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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Subjecte aber ergeben eben so viele Urtheile; und in die ganze
Menge derselben muß der verkürzte Ausdruck, der sie andeu-
tete, seinem wahren Sinne nach wieder aufgelöst werden. Die
logische Theorie darf unter dergleichen Verkürzungen nicht lei-
den", d. h. man darf Satz und Urtheil nicht vermengen, wovor
sich auch Herbart, wie mir scheint, nicht immer in Acht genom-
men hat.

Wir sehen also, daß mehrere Urtheile sich zu einem
Satze zusammenziehen und ein Urtheil zu mehreren Sätzen sich
aus einander dehnen kann. Jetzt aber entsteht der Verdacht,
ob sich die Logik nicht zur Unterscheidung von Urtheilen hat
hinreißen lassen durch einen offenbaren Unterschied von Sätzen.
Sobald die Aufmerksamkeit einmal nicht darauf gerichtet war,
sich vor der Verwechslung des Urtheils mit dem Satze zu hü-
ten: so konnte man leicht verführt werden, Urtheile zu scheiden,
obwohl sie desselben Wesens sind, derselben Klasse angehören,
bloß weil ihr sprachlicher Ausdruck im Satze verschieden war.

Sollte nun vielleicht das ganze hypothetische Verhältniß
eine der Logik durchaus fremde Kategorie sein? sollte hier nicht
die Logik der Grammatik etwas Ungehöriges entlehnt haben?
Denn der Grammatik gehört das hypothetische Verhältniß un-
streitig an, da sie so klare und, z. B. im Griechischen, so
vielfach und so fein abgeschattete Darstellungsweisen für das-
selbe hat. Für die Logik aber scheinen die hypothetischen
Sätze nur kategorische Urtheile zu sein. Denn die drei Aus-
drucksweisen, die wir oben schon angeführt haben: 1) wenn
A ist, so ist B; 2) beim A oder durch A ist B; 3) A bewirkt
B, drücken alle drei nur denselben Gedanken, dasselbe Urtheil
aus. Da nun "A bewirkt B" und "bei, durch A ist B" kate-
gorische Urtheile sind, so ist auch das dritte Urtheil kategorisch,
und es kann der Logik nichts daran liegen, ob dieses Urtheil
durch einen einfachen, oder durch einen erweiterten Satz, oder
durch das hypothetische Satzverhältniß ausgedrückt wird; denn
nicht auf die grammatischen Kategorien hat die Logik zu sehen,
sondern auf den durch die Sprache ausgedrückten Gedanken-
inhalt, unbekümmert um die Darstellungsform.

Man hat den Unterschied zwischen den kategorischen und
hypothetischen Urtheilen auf den Unterschied von Inhärenz und
Dependenz oder Consequenz zurückführen wollen. Hiergegen
hat sich schon Herbart erklärt (Einleitung in die Phil. §. 60.

Subjecte aber ergeben eben so viele Urtheile; und in die ganze
Menge derselben muß der verkürzte Ausdruck, der sie andeu-
tete, seinem wahren Sinne nach wieder aufgelöst werden. Die
logische Theorie darf unter dergleichen Verkürzungen nicht lei-
den“, d. h. man darf Satz und Urtheil nicht vermengen, wovor
sich auch Herbart, wie mir scheint, nicht immer in Acht genom-
men hat.

Wir sehen also, daß mehrere Urtheile sich zu einem
Satze zusammenziehen und ein Urtheil zu mehreren Sätzen sich
aus einander dehnen kann. Jetzt aber entsteht der Verdacht,
ob sich die Logik nicht zur Unterscheidung von Urtheilen hat
hinreißen lassen durch einen offenbaren Unterschied von Sätzen.
Sobald die Aufmerksamkeit einmal nicht darauf gerichtet war,
sich vor der Verwechslung des Urtheils mit dem Satze zu hü-
ten: so konnte man leicht verführt werden, Urtheile zu scheiden,
obwohl sie desselben Wesens sind, derselben Klasse angehören,
bloß weil ihr sprachlicher Ausdruck im Satze verschieden war.

Sollte nun vielleicht das ganze hypothetische Verhältniß
eine der Logik durchaus fremde Kategorie sein? sollte hier nicht
die Logik der Grammatik etwas Ungehöriges entlehnt haben?
Denn der Grammatik gehört das hypothetische Verhältniß un-
streitig an, da sie so klare und, z. B. im Griechischen, so
vielfach und so fein abgeschattete Darstellungsweisen für das-
selbe hat. Für die Logik aber scheinen die hypothetischen
Sätze nur kategorische Urtheile zu sein. Denn die drei Aus-
drucksweisen, die wir oben schon angeführt haben: 1) wenn
A ist, so ist B; 2) beim A oder durch A ist B; 3) A bewirkt
B, drücken alle drei nur denselben Gedanken, dasselbe Urtheil
aus. Da nun „A bewirkt B“ und „bei, durch A ist B“ kate-
gorische Urtheile sind, so ist auch das dritte Urtheil kategorisch,
und es kann der Logik nichts daran liegen, ob dieses Urtheil
durch einen einfachen, oder durch einen erweiterten Satz, oder
durch das hypothetische Satzverhältniß ausgedrückt wird; denn
nicht auf die grammatischen Kategorien hat die Logik zu sehen,
sondern auf den durch die Sprache ausgedrückten Gedanken-
inhalt, unbekümmert um die Darstellungsform.

Man hat den Unterschied zwischen den kategorischen und
hypothetischen Urtheilen auf den Unterschied von Inhärenz und
Dependenz oder Consequenz zurückführen wollen. Hiergegen
hat sich schon Herbart erklärt (Einleitung in die Phil. §. 60.

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[171/0209] Subjecte aber ergeben eben so viele Urtheile; und in die ganze Menge derselben muß der verkürzte Ausdruck, der sie andeu- tete, seinem wahren Sinne nach wieder aufgelöst werden. Die logische Theorie darf unter dergleichen Verkürzungen nicht lei- den“, d. h. man darf Satz und Urtheil nicht vermengen, wovor sich auch Herbart, wie mir scheint, nicht immer in Acht genom- men hat. Wir sehen also, daß mehrere Urtheile sich zu einem Satze zusammenziehen und ein Urtheil zu mehreren Sätzen sich aus einander dehnen kann. Jetzt aber entsteht der Verdacht, ob sich die Logik nicht zur Unterscheidung von Urtheilen hat hinreißen lassen durch einen offenbaren Unterschied von Sätzen. Sobald die Aufmerksamkeit einmal nicht darauf gerichtet war, sich vor der Verwechslung des Urtheils mit dem Satze zu hü- ten: so konnte man leicht verführt werden, Urtheile zu scheiden, obwohl sie desselben Wesens sind, derselben Klasse angehören, bloß weil ihr sprachlicher Ausdruck im Satze verschieden war. Sollte nun vielleicht das ganze hypothetische Verhältniß eine der Logik durchaus fremde Kategorie sein? sollte hier nicht die Logik der Grammatik etwas Ungehöriges entlehnt haben? Denn der Grammatik gehört das hypothetische Verhältniß un- streitig an, da sie so klare und, z. B. im Griechischen, so vielfach und so fein abgeschattete Darstellungsweisen für das- selbe hat. Für die Logik aber scheinen die hypothetischen Sätze nur kategorische Urtheile zu sein. Denn die drei Aus- drucksweisen, die wir oben schon angeführt haben: 1) wenn A ist, so ist B; 2) beim A oder durch A ist B; 3) A bewirkt B, drücken alle drei nur denselben Gedanken, dasselbe Urtheil aus. Da nun „A bewirkt B“ und „bei, durch A ist B“ kate- gorische Urtheile sind, so ist auch das dritte Urtheil kategorisch, und es kann der Logik nichts daran liegen, ob dieses Urtheil durch einen einfachen, oder durch einen erweiterten Satz, oder durch das hypothetische Satzverhältniß ausgedrückt wird; denn nicht auf die grammatischen Kategorien hat die Logik zu sehen, sondern auf den durch die Sprache ausgedrückten Gedanken- inhalt, unbekümmert um die Darstellungsform. Man hat den Unterschied zwischen den kategorischen und hypothetischen Urtheilen auf den Unterschied von Inhärenz und Dependenz oder Consequenz zurückführen wollen. Hiergegen hat sich schon Herbart erklärt (Einleitung in die Phil. §. 60.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/209>, abgerufen am 18.12.2024.