bricht in Tönen aus, und Freiheit ist das Wesen der Sprache.
§. 91. Sprache als Befreiungsact der Seele.
Das Sprechen ist also eine Befreiungsthätigkeit. Das füh- len wir ja alle heute noch, wie wir unsere Seele erleichtern, von einem Drucke befreien, indem wir uns äußern. Die Sprache wirkt hier wie ein Thränenerguß, und oft zusammen mit ihm. Besonders aber das erste Hervorbrechen der Sprache beim Kinde und beim Urmenschen ist eine Befreiung der Seele von dem Drucke der auf sie eindringenden Sinnesempfindungen. Denn je größer bei der fortschreitenden Entwickelung des Geistes die Selbstbeherrschung wird, desto mehr lernen wir schweigen, d. h. die von außen kommenden Eindrücke auch ohne Sprache über- winden; gemäß dem ursprünglichen Verhältnisse aber muß man ganz eigentlich, und nicht bloß bildlich, sagen: so wie ein ela- stischer Körper, der erschüttert wird, in einen tönenden Zustand versetzt wird und sich durch dieses Tönen von dem empfange- nen Stoße losmacht, indem er ihn der Luft weiter giebt: eben so tönt der Mensch, erregt durch die auf ihn einstürmenden Ge- fühle und Anschauungen, in der Sprache und befreit sich von den empfangenen Eindrücken, indem er sie an die Luft abgiebt durch das Wort.
Wie gesagt, wir bewegen uns hier nicht in Metaphern, son- dern stehen auf dem Boden der genauen Lehre von den phy- sikalischen Kräften. Es ist zu interessant, die Sprache als Re- flexbewegung unter das allgemeine Gesetz der physikalischen Kräfte zu bringen, und sie so von dem umfassendsten Stand- punkte aus anzusehen, als daß ich mir versagen könnte, die hierauf bezüglichen Bemerkungen aus Lotzes Allgemeiner Phy- siologie (S. 450 ff.) ausführlicher mitzutheilen. Gehen wir näm- lich davon aus, daß jede Wirkung einer Kraft auf einen Kör- per, nach dem Gesetze der Trägheit, so lange fortdauert, als sie nicht durch entgegengesetzte Widerstände aufgezehrt wird, wenn auch nicht nur ihre Richtung, sondern auch ihre Form sich so umgestalten kann, daß sie nur in einem ihrer Größe entsprechenden Aequivalent eines anderen von ihr angeregten Processes fortdauert: so bemerken wir nun auch, daß auf den lebendigen Körper in jedem Augenblicke seines Bestehens eine große Anzahl physischer Kräfte einwirken, deren Wirkungen ebenfalls entweder auf andere Körper übertragen, oder sonst wie
bricht in Tönen aus, und Freiheit ist das Wesen der Sprache.
§. 91. Sprache als Befreiungsact der Seele.
Das Sprechen ist also eine Befreiungsthätigkeit. Das füh- len wir ja alle heute noch, wie wir unsere Seele erleichtern, von einem Drucke befreien, indem wir uns äußern. Die Sprache wirkt hier wie ein Thränenerguß, und oft zusammen mit ihm. Besonders aber das erste Hervorbrechen der Sprache beim Kinde und beim Urmenschen ist eine Befreiung der Seele von dem Drucke der auf sie eindringenden Sinnesempfindungen. Denn je größer bei der fortschreitenden Entwickelung des Geistes die Selbstbeherrschung wird, desto mehr lernen wir schweigen, d. h. die von außen kommenden Eindrücke auch ohne Sprache über- winden; gemäß dem ursprünglichen Verhältnisse aber muß man ganz eigentlich, und nicht bloß bildlich, sagen: so wie ein ela- stischer Körper, der erschüttert wird, in einen tönenden Zustand versetzt wird und sich durch dieses Tönen von dem empfange- nen Stoße losmacht, indem er ihn der Luft weiter giebt: eben so tönt der Mensch, erregt durch die auf ihn einstürmenden Ge- fühle und Anschauungen, in der Sprache und befreit sich von den empfangenen Eindrücken, indem er sie an die Luft abgiebt durch das Wort.
Wie gesagt, wir bewegen uns hier nicht in Metaphern, son- dern stehen auf dem Boden der genauen Lehre von den phy- sikalischen Kräften. Es ist zu interessant, die Sprache als Re- flexbewegung unter das allgemeine Gesetz der physikalischen Kräfte zu bringen, und sie so von dem umfassendsten Stand- punkte aus anzusehen, als daß ich mir versagen könnte, die hierauf bezüglichen Bemerkungen aus Lotzes Allgemeiner Phy- siologie (S. 450 ff.) ausführlicher mitzutheilen. Gehen wir näm- lich davon aus, daß jede Wirkung einer Kraft auf einen Kör- per, nach dem Gesetze der Trägheit, so lange fortdauert, als sie nicht durch entgegengesetzte Widerstände aufgezehrt wird, wenn auch nicht nur ihre Richtung, sondern auch ihre Form sich so umgestalten kann, daß sie nur in einem ihrer Größe entsprechenden Aequivalent eines anderen von ihr angeregten Processes fortdauert: so bemerken wir nun auch, daß auf den lebendigen Körper in jedem Augenblicke seines Bestehens eine große Anzahl physischer Kräfte einwirken, deren Wirkungen ebenfalls entweder auf andere Körper übertragen, oder sonst wie
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bricht in Tönen aus, und Freiheit ist das Wesen der
Sprache.
§. 91. Sprache als Befreiungsact der Seele.
Das Sprechen ist also eine Befreiungsthätigkeit. Das füh-
len wir ja alle heute noch, wie wir unsere Seele erleichtern, von
einem Drucke befreien, indem wir uns äußern. Die Sprache
wirkt hier wie ein Thränenerguß, und oft zusammen mit ihm.
Besonders aber das erste Hervorbrechen der Sprache beim Kinde
und beim Urmenschen ist eine Befreiung der Seele von dem
Drucke der auf sie eindringenden Sinnesempfindungen. Denn
je größer bei der fortschreitenden Entwickelung des Geistes die
Selbstbeherrschung wird, desto mehr lernen wir schweigen, d. h.
die von außen kommenden Eindrücke auch ohne Sprache über-
winden; gemäß dem ursprünglichen Verhältnisse aber muß man
ganz eigentlich, und nicht bloß bildlich, sagen: so wie ein ela-
stischer Körper, der erschüttert wird, in einen tönenden Zustand
versetzt wird und sich durch dieses Tönen von dem empfange-
nen Stoße losmacht, indem er ihn der Luft weiter giebt: eben
so tönt der Mensch, erregt durch die auf ihn einstürmenden Ge-
fühle und Anschauungen, in der Sprache und befreit sich von
den empfangenen Eindrücken, indem er sie an die Luft abgiebt
durch das Wort.
Wie gesagt, wir bewegen uns hier nicht in Metaphern, son-
dern stehen auf dem Boden der genauen Lehre von den phy-
sikalischen Kräften. Es ist zu interessant, die Sprache als Re-
flexbewegung unter das allgemeine Gesetz der physikalischen
Kräfte zu bringen, und sie so von dem umfassendsten Stand-
punkte aus anzusehen, als daß ich mir versagen könnte, die
hierauf bezüglichen Bemerkungen aus Lotzes Allgemeiner Phy-
siologie (S. 450 ff.) ausführlicher mitzutheilen. Gehen wir näm-
lich davon aus, daß jede Wirkung einer Kraft auf einen Kör-
per, nach dem Gesetze der Trägheit, so lange fortdauert, als
sie nicht durch entgegengesetzte Widerstände aufgezehrt wird,
wenn auch nicht nur ihre Richtung, sondern auch ihre Form
sich so umgestalten kann, daß sie nur in einem ihrer Größe
entsprechenden Aequivalent eines anderen von ihr angeregten
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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