erwarteten; z. B. Feuer! Land! Der Feind! Der König! Carl! Man könnte dies auch Erkennungssätze nennen. Das psycholo- gische Ereigniß, das hier vorliegt, ist einfach. Bei der gegen- wärtigen Anschauung tritt die ganze in einander verschmolzene und verwirrte Masse der gleichartigen schon vergangenen, aber von der Seele aufbewahrten Anschauungen hervor, und die neue verschmilzt mit den alten. Diese Verschmelzung heißt eben Er- kennen. An die alte Masse verwirrter Anschauungen ist das Wort geknüpft. Die Aufnahme der neuen Anschauung in die alte Masse, das Erkennen, spricht sich dadurch aus, daß der Name, welcher an die letztere geknüpft ist und mit ihr hervor- tritt, auf jene übertragen wird. So wird das Wort gewisserma- ßen ein Netz, welches die Seele auswirft, um die neue An- schauung einzufangen.
Und so kann ich mir den Anfang der Sprache nicht an- ders denken, als durch Benennung der Dinge, welche freilich noch keine Substantiva giebt. Wenn Becker meint, Verba hät- ten den Anfang der Sprache gebildet, so verkennt er das Wesen der Verba, wie alle sprachliche Entwickelung. Trendelenburg erkennt an (II, S. 146.), daß die Wurzel weder Substantivum, noch Verbum ist; meint aber dennoch: "Wenn man die ersten Wörter wieder auffinden könnte, so müßten sie schon einen vol- len Gedanken enthalten; denn dahin drängt die Seele. Dem Ver- bum allein ist dieser ""Act des synthetischen Setzens"" als grammatische Function beigegeben ... Daher werden die An- fänge der Sprache in den Verben liegen." Aber von "gramma- tischer Function" ist eben hier noch gar nichts zu finden. Tren- delenburg setzt hinzu: "Will man noch in der Sprache von der Benennung ausgehen und daher die Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge für das Erste erklären: so verfährt man äußerlich." Dieser Vorwurf trifft die alten Grammatiker, nicht unsere obige Darstellung. Denn nach dieser handelt es sich nicht um eine "Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge," zu welcher der Mensch, man weiß nicht, wodurch? veranlaßt würde, sondern um ein Erkennen. Daher billigen wir, was Trendelenburg hinzusetzt: "Selbst die Sprachentwickelung in dem Kinde kann nicht als Analogie" (für jene alte Ansicht) "angeführt werden. Sind die ersten Wörter des Kindes nur Namen? Freilich erscheinen sie isolirt. Aber schon sind sie ein Satz. Die Kinder sprechen mit feinem Sinne dasjenige Wort
erwarteten; z. B. Feuer! Land! Der Feind! Der König! Carl! Man könnte dies auch Erkennungssätze nennen. Das psycholo- gische Ereigniß, das hier vorliegt, ist einfach. Bei der gegen- wärtigen Anschauung tritt die ganze in einander verschmolzene und verwirrte Masse der gleichartigen schon vergangenen, aber von der Seele aufbewahrten Anschauungen hervor, und die neue verschmilzt mit den alten. Diese Verschmelzung heißt eben Er- kennen. An die alte Masse verwirrter Anschauungen ist das Wort geknüpft. Die Aufnahme der neuen Anschauung in die alte Masse, das Erkennen, spricht sich dadurch aus, daß der Name, welcher an die letztere geknüpft ist und mit ihr hervor- tritt, auf jene übertragen wird. So wird das Wort gewisserma- ßen ein Netz, welches die Seele auswirft, um die neue An- schauung einzufangen.
Und so kann ich mir den Anfang der Sprache nicht an- ders denken, als durch Benennung der Dinge, welche freilich noch keine Substantiva giebt. Wenn Becker meint, Verba hät- ten den Anfang der Sprache gebildet, so verkennt er das Wesen der Verba, wie alle sprachliche Entwickelung. Trendelenburg erkennt an (II, S. 146.), daß die Wurzel weder Substantivum, noch Verbum ist; meint aber dennoch: „Wenn man die ersten Wörter wieder auffinden könnte, so müßten sie schon einen vol- len Gedanken enthalten; denn dahin drängt die Seele. Dem Ver- bum allein ist dieser „„Act des synthetischen Setzens““ als grammatische Function beigegeben … Daher werden die An- fänge der Sprache in den Verben liegen.“ Aber von „gramma- tischer Function“ ist eben hier noch gar nichts zu finden. Tren- delenburg setzt hinzu: „Will man noch in der Sprache von der Benennung ausgehen und daher die Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge für das Erste erklären: so verfährt man äußerlich.“ Dieser Vorwurf trifft die alten Grammatiker, nicht unsere obige Darstellung. Denn nach dieser handelt es sich nicht um eine „Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen Dinge,“ zu welcher der Mensch, man weiß nicht, wodurch? veranlaßt würde, sondern um ein Erkennen. Daher billigen wir, was Trendelenburg hinzusetzt: „Selbst die Sprachentwickelung in dem Kinde kann nicht als Analogie“ (für jene alte Ansicht) „angeführt werden. Sind die ersten Wörter des Kindes nur Namen? Freilich erscheinen sie isolirt. Aber schon sind sie ein Satz. Die Kinder sprechen mit feinem Sinne dasjenige Wort
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erwarteten; z. B. Feuer! Land! Der Feind! Der König! Carl!
Man könnte dies auch Erkennungssätze nennen. Das psycholo-
gische Ereigniß, das hier vorliegt, ist einfach. Bei der gegen-
wärtigen Anschauung tritt die ganze in einander verschmolzene
und verwirrte Masse der gleichartigen schon vergangenen, aber
von der Seele aufbewahrten Anschauungen hervor, und die neue
verschmilzt mit den alten. Diese Verschmelzung heißt eben Er-
kennen. An die alte Masse verwirrter Anschauungen ist das
Wort geknüpft. Die Aufnahme der neuen Anschauung in die
alte Masse, das Erkennen, spricht sich dadurch aus, daß der
Name, welcher an die letztere geknüpft ist und mit ihr hervor-
tritt, auf jene übertragen wird. So wird das Wort gewisserma-
ßen ein Netz, welches die Seele auswirft, um die neue An-
schauung einzufangen.
Und so kann ich mir den Anfang der Sprache nicht an-
ders denken, als durch Benennung der Dinge, welche freilich
noch keine Substantiva giebt. Wenn Becker meint, Verba hät-
ten den Anfang der Sprache gebildet, so verkennt er das Wesen
der Verba, wie alle sprachliche Entwickelung. Trendelenburg
erkennt an (II, S. 146.), daß die Wurzel weder Substantivum,
noch Verbum ist; meint aber dennoch: „Wenn man die ersten
Wörter wieder auffinden könnte, so müßten sie schon einen vol-
len Gedanken enthalten; denn dahin drängt die Seele. Dem Ver-
bum allein ist dieser „„Act des synthetischen Setzens““ als
grammatische Function beigegeben … Daher werden die An-
fänge der Sprache in den Verben liegen.“ Aber von „gramma-
tischer Function“ ist eben hier noch gar nichts zu finden. Tren-
delenburg setzt hinzu: „Will man noch in der Sprache von der
Benennung ausgehen und daher die Namengebung der ruhenden,
abgeschlossenen Dinge für das Erste erklären: so verfährt man
äußerlich.“ Dieser Vorwurf trifft die alten Grammatiker, nicht
unsere obige Darstellung. Denn nach dieser handelt es sich
nicht um eine „Namengebung der ruhenden, abgeschlossenen
Dinge,“ zu welcher der Mensch, man weiß nicht, wodurch?
veranlaßt würde, sondern um ein Erkennen. Daher billigen wir,
was Trendelenburg hinzusetzt: „Selbst die Sprachentwickelung
in dem Kinde kann nicht als Analogie“ (für jene alte Ansicht)
„angeführt werden. Sind die ersten Wörter des Kindes nur
Namen? Freilich erscheinen sie isolirt. Aber schon sind sie ein
Satz. Die Kinder sprechen mit feinem Sinne dasjenige Wort
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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