Anschauung eines Dinges im Bewußtsein des Tauben ermangelt aller Bestimmungen, welche das Tönen des Dinges betreffen, und auch wir Vollsinnigen lernen die Dinge immer besser, d. h. von den Dingen immer mehr kennen. Der Inhalt und Werth unseres Bewußtseins ist also gerade das, was wir von den Din- gen erfassen; nicht mehr, nicht das Ding, wie es in der Fülle seines Inhaltes vorhanden ist, oder wie es von einem umfassen- dern, tiefern Blicke gesehen wird. Die innere Sprachform oder die Anschauung der Anschauung ist ebenfalls, wie das Anschauen und Fühlen, eine Art des Bewußtseins, nicht aber ein Bewußt- sein von äußern Gegenständen, sondern von innern, von An- schauungen. Der Gegenstand also desjenigen Bewußtseins, wel- ches als innere Sprachform qualificirt ist, ist die Anschauung; der Inhalt und Werth der innern Sprachform aber oder dieses Bewußtseins, welches Anschauung der Anschauung ist, ist gar nicht gleich dem Inhalte, welchen die gegenständliche, ange- schaute Anschauung hat, gerade wie der Inhalt der Anschauung nicht gleich dem des Dinges ist.
Noch eins. Der Inhalt unseres ganzen Bewußtseins ist be- kanntlich subjectiv, von unsern Empfindungen abhängig. Wir sagen: der Zucker ist süß; d. h. in dem Inhalte unseres Be- wußtseins vom Zucker liegt unter andern auch die Bestimmung, daß derselbe uns durch unsere Geschmacksorgane die Empfin- dung süß erregt; was das aber für den Zucker an sich ist, daß er uns süß erscheint, kommt bei diesem Bewußtsein gar nicht in Betracht. Was der Zucker an sich ist, geht unser Bewußtsein gar nicht an; es hat nur Interesse an dem, was er für es ist. Also nicht der Zucker an sich, seine Bestimmung an sich, sondern was er für dieses Bewußtsein ist, süß, weiß, hart, nur das macht den Inhalt desselben aus. Ganz ebenso verhält es sich mit der Art des Bewußtseins, welche als innere Sprachform bestimmt ist: der Inhalt dieses Bewußtseins ist nicht der Inhalt der Anschauung an sich, welche sein Gegenstand ist, sondern wie diese Anschauung ihm erscheint, welche Bestim- mungen es an ihr heraushebt, das ist sein Inhalt. Wenn also die Anschauung und unser ganzes Bewußtsein von den Objec- ten subjectiv ist, so ist die innere Sprachform, die Anschauung der Anschauung, doppelt subjectiv; denn ihr Bewußtsein von der schon an sich subjectiven Anschauung wird nochmals nach subjectiver Rücksicht gewonnen.
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Anschauung eines Dinges im Bewußtsein des Tauben ermangelt aller Bestimmungen, welche das Tönen des Dinges betreffen, und auch wir Vollsinnigen lernen die Dinge immer besser, d. h. von den Dingen immer mehr kennen. Der Inhalt und Werth unseres Bewußtseins ist also gerade das, was wir von den Din- gen erfassen; nicht mehr, nicht das Ding, wie es in der Fülle seines Inhaltes vorhanden ist, oder wie es von einem umfassen- dern, tiefern Blicke gesehen wird. Die innere Sprachform oder die Anschauung der Anschauung ist ebenfalls, wie das Anschauen und Fühlen, eine Art des Bewußtseins, nicht aber ein Bewußt- sein von äußern Gegenständen, sondern von innern, von An- schauungen. Der Gegenstand also desjenigen Bewußtseins, wel- ches als innere Sprachform qualificirt ist, ist die Anschauung; der Inhalt und Werth der innern Sprachform aber oder dieses Bewußtseins, welches Anschauung der Anschauung ist, ist gar nicht gleich dem Inhalte, welchen die gegenständliche, ange- schaute Anschauung hat, gerade wie der Inhalt der Anschauung nicht gleich dem des Dinges ist.
Noch eins. Der Inhalt unseres ganzen Bewußtseins ist be- kanntlich subjectiv, von unsern Empfindungen abhängig. Wir sagen: der Zucker ist süß; d. h. in dem Inhalte unseres Be- wußtseins vom Zucker liegt unter andern auch die Bestimmung, daß derselbe uns durch unsere Geschmacksorgane die Empfin- dung süß erregt; was das aber für den Zucker an sich ist, daß er uns süß erscheint, kommt bei diesem Bewußtsein gar nicht in Betracht. Was der Zucker an sich ist, geht unser Bewußtsein gar nicht an; es hat nur Interesse an dem, was er für es ist. Also nicht der Zucker an sich, seine Bestimmung an sich, sondern was er für dieses Bewußtsein ist, süß, weiß, hart, nur das macht den Inhalt desselben aus. Ganz ebenso verhält es sich mit der Art des Bewußtseins, welche als innere Sprachform bestimmt ist: der Inhalt dieses Bewußtseins ist nicht der Inhalt der Anschauung an sich, welche sein Gegenstand ist, sondern wie diese Anschauung ihm erscheint, welche Bestim- mungen es an ihr heraushebt, das ist sein Inhalt. Wenn also die Anschauung und unser ganzes Bewußtsein von den Objec- ten subjectiv ist, so ist die innere Sprachform, die Anschauung der Anschauung, doppelt subjectiv; denn ihr Bewußtsein von der schon an sich subjectiven Anschauung wird nochmals nach subjectiver Rücksicht gewonnen.
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Anschauung eines Dinges im Bewußtsein des Tauben ermangelt
aller Bestimmungen, welche das Tönen des Dinges betreffen,
und auch wir Vollsinnigen lernen die Dinge immer besser, d. h.
von den Dingen immer mehr kennen. Der Inhalt und Werth
unseres Bewußtseins ist also gerade das, was wir von den Din-
gen erfassen; nicht mehr, nicht das Ding, wie es in der Fülle
seines Inhaltes vorhanden ist, oder wie es von einem umfassen-
dern, tiefern Blicke gesehen wird. Die innere Sprachform oder
die Anschauung der Anschauung ist ebenfalls, wie das Anschauen
und Fühlen, eine Art des Bewußtseins, nicht aber ein Bewußt-
sein von äußern Gegenständen, sondern von innern, von An-
schauungen. Der Gegenstand also desjenigen Bewußtseins, wel-
ches als innere Sprachform qualificirt ist, ist die Anschauung;
der Inhalt und Werth der innern Sprachform aber oder dieses
Bewußtseins, welches Anschauung der Anschauung ist, ist gar
nicht gleich dem Inhalte, welchen die gegenständliche, ange-
schaute Anschauung hat, gerade wie der Inhalt der Anschauung
nicht gleich dem des Dinges ist.
Noch eins. Der Inhalt unseres ganzen Bewußtseins ist be-
kanntlich subjectiv, von unsern Empfindungen abhängig. Wir
sagen: der Zucker ist süß; d. h. in dem Inhalte unseres Be-
wußtseins vom Zucker liegt unter andern auch die Bestimmung,
daß derselbe uns durch unsere Geschmacksorgane die Empfin-
dung süß erregt; was das aber für den Zucker an sich ist,
daß er uns süß erscheint, kommt bei diesem Bewußtsein gar
nicht in Betracht. Was der Zucker an sich ist, geht unser
Bewußtsein gar nicht an; es hat nur Interesse an dem, was er
für es ist. Also nicht der Zucker an sich, seine Bestimmung
an sich, sondern was er für dieses Bewußtsein ist, süß, weiß,
hart, nur das macht den Inhalt desselben aus. Ganz ebenso
verhält es sich mit der Art des Bewußtseins, welche als innere
Sprachform bestimmt ist: der Inhalt dieses Bewußtseins ist nicht
der Inhalt der Anschauung an sich, welche sein Gegenstand ist,
sondern wie diese Anschauung ihm erscheint, welche Bestim-
mungen es an ihr heraushebt, das ist sein Inhalt. Wenn also
die Anschauung und unser ganzes Bewußtsein von den Objec-
ten subjectiv ist, so ist die innere Sprachform, die Anschauung
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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