ist das Urtheil der Anschauung; der Satz aber behandelt das Wort gerade eben so, wie dieses die Anschauung behandelt hat, d. h. wenn das Wort Vorstellung ist, so ist der Satz Vor- stellung der Vorstellung. Das Subject ist die Vorstellung, welche unter einer andern, dem Prädicate, aufgefaßt wird; eben so ist das Attribut die Vorstellung, als welche die Vorstellung des Substantivs vorgestellt wird, und ferner ist das Object das, was an der Vorstellung der Thätigkeit vorgestellt, erkannt wird. Hören wir hierüber noch den alten Kant (Kritik der reinen Ver- nunft, Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt, Ausg. v. Hartenstein 1853. S. 99): "Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgend eine andere Vorstellung von demselben (sie sei An- schauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Ur- theil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesen vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in dem Urtheile: alle Körper sind theilbar der Begriff des Theilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen, dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgestellt."
Ueber der Aehnlichkeit dieser Stelle Kants mit unserer Darstellung aber werden wir die Verschiedenheit nicht überse- hen. Bei Kant "ist Denken die Erkenntniß durch Begriffe", und der Verstand ist ein besonderes "Vermögen zu urtheilen"; der Begriff aber nichts als "das Prädicat zu einem möglichen Urtheile". Das ist aber alles höchst einseitig und willkürlich. Bei Trendelenburg sind umgekehrt gerade die Subjecte der Ur- theile die Begriffe. Die Begriffe können als Subject und als Prädicat stehen, und in diesem wie in jenem Falle beziehen sie sich nicht mehr und nicht weniger auf einen Gegenstand. -- Verstand ferner ist kein besonderes Vermögen; Urtheilen ist nicht die besondere Thätigkeit eines besondern Vermögens; und Denken ist nicht bloß Erkenntniß durch Begriffe, d. h. durch Urtheile. -- Kant unterscheidet Anschauung und Begriff, wie
ist das Urtheil der Anschauung; der Satz aber behandelt das Wort gerade eben so, wie dieses die Anschauung behandelt hat, d. h. wenn das Wort Vorstellung ist, so ist der Satz Vor- stellung der Vorstellung. Das Subject ist die Vorstellung, welche unter einer andern, dem Prädicate, aufgefaßt wird; eben so ist das Attribut die Vorstellung, als welche die Vorstellung des Substantivs vorgestellt wird, und ferner ist das Object das, was an der Vorstellung der Thätigkeit vorgestellt, erkannt wird. Hören wir hierüber noch den alten Kant (Kritik der reinen Ver- nunft, Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt, Ausg. v. Hartenstein 1853. S. 99): „Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgend eine andere Vorstellung von demselben (sie sei An- schauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Ur- theil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesen vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in dem Urtheile: alle Körper sind theilbar der Begriff des Theilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen, dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgestellt.“
Ueber der Aehnlichkeit dieser Stelle Kants mit unserer Darstellung aber werden wir die Verschiedenheit nicht überse- hen. Bei Kant „ist Denken die Erkenntniß durch Begriffe“, und der Verstand ist ein besonderes „Vermögen zu urtheilen“; der Begriff aber nichts als „das Prädicat zu einem möglichen Urtheile“. Das ist aber alles höchst einseitig und willkürlich. Bei Trendelenburg sind umgekehrt gerade die Subjecte der Ur- theile die Begriffe. Die Begriffe können als Subject und als Prädicat stehen, und in diesem wie in jenem Falle beziehen sie sich nicht mehr und nicht weniger auf einen Gegenstand. — Verstand ferner ist kein besonderes Vermögen; Urtheilen ist nicht die besondere Thätigkeit eines besondern Vermögens; und Denken ist nicht bloß Erkenntniß durch Begriffe, d. h. durch Urtheile. — Kant unterscheidet Anschauung und Begriff, wie
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ist das Urtheil der Anschauung; der Satz aber behandelt das
Wort gerade eben so, wie dieses die Anschauung behandelt hat,
d. h. wenn das Wort Vorstellung ist, so ist der Satz Vor-
stellung der Vorstellung. Das Subject ist die Vorstellung,
welche unter einer andern, dem Prädicate, aufgefaßt wird; eben
so ist das Attribut die Vorstellung, als welche die Vorstellung
des Substantivs vorgestellt wird, und ferner ist das Object das,
was an der Vorstellung der Thätigkeit vorgestellt, erkannt wird.
Hören wir hierüber noch den alten Kant (Kritik der reinen Ver-
nunft, Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt, Ausg.
v. Hartenstein 1853. S. 99): „Da keine Vorstellung unmittelbar
auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird
ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern
auf irgend eine andere Vorstellung von demselben (sie sei An-
schauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urtheil ist
also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die
Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Ur-
theil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesen vielen
auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann
auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich
z. B. in dem Urtheile: alle Körper sind theilbar der Begriff des
Theilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber
wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen,
dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also
werden diese Gegenstände durch den Begriff der Theilbarkeit
mittelbar vorgestellt.“
Ueber der Aehnlichkeit dieser Stelle Kants mit unserer
Darstellung aber werden wir die Verschiedenheit nicht überse-
hen. Bei Kant „ist Denken die Erkenntniß durch Begriffe“,
und der Verstand ist ein besonderes „Vermögen zu urtheilen“;
der Begriff aber nichts als „das Prädicat zu einem möglichen
Urtheile“. Das ist aber alles höchst einseitig und willkürlich.
Bei Trendelenburg sind umgekehrt gerade die Subjecte der Ur-
theile die Begriffe. Die Begriffe können als Subject und als
Prädicat stehen, und in diesem wie in jenem Falle beziehen sie
sich nicht mehr und nicht weniger auf einen Gegenstand. —
Verstand ferner ist kein besonderes Vermögen; Urtheilen ist
nicht die besondere Thätigkeit eines besondern Vermögens; und
Denken ist nicht bloß Erkenntniß durch Begriffe, d. h. durch
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/367>, abgerufen am 18.12.2024.
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