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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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zustellen, muß der Seele, wo sie zum ersten Male so verfahren
soll, instinctiv gegeben werden; sie würde sonst schwerlich von
selbst darauf gekommen sein. Das Zeichen konnte also nichts
Willkürliches haben und mußte durch seine eigene Natur zu
solcher Verwendung auffordern; es mußte von selbst vorhanden
sein, von selbst an den innern Gegenstand geknüpft sein, und
von selbst sich und das daran geknüpfte Innere heraussetzen,
der Seele gegenüber. So thut es der Laut. Denn der Laut
entspringt der Brust als Rückwirkung der Seele auf die sinn-
liche Erregung; so ist er da, ohne daß ihn die Seele gewollt
hätte, dennoch, obwohl als ein Sinnliches, durch die Seele. Als
etwas Sinnliches wird er nun von der Seele, die ihn erzeugt
hat, wahrgenommen, während die Anschauung, in Folge deren
er ausgestoßen ward, noch im Bewußtsein ist. Der wahrge-
nommene Laut associirt sich daher unmittelbar mit der An-
schauung, nach dem Mechanismus der Seele, und gerade eben
so unabsichtlich, als er entstanden ist. Jetzt kann weder die
Anschauung zurückgerufen werden, ohne den Laut zu reprodu-
ciren, noch kann der Laut wieder hervorgebracht, noch auch
nur gehört werden, ohne zugleich die damit associirte Anschauung
zu reproduciren, also mit sich zugleich die Anschauung aus dem
Innern in das Aeußere zu versetzen und so das Innere der Seele
vorzustellen. So wird der Laut zum Zeichen der Anschauung;
die lautliche Vergegenwärtigung dieser Anschauung ist An-
schauung der Anschauung; eine so angeschaute Anschauung aber
ist eine Vorstellung; und die Vorstellung also ist die Bedeu-
tung des Lautzeichens. Die Anschauung der Anschauung ist
die Versetzung der Anschauung in den Laut, die Verbindung
beider, die innere Sprachform; während der Laut die äu-
ßere Sprachform ist, und die Vorstellung zu dem Stoffe des
Bewußtseins gehört. Das Wesen der innern Sprachform ist
nun näher darzulegen. Es entwickelt sich aber stufenweise, und
hat auf jeder Stufe einen andern Werth.

§. 96. Inhalt der innern Sprachform im Allgemeinen.

Es liegt uns zunächst noch an, den Inhalt dessen, was wir
Anschauung der Anschauung oder innere Sprachform nennen,
im Allgemeinen näher zu bestimmen. Der Inhalt einer An-
schauung, überhaupt unseres Bewußtseins von einem Dinge, ist
nicht immer der volle Gehalt des Dinges, sondern nur soviel,
als wir von demselben wirklich erfaßt haben. Der Inhalt der

zustellen, muß der Seele, wo sie zum ersten Male so verfahren
soll, instinctiv gegeben werden; sie würde sonst schwerlich von
selbst darauf gekommen sein. Das Zeichen konnte also nichts
Willkürliches haben und mußte durch seine eigene Natur zu
solcher Verwendung auffordern; es mußte von selbst vorhanden
sein, von selbst an den innern Gegenstand geknüpft sein, und
von selbst sich und das daran geknüpfte Innere heraussetzen,
der Seele gegenüber. So thut es der Laut. Denn der Laut
entspringt der Brust als Rückwirkung der Seele auf die sinn-
liche Erregung; so ist er da, ohne daß ihn die Seele gewollt
hätte, dennoch, obwohl als ein Sinnliches, durch die Seele. Als
etwas Sinnliches wird er nun von der Seele, die ihn erzeugt
hat, wahrgenommen, während die Anschauung, in Folge deren
er ausgestoßen ward, noch im Bewußtsein ist. Der wahrge-
nommene Laut associirt sich daher unmittelbar mit der An-
schauung, nach dem Mechanismus der Seele, und gerade eben
so unabsichtlich, als er entstanden ist. Jetzt kann weder die
Anschauung zurückgerufen werden, ohne den Laut zu reprodu-
ciren, noch kann der Laut wieder hervorgebracht, noch auch
nur gehört werden, ohne zugleich die damit associirte Anschauung
zu reproduciren, also mit sich zugleich die Anschauung aus dem
Innern in das Aeußere zu versetzen und so das Innere der Seele
vorzustellen. So wird der Laut zum Zeichen der Anschauung;
die lautliche Vergegenwärtigung dieser Anschauung ist An-
schauung der Anschauung; eine so angeschaute Anschauung aber
ist eine Vorstellung; und die Vorstellung also ist die Bedeu-
tung des Lautzeichens. Die Anschauung der Anschauung ist
die Versetzung der Anschauung in den Laut, die Verbindung
beider, die innere Sprachform; während der Laut die äu-
ßere Sprachform ist, und die Vorstellung zu dem Stoffe des
Bewußtseins gehört. Das Wesen der innern Sprachform ist
nun näher darzulegen. Es entwickelt sich aber stufenweise, und
hat auf jeder Stufe einen andern Werth.

§. 96. Inhalt der innern Sprachform im Allgemeinen.

Es liegt uns zunächst noch an, den Inhalt dessen, was wir
Anschauung der Anschauung oder innere Sprachform nennen,
im Allgemeinen näher zu bestimmen. Der Inhalt einer An-
schauung, überhaupt unseres Bewußtseins von einem Dinge, ist
nicht immer der volle Gehalt des Dinges, sondern nur soviel,
als wir von demselben wirklich erfaßt haben. Der Inhalt der

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[304/0342] zustellen, muß der Seele, wo sie zum ersten Male so verfahren soll, instinctiv gegeben werden; sie würde sonst schwerlich von selbst darauf gekommen sein. Das Zeichen konnte also nichts Willkürliches haben und mußte durch seine eigene Natur zu solcher Verwendung auffordern; es mußte von selbst vorhanden sein, von selbst an den innern Gegenstand geknüpft sein, und von selbst sich und das daran geknüpfte Innere heraussetzen, der Seele gegenüber. So thut es der Laut. Denn der Laut entspringt der Brust als Rückwirkung der Seele auf die sinn- liche Erregung; so ist er da, ohne daß ihn die Seele gewollt hätte, dennoch, obwohl als ein Sinnliches, durch die Seele. Als etwas Sinnliches wird er nun von der Seele, die ihn erzeugt hat, wahrgenommen, während die Anschauung, in Folge deren er ausgestoßen ward, noch im Bewußtsein ist. Der wahrge- nommene Laut associirt sich daher unmittelbar mit der An- schauung, nach dem Mechanismus der Seele, und gerade eben so unabsichtlich, als er entstanden ist. Jetzt kann weder die Anschauung zurückgerufen werden, ohne den Laut zu reprodu- ciren, noch kann der Laut wieder hervorgebracht, noch auch nur gehört werden, ohne zugleich die damit associirte Anschauung zu reproduciren, also mit sich zugleich die Anschauung aus dem Innern in das Aeußere zu versetzen und so das Innere der Seele vorzustellen. So wird der Laut zum Zeichen der Anschauung; die lautliche Vergegenwärtigung dieser Anschauung ist An- schauung der Anschauung; eine so angeschaute Anschauung aber ist eine Vorstellung; und die Vorstellung also ist die Bedeu- tung des Lautzeichens. Die Anschauung der Anschauung ist die Versetzung der Anschauung in den Laut, die Verbindung beider, die innere Sprachform; während der Laut die äu- ßere Sprachform ist, und die Vorstellung zu dem Stoffe des Bewußtseins gehört. Das Wesen der innern Sprachform ist nun näher darzulegen. Es entwickelt sich aber stufenweise, und hat auf jeder Stufe einen andern Werth. §. 96. Inhalt der innern Sprachform im Allgemeinen. Es liegt uns zunächst noch an, den Inhalt dessen, was wir Anschauung der Anschauung oder innere Sprachform nennen, im Allgemeinen näher zu bestimmen. Der Inhalt einer An- schauung, überhaupt unseres Bewußtseins von einem Dinge, ist nicht immer der volle Gehalt des Dinges, sondern nur soviel, als wir von demselben wirklich erfaßt haben. Der Inhalt der

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/342>, abgerufen am 22.12.2024.