stens errathen werden; auf das Errathen aber kann der Spre- chende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage nun den "(Herbartischen)" Weg ein; d. h. man ent- schlage sich des ungereimten Gedankens, und setze dessen Ge- gentheil an die Stelle. Die ersten Mittheilungen also geschahen entweder nicht absichtlich, oder nicht durch willkürliche Zei- chen; sie waren nicht Sprache. Gleichwohl verstand man ein- ander; und glaubte sich verstanden. Dies errieth man aus dem zusammenstimmenden Handeln, welches den gemeinsamen Ge- danken gemäß war; es konnte aber leicht zusammenstimmen, wenn man unter gleichen Umständen gleiche Bedürfnisse hatte. Die Naturlaute, oder zufälligen Aeußerungen bei Gelegenheit des gemeinsamen Handelns, reproducirten sich bei jedem in wie- derkehrender Lage, riefen jedem den nämlichen Gedanken zu- rück, und waren mit Erwartung eines ähnlichen gemeinsamen Handelns von beiden Seiten ohne weiteres Fragen und Zweifeln verknüpft." (So weit ist der große Denker unverkennbar; im Folgenden ist er es weniger.) "Wie es zugehe, daß Einer den Andern verstehe; und ob er wohl verstehen oder mißverstehen werde? das wurde nicht gefragt noch bedacht" (aber wir fragen und bedenken das); "sondern das Handeln war es, worauf, ohne alles Denken an das Denken des Andern, die Erwartung und die Aufmerksamkeit sich richtete. Blieb nun aber das er- wartete Handeln des Andern aus, dann legte man mehr Anstren- gung in den damit complicirten Laut." Als wenn eine mir fremde Sprache dadurch verständlich für mich würde, daß man sie mir in die Ohren schreit! Die Meinung des Volkes ist dies allerdings. Denn so wie Mißverständniß eintritt oder Verständ- niß ausbleibt, so giebt es Zank und Schlägerei -- und der Thurm- bau von Babel ist gestört. Herbart fährt fort: "Da fing die Absichtlichkeit des Sprechens an"; also da, wo das Verständniß ausblieb; absichtliche Mittheilung konnte ja aber noch weniger verstanden werden! Das Folgende lassen wir aus Ehrfurcht vor dem großen Denker ganz weg.
Wir haben also in unserer Darstellung den entgegengesetz- ten Weg eingeschlagen. Nicht Mittheilung, sondern das Selbst- bewußtsein ist Quell der Sprache. Das Bedürfniß zur Mitthei- lung würde nie zur Sprache führen; aber die Sprache, im Gange der Entwickelung der individuellen Seele einmal entsprungen,
stens errathen werden; auf das Errathen aber kann der Spre- chende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage nun den „(Herbartischen)“ Weg ein; d. h. man ent- schlage sich des ungereimten Gedankens, und setze dessen Ge- gentheil an die Stelle. Die ersten Mittheilungen also geschahen entweder nicht absichtlich, oder nicht durch willkürliche Zei- chen; sie waren nicht Sprache. Gleichwohl verstand man ein- ander; und glaubte sich verstanden. Dies errieth man aus dem zusammenstimmenden Handeln, welches den gemeinsamen Ge- danken gemäß war; es konnte aber leicht zusammenstimmen, wenn man unter gleichen Umständen gleiche Bedürfnisse hatte. Die Naturlaute, oder zufälligen Aeußerungen bei Gelegenheit des gemeinsamen Handelns, reproducirten sich bei jedem in wie- derkehrender Lage, riefen jedem den nämlichen Gedanken zu- rück, und waren mit Erwartung eines ähnlichen gemeinsamen Handelns von beiden Seiten ohne weiteres Fragen und Zweifeln verknüpft.“ (So weit ist der große Denker unverkennbar; im Folgenden ist er es weniger.) „Wie es zugehe, daß Einer den Andern verstehe; und ob er wohl verstehen oder mißverstehen werde? das wurde nicht gefragt noch bedacht“ (aber wir fragen und bedenken das); „sondern das Handeln war es, worauf, ohne alles Denken an das Denken des Andern, die Erwartung und die Aufmerksamkeit sich richtete. Blieb nun aber das er- wartete Handeln des Andern aus, dann legte man mehr Anstren- gung in den damit complicirten Laut.“ Als wenn eine mir fremde Sprache dadurch verständlich für mich würde, daß man sie mir in die Ohren schreit! Die Meinung des Volkes ist dies allerdings. Denn so wie Mißverständniß eintritt oder Verständ- niß ausbleibt, so giebt es Zank und Schlägerei — und der Thurm- bau von Babel ist gestört. Herbart fährt fort: „Da fing die Absichtlichkeit des Sprechens an“; also da, wo das Verständniß ausblieb; absichtliche Mittheilung konnte ja aber noch weniger verstanden werden! Das Folgende lassen wir aus Ehrfurcht vor dem großen Denker ganz weg.
Wir haben also in unserer Darstellung den entgegengesetz- ten Weg eingeschlagen. Nicht Mittheilung, sondern das Selbst- bewußtsein ist Quell der Sprache. Das Bedürfniß zur Mitthei- lung würde nie zur Sprache führen; aber die Sprache, im Gange der Entwickelung der individuellen Seele einmal entsprungen,
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stens errathen werden; auf das Errathen aber kann der Spre-
chende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung,
diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise.
Man schlage nun den „(Herbartischen)“ Weg ein; d. h. man ent-
schlage sich des ungereimten Gedankens, und setze dessen Ge-
gentheil an die Stelle. Die ersten Mittheilungen also geschahen
entweder nicht absichtlich, oder nicht durch willkürliche Zei-
chen; sie waren nicht Sprache. Gleichwohl verstand man ein-
ander; und glaubte sich verstanden. Dies errieth man aus dem
zusammenstimmenden Handeln, welches den gemeinsamen Ge-
danken gemäß war; es konnte aber leicht zusammenstimmen,
wenn man unter gleichen Umständen gleiche Bedürfnisse hatte.
Die Naturlaute, oder zufälligen Aeußerungen bei Gelegenheit
des gemeinsamen Handelns, reproducirten sich bei jedem in wie-
derkehrender Lage, riefen jedem den nämlichen Gedanken zu-
rück, und waren mit Erwartung eines ähnlichen gemeinsamen
Handelns von beiden Seiten ohne weiteres Fragen und Zweifeln
verknüpft.“ (So weit ist der große Denker unverkennbar; im
Folgenden ist er es weniger.) „Wie es zugehe, daß Einer den
Andern verstehe; und ob er wohl verstehen oder mißverstehen
werde? das wurde nicht gefragt noch bedacht“ (aber wir fragen
und bedenken das); „sondern das Handeln war es, worauf, ohne
alles Denken an das Denken des Andern, die Erwartung
und die Aufmerksamkeit sich richtete. Blieb nun aber das er-
wartete Handeln des Andern aus, dann legte man mehr Anstren-
gung in den damit complicirten Laut.“ Als wenn eine mir
fremde Sprache dadurch verständlich für mich würde, daß man
sie mir in die Ohren schreit! Die Meinung des Volkes ist dies
allerdings. Denn so wie Mißverständniß eintritt oder Verständ-
niß ausbleibt, so giebt es Zank und Schlägerei — und der Thurm-
bau von Babel ist gestört. Herbart fährt fort: „Da fing die
Absichtlichkeit des Sprechens an“; also da, wo das Verständniß
ausblieb; absichtliche Mittheilung konnte ja aber noch weniger
verstanden werden! Das Folgende lassen wir aus Ehrfurcht vor
dem großen Denker ganz weg.
Wir haben also in unserer Darstellung den entgegengesetz-
ten Weg eingeschlagen. Nicht Mittheilung, sondern das Selbst-
bewußtsein ist Quell der Sprache. Das Bedürfniß zur Mitthei-
lung würde nie zur Sprache führen; aber die Sprache, im Gange
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/354>, abgerufen am 23.11.2024.
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