Seele fragt, was sie an der Anschauung, an diesem Complex von Empfindungen besitze: antwortet ihr der eigene Laut, was diese angeschaute Anschauung sei, verdrängt die andern Merk- male derselben aus dem Bewußtsein und stellt sich demselben dar als Aequivalent der ganzen Anschauung. Die Anschauung der Anschauung, die innere Sprachform hat also den Werth, den Inhalt, welchen der durch Reflex erzeugte onomatopoetische Laut in sich trägt. So reich also auch z. B. die Thätigkeit des Essens oder die Anschauung davon an Merkmalen sein mag, bei der Wurzel pa, bibo, pappen ist der Inhalt der Anschauung dieser Anschauung, der innern Sprachform, bloß die durch die Lippenarticulation angedeutete Lippenbewegung. Unser deut- sches Wort plump ist noch ganz die Interjection plumps, plautz! So viele Merkmale nun auch in der Anschauung des Plumpen liegen mögen, das Bewußtsein, indem es als innere Sprachform die Anschauung jener Anschauung bildet, hat als solches nur den Inhalt des breiten, schweren Aufschlagens nach einem Falle, welchen Inhalt es vom reflectirten Laute empfängt.
Daß bei Anschauungen, in denen eine Lautempfindung liegt, vorzüglich diese reflectirt werden wird, läßt sich wohl erwar- ten. Daher so viele schallnachahmende Wörter. Ueberhaupt aber läßt sich doch wohl annehmen, daß der reflectirte Laut eine gewisse Aehnlichkeit mit der Anschauung haben wird, und diese ist also das Wesen der Onomatopöie. Aber diese Aehn- lichkeit ist nicht Folge einer Nachahmung, wobei immer Ab- sicht vorausgesetzt wird; sondern es ist ein Lautreflex, wobei sich die Sprachorgane wie ein Spiegel, wie die Netzhaut des Auges, verhalten, indem sie zurückspiegeln, was auf sie wirkt.
Bei Anschauungen, in denen eine Tonempfindung liegt, wird die Onomatopöie klarer sein, als bei andern, in denen keine sol- che gegeben ist, aus einem dreifachen Grunde: zuerst nämlich wegen der Gleichheit des Elements; ferner weil die Tonempfin- dungen die lebhaftesten, erregendsten sind; drittens aber auch noch aus einem andern Grunde. Man erinnere sich, daß wir oben die Reflexbewegungen in zwei große Classen theilten: in diejenigen, welche die Anschauung einer Bewegung unmittelbar ausführen, und in diejenigen, welche auf ein Gefühl, eine Em- pfindung erfolgen, ohne mit diesen selbst etwas ersichtlich Ge- meinsames zu haben. Zur letztern Classe zählten wir die Sprache. Man sieht aber wohl, daß bei Wörtern für Anschauungen mit
Seele fragt, was sie an der Anschauung, an diesem Complex von Empfindungen besitze: antwortet ihr der eigene Laut, was diese angeschaute Anschauung sei, verdrängt die andern Merk- male derselben aus dem Bewußtsein und stellt sich demselben dar als Aequivalent der ganzen Anschauung. Die Anschauung der Anschauung, die innere Sprachform hat also den Werth, den Inhalt, welchen der durch Reflex erzeugte onomatopoetische Laut in sich trägt. So reich also auch z. B. die Thätigkeit des Essens oder die Anschauung davon an Merkmalen sein mag, bei der Wurzel pā, bibo, pappen ist der Inhalt der Anschauung dieser Anschauung, der innern Sprachform, bloß die durch die Lippenarticulation angedeutete Lippenbewegung. Unser deut- sches Wort plump ist noch ganz die Interjection plumps, plautz! So viele Merkmale nun auch in der Anschauung des Plumpen liegen mögen, das Bewußtsein, indem es als innere Sprachform die Anschauung jener Anschauung bildet, hat als solches nur den Inhalt des breiten, schweren Aufschlagens nach einem Falle, welchen Inhalt es vom reflectirten Laute empfängt.
Daß bei Anschauungen, in denen eine Lautempfindung liegt, vorzüglich diese reflectirt werden wird, läßt sich wohl erwar- ten. Daher so viele schallnachahmende Wörter. Ueberhaupt aber läßt sich doch wohl annehmen, daß der reflectirte Laut eine gewisse Aehnlichkeit mit der Anschauung haben wird, und diese ist also das Wesen der Onomatopöie. Aber diese Aehn- lichkeit ist nicht Folge einer Nachahmung, wobei immer Ab- sicht vorausgesetzt wird; sondern es ist ein Lautreflex, wobei sich die Sprachorgane wie ein Spiegel, wie die Netzhaut des Auges, verhalten, indem sie zurückspiegeln, was auf sie wirkt.
Bei Anschauungen, in denen eine Tonempfindung liegt, wird die Onomatopöie klarer sein, als bei andern, in denen keine sol- che gegeben ist, aus einem dreifachen Grunde: zuerst nämlich wegen der Gleichheit des Elements; ferner weil die Tonempfin- dungen die lebhaftesten, erregendsten sind; drittens aber auch noch aus einem andern Grunde. Man erinnere sich, daß wir oben die Reflexbewegungen in zwei große Classen theilten: in diejenigen, welche die Anschauung einer Bewegung unmittelbar ausführen, und in diejenigen, welche auf ein Gefühl, eine Em- pfindung erfolgen, ohne mit diesen selbst etwas ersichtlich Ge- meinsames zu haben. Zur letztern Classe zählten wir die Sprache. Man sieht aber wohl, daß bei Wörtern für Anschauungen mit
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Seele fragt, was sie an der Anschauung, an diesem Complex
von Empfindungen besitze: antwortet ihr der eigene Laut, was
diese angeschaute Anschauung sei, verdrängt die andern Merk-
male derselben aus dem Bewußtsein und stellt sich demselben
dar als Aequivalent der ganzen Anschauung. Die Anschauung
der Anschauung, die innere Sprachform hat also den Werth,
den Inhalt, welchen der durch Reflex erzeugte onomatopoetische
Laut in sich trägt. So reich also auch z. B. die Thätigkeit
des Essens oder die Anschauung davon an Merkmalen sein mag,
bei der Wurzel pā, bibo, pappen ist der Inhalt der Anschauung
dieser Anschauung, der innern Sprachform, bloß die durch die
Lippenarticulation angedeutete Lippenbewegung. Unser deut-
sches Wort plump ist noch ganz die Interjection plumps, plautz!
So viele Merkmale nun auch in der Anschauung des Plumpen
liegen mögen, das Bewußtsein, indem es als innere Sprachform
die Anschauung jener Anschauung bildet, hat als solches nur
den Inhalt des breiten, schweren Aufschlagens nach einem Falle,
welchen Inhalt es vom reflectirten Laute empfängt.
Daß bei Anschauungen, in denen eine Lautempfindung liegt,
vorzüglich diese reflectirt werden wird, läßt sich wohl erwar-
ten. Daher so viele schallnachahmende Wörter. Ueberhaupt
aber läßt sich doch wohl annehmen, daß der reflectirte Laut
eine gewisse Aehnlichkeit mit der Anschauung haben wird, und
diese ist also das Wesen der Onomatopöie. Aber diese Aehn-
lichkeit ist nicht Folge einer Nachahmung, wobei immer Ab-
sicht vorausgesetzt wird; sondern es ist ein Lautreflex, wobei
sich die Sprachorgane wie ein Spiegel, wie die Netzhaut des
Auges, verhalten, indem sie zurückspiegeln, was auf sie wirkt.
Bei Anschauungen, in denen eine Tonempfindung liegt, wird
die Onomatopöie klarer sein, als bei andern, in denen keine sol-
che gegeben ist, aus einem dreifachen Grunde: zuerst nämlich
wegen der Gleichheit des Elements; ferner weil die Tonempfin-
dungen die lebhaftesten, erregendsten sind; drittens aber auch
noch aus einem andern Grunde. Man erinnere sich, daß wir
oben die Reflexbewegungen in zwei große Classen theilten: in
diejenigen, welche die Anschauung einer Bewegung unmittelbar
ausführen, und in diejenigen, welche auf ein Gefühl, eine Em-
pfindung erfolgen, ohne mit diesen selbst etwas ersichtlich Ge-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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