hat, als das Thier, obwohl sein Körper schwächer ist? Das Thier wird so stark von der Außenwelt ergriffen, hat so wenig natürlichen oder künstlichen Schutz gegen außen, daß es sich schnell abnutzt und aufreibt. Des Menschen Körper, in feinerer Weise und schwächer erregt und alle Stöße von außen kräftig zurückgebend, erhält sich länger durch die Macht und Weisheit der Seele. Die menschliche Seele also, fern davon ein Parasit ihres Körpers zu sein, benimmt sich gegen ihn wie ein Herr, der seinem Knecht aus milder Gesinnung und im eigenen Vor- theil allen Schutz angedeihen läßt, um ihn länger zu bewahren.
Einwirkung von außen und Gegenwirkung der Seele stehen also in umgekehrtem Verhältnisse. Die thierische Seele giebt einen starken Eindruck schwach zurück und ist erschöpft; die menschliche Seele giebt einen schwachen Eindruck mit Kraft zurück, ihre Thätigkeit ist erregt, und es ist ein Ueberschuß von Kraft da, der seiner Verwendung harret. Selbst die durch die Reflexionsbewegung verlorene Kraft erhält die Seele unmit- telbar wieder. Hier sehen wir, wie der psychisch-physische Or- ganismus jenen vorzüglichsten Maschinen gleicht, welche den durch ihre eigene Thätigkeit nothwendig entstandenen Verlust im Verluste selbst sogleich wieder ersetzen. Denn die Seelen- erregung reflectirt sich auf die Athembewegung und verstärkt diese. Das Athemholen aber wirkt erregend auf die Seele und führt ihr Kraft zu.
Die menschliche Seele also, durch die Anschauung erregt, tritt hervor; und weil sie in der Anschauung nicht erschöpft, weil eine größere Kraft erregt, als verwendet worden ist, so ist nun die Seele nach Vollendung dieses Vorganges der Anschauung und Reflexbewegung noch da als eine Kraft, die nach Thätigkeit drängt. Die Empfindung hat die Seele heraufbeschworen; diese aber, einmal aufgetreten, begnügt sich nicht damit, die Empfin- dung bloß zu empfangen; ihre Kraft treibt nach einer Verwen- dung, und nun, was wird sie thun? -- Was kann sie thun? Der Stoß von außen ist vorüber; sie hat ihn zurückgestoßen, das ist auch vorüber; aber der Eindruck des ganzen Vorganges bleibt in der Seele (im Gedächtniß). Es bleibt ihr also gar nichts anderes zu thun, als in sich zurückzukehren; denn es bleibt gar kein anderer Gegenstand, kein anderer Reiz, der die Thätigkeit der Seele auf sich ziehen könnte, als der Eindruck, den das Vorgefallene in ihr selbst zurückgelassen hat. Auf die-
hat, als das Thier, obwohl sein Körper schwächer ist? Das Thier wird so stark von der Außenwelt ergriffen, hat so wenig natürlichen oder künstlichen Schutz gegen außen, daß es sich schnell abnutzt und aufreibt. Des Menschen Körper, in feinerer Weise und schwächer erregt und alle Stöße von außen kräftig zurückgebend, erhält sich länger durch die Macht und Weisheit der Seele. Die menschliche Seele also, fern davon ein Parasit ihres Körpers zu sein, benimmt sich gegen ihn wie ein Herr, der seinem Knecht aus milder Gesinnung und im eigenen Vor- theil allen Schutz angedeihen läßt, um ihn länger zu bewahren.
Einwirkung von außen und Gegenwirkung der Seele stehen also in umgekehrtem Verhältnisse. Die thierische Seele giebt einen starken Eindruck schwach zurück und ist erschöpft; die menschliche Seele giebt einen schwachen Eindruck mit Kraft zurück, ihre Thätigkeit ist erregt, und es ist ein Ueberschuß von Kraft da, der seiner Verwendung harret. Selbst die durch die Reflexionsbewegung verlorene Kraft erhält die Seele unmit- telbar wieder. Hier sehen wir, wie der psychisch-physische Or- ganismus jenen vorzüglichsten Maschinen gleicht, welche den durch ihre eigene Thätigkeit nothwendig entstandenen Verlust im Verluste selbst sogleich wieder ersetzen. Denn die Seelen- erregung reflectirt sich auf die Athembewegung und verstärkt diese. Das Athemholen aber wirkt erregend auf die Seele und führt ihr Kraft zu.
Die menschliche Seele also, durch die Anschauung erregt, tritt hervor; und weil sie in der Anschauung nicht erschöpft, weil eine größere Kraft erregt, als verwendet worden ist, so ist nun die Seele nach Vollendung dieses Vorganges der Anschauung und Reflexbewegung noch da als eine Kraft, die nach Thätigkeit drängt. Die Empfindung hat die Seele heraufbeschworen; diese aber, einmal aufgetreten, begnügt sich nicht damit, die Empfin- dung bloß zu empfangen; ihre Kraft treibt nach einer Verwen- dung, und nun, was wird sie thun? — Was kann sie thun? Der Stoß von außen ist vorüber; sie hat ihn zurückgestoßen, das ist auch vorüber; aber der Eindruck des ganzen Vorganges bleibt in der Seele (im Gedächtniß). Es bleibt ihr also gar nichts anderes zu thun, als in sich zurückzukehren; denn es bleibt gar kein anderer Gegenstand, kein anderer Reiz, der die Thätigkeit der Seele auf sich ziehen könnte, als der Eindruck, den das Vorgefallene in ihr selbst zurückgelassen hat. Auf die-
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hat, als das Thier, obwohl sein Körper schwächer ist? Das
Thier wird so stark von der Außenwelt ergriffen, hat so wenig
natürlichen oder künstlichen Schutz gegen außen, daß es sich
schnell abnutzt und aufreibt. Des Menschen Körper, in feinerer
Weise und schwächer erregt und alle Stöße von außen kräftig
zurückgebend, erhält sich länger durch die Macht und Weisheit
der Seele. Die menschliche Seele also, fern davon ein Parasit
ihres Körpers zu sein, benimmt sich gegen ihn wie ein Herr,
der seinem Knecht aus milder Gesinnung und im eigenen Vor-
theil allen Schutz angedeihen läßt, um ihn länger zu bewahren.
Einwirkung von außen und Gegenwirkung der Seele stehen
also in umgekehrtem Verhältnisse. Die thierische Seele giebt
einen starken Eindruck schwach zurück und ist erschöpft; die
menschliche Seele giebt einen schwachen Eindruck mit Kraft
zurück, ihre Thätigkeit ist erregt, und es ist ein Ueberschuß
von Kraft da, der seiner Verwendung harret. Selbst die durch
die Reflexionsbewegung verlorene Kraft erhält die Seele unmit-
telbar wieder. Hier sehen wir, wie der psychisch-physische Or-
ganismus jenen vorzüglichsten Maschinen gleicht, welche den
durch ihre eigene Thätigkeit nothwendig entstandenen Verlust
im Verluste selbst sogleich wieder ersetzen. Denn die Seelen-
erregung reflectirt sich auf die Athembewegung und verstärkt
diese. Das Athemholen aber wirkt erregend auf die Seele und
führt ihr Kraft zu.
Die menschliche Seele also, durch die Anschauung erregt,
tritt hervor; und weil sie in der Anschauung nicht erschöpft,
weil eine größere Kraft erregt, als verwendet worden ist, so ist
nun die Seele nach Vollendung dieses Vorganges der Anschauung
und Reflexbewegung noch da als eine Kraft, die nach Thätigkeit
drängt. Die Empfindung hat die Seele heraufbeschworen; diese
aber, einmal aufgetreten, begnügt sich nicht damit, die Empfin-
dung bloß zu empfangen; ihre Kraft treibt nach einer Verwen-
dung, und nun, was wird sie thun? — Was kann sie thun?
Der Stoß von außen ist vorüber; sie hat ihn zurückgestoßen,
das ist auch vorüber; aber der Eindruck des ganzen Vorganges
bleibt in der Seele (im Gedächtniß). Es bleibt ihr also gar
nichts anderes zu thun, als in sich zurückzukehren; denn es
bleibt gar kein anderer Gegenstand, kein anderer Reiz, der die
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den das Vorgefallene in ihr selbst zurückgelassen hat. Auf die-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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