun durch diese Ant- wort keinen weitern Zuwachs erlangt, als einen Lautballast? Al- les was man sieht oder überhaupt wahrnimmt, ist eine Anschau- ung. Indem man das Wort dazu erhält, gewinnt man die Er- kenntniß der Art, Gattung u. s. w. kurz des Allgemeinen, zu dem jene Anschauung gehört. Und ist die Bedeutung des Wor- tes recht scharf bestimmt, so hat man durch das Wort — mit
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insofern sie nun Subject ist, wird sie leer und unbestimmt hin-
gestellt; durch jedes Prädicat aber, welches sie gewinnt, nimmt
sie zu an Inhalt und Klarheit. Die Vorstellung, insofern sie
die Anschauung ist, ist die Bedeutung des Wortes. Das Wort
wird aber durch die vielfachen Urtheile, in denen es angewandt
wird, immer reicher an Bedeutung; sein Sinn wird immer feiner
und bestimmter. Die Vorstellung ist also die sich aufklärende
und immer mehr ihre wesentlichen Bestimmungen entfaltende
Anschauung. Tritt aber die Vorstellung im Satze auf als Sub-
ject, von dem im Prädicate etwas erkannt wird: so vertritt sie
eben nur die Stelle der Anschauung, läßt ihren Inhalt bei Seite
und wirkt als Null. Die Vorstellung als Subject ist eine nackte
Bettlerin, der das Almosen des Prädicates gegeben wird; sie ist
aber nur eine verstellte Bettlerin, die zu Hause im Verborgenen
einen reichen Schatz von Prädicaten besitzt. Dieser Schatz ist
die Bedeutung des Wortes.
Die Wörter sind Benennungen der Dinge oder Anschauun-
gen; durch die Wörter werden uns die Anschauungen überlie-
fert, durch Wörter halten wir die selbständig gebildeten An-
schauungen fest. Kann es denn nun wohl für unser Denken
gleichgültig sein, wie reich die mit dem Worte gegebene Vor-
stellung an Inhalt, an Bedeutung ist? oder ist es gleichgültig,
welche Prädicate wir als Bedeutung an die Wörter hängen? Die
Wörter sind die Vorstellungen, d. h. die Beziehungen unseres
Bewußtseins auf die Dinge; und es soll gleichgültig sein, was
in diesen Beziehungen gegeben ist? Die Sprache ist also ge-
radezu das Bindeglied zwischen unserm Denken und der Außen-
welt, eine geistige Hand, die Dinge zu erfassen — denn so er-
fassen, begreifen wir zunächst die Dinge und Begriffe, wie das
Wort sie vorstellt — und dieses Seelenorgan soll unserm Be-
wußtsein gleichgültig, unserm Denken ein Ballast sein?
Man sieht z. B. etwas, und fragt: was ist das? ein Thier
wird geantwortet. Vor dieser Antwort sah man doch schon eine
gewisse Gestalt, Größe, Farbe; hat man nun durch diese Ant-
wort keinen weitern Zuwachs erlangt, als einen Lautballast? Al-
les was man sieht oder überhaupt wahrnimmt, ist eine Anschau-
ung. Indem man das Wort dazu erhält, gewinnt man die Er-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/373>, abgerufen am 18.12.2024.
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