überstellt. Die Logik kennt den Begriff schön, gut; zum Un- terschiede aber von schön und Schönheit, gut und Güte ge- langt sie nicht; er existirt gar nicht für sie. Begriffe von Substanzen sind Begriffe, Begriffe von Accidenzen sind es eben so, und jeder Begriff bleibt was er ist. Güte ist eine Accidenz, Schönheit ist eine solche, und gut und schön sind ebenfalls Ac- cidenzen und von jenen für die Logik nicht verschieden. Doch hiervon ausführlicher beim Urtheile.
Noch weniger wüßte die Logik das Verhältniß der Ablei- tung zu rechtfertigen. Güte und Schönheit sind von gut und schön abgeleitet; aber umgekehrt verhält sich Tugend zu tu- gendhaft, Furcht zu furchtbar. Man sagt häßlich, Häßlich- keit, aber Laster, lasterhaft. Solche Betrachtungen hat schon der Stoiker Chrysippos angestellt. Er findet, daß die posi- tiven und negativen Wörter nicht immer auch logische Posi- tionen und Negationen ausdrücken, sondern daß das negative Wort einen positiven Begriff, und das positive Wort einen ne- gativen Begriff ausdrückt. In dem Satze z. B. Homer war blind ist blind ein positives Wort; der Begriff der Blindheit aber ist nur die Negation der Sehkraft. Umgekehrt ist unsterb- lich ein negatives Wort; sagt man aber: die Götter sind un- sterblich, so wird mit dem negativen Worte eine positive Ei- genschaft der Götter dargestellt, ihre Ewigkeit.
Dies führt uns auf die beiden Kategorien der Begriffe nach ihrer logischen Betrachtung, nämlich den Inhalt und Umfang der Begriffe und ihren Gegensatz. Was erstern betrifft, so sagen wir allerdings: Faulthier, Rennthier, Elenthier, Tan- nenbaum und deuten also an dem Begriffe den höhern, über- geordneten Begriff an, in dessen Umfang er gehört. Aber wie selten geschieht dies! Löwe, Hund, Eiche u. s. w., Be- sonnenheit, Tapferkeit u. s. w. und überhaupt die Regel in der Benennung der Begriffe zeigt uns, daß die Sprache auf diese Verhältnisse des Begriffs nach seinem Inhalte und Umfange durchaus keine Rücksicht genommen hat. Noch wichtiger viel- leicht für die Logik ist die andere Kategorie, der Gegensatz, und zwar der conträre. Auch ist der conträre Gegensatz bei Becker der Hebel aller Constructionen, der Leitfaden durch das All. Die Sprache aber kennt nur den contradictorischen Ge- gensatz -- was auch im Namen liegt -- und kennt den con- trären, d. h. den eigentlichen logischen Gegensatz gar nicht.
überstellt. Die Logik kennt den Begriff schön, gut; zum Un- terschiede aber von schön und Schönheit, gut und Güte ge- langt sie nicht; er existirt gar nicht für sie. Begriffe von Substanzen sind Begriffe, Begriffe von Accidenzen sind es eben so, und jeder Begriff bleibt was er ist. Güte ist eine Accidenz, Schönheit ist eine solche, und gut und schön sind ebenfalls Ac- cidenzen und von jenen für die Logik nicht verschieden. Doch hiervon ausführlicher beim Urtheile.
Noch weniger wüßte die Logik das Verhältniß der Ablei- tung zu rechtfertigen. Güte und Schönheit sind von gut und schön abgeleitet; aber umgekehrt verhält sich Tugend zu tu- gendhaft, Furcht zu furchtbar. Man sagt häßlich, Häßlich- keit, aber Laster, lasterhaft. Solche Betrachtungen hat schon der Stoiker Chrysippos angestellt. Er findet, daß die posi- tiven und negativen Wörter nicht immer auch logische Posi- tionen und Negationen ausdrücken, sondern daß das negative Wort einen positiven Begriff, und das positive Wort einen ne- gativen Begriff ausdrückt. In dem Satze z. B. Homer war blind ist blind ein positives Wort; der Begriff der Blindheit aber ist nur die Negation der Sehkraft. Umgekehrt ist unsterb- lich ein negatives Wort; sagt man aber: die Götter sind un- sterblich, so wird mit dem negativen Worte eine positive Ei- genschaft der Götter dargestellt, ihre Ewigkeit.
Dies führt uns auf die beiden Kategorien der Begriffe nach ihrer logischen Betrachtung, nämlich den Inhalt und Umfang der Begriffe und ihren Gegensatz. Was erstern betrifft, so sagen wir allerdings: Faulthier, Rennthier, Elenthier, Tan- nenbaum und deuten also an dem Begriffe den höhern, über- geordneten Begriff an, in dessen Umfang er gehört. Aber wie selten geschieht dies! Löwe, Hund, Eiche u. s. w., Be- sonnenheit, Tapferkeit u. s. w. und überhaupt die Regel in der Benennung der Begriffe zeigt uns, daß die Sprache auf diese Verhältnisse des Begriffs nach seinem Inhalte und Umfange durchaus keine Rücksicht genommen hat. Noch wichtiger viel- leicht für die Logik ist die andere Kategorie, der Gegensatz, und zwar der conträre. Auch ist der conträre Gegensatz bei Becker der Hebel aller Constructionen, der Leitfaden durch das All. Die Sprache aber kennt nur den contradictorischen Ge- gensatz — was auch im Namen liegt — und kennt den con- trären, d. h. den eigentlichen logischen Gegensatz gar nicht.
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überstellt. Die Logik kennt den Begriff schön, gut; zum Un-
terschiede aber von schön und Schönheit, gut und Güte ge-
langt sie nicht; er existirt gar nicht für sie. Begriffe von
Substanzen sind Begriffe, Begriffe von Accidenzen sind es eben
so, und jeder Begriff bleibt was er ist. Güte ist eine Accidenz,
Schönheit ist eine solche, und gut und schön sind ebenfalls Ac-
cidenzen und von jenen für die Logik nicht verschieden. Doch
hiervon ausführlicher beim Urtheile.
Noch weniger wüßte die Logik das Verhältniß der Ablei-
tung zu rechtfertigen. Güte und Schönheit sind von gut und
schön abgeleitet; aber umgekehrt verhält sich Tugend zu tu-
gendhaft, Furcht zu furchtbar. Man sagt häßlich, Häßlich-
keit, aber Laster, lasterhaft. Solche Betrachtungen hat schon
der Stoiker Chrysippos angestellt. Er findet, daß die posi-
tiven und negativen Wörter nicht immer auch logische Posi-
tionen und Negationen ausdrücken, sondern daß das negative
Wort einen positiven Begriff, und das positive Wort einen ne-
gativen Begriff ausdrückt. In dem Satze z. B. Homer war
blind ist blind ein positives Wort; der Begriff der Blindheit
aber ist nur die Negation der Sehkraft. Umgekehrt ist unsterb-
lich ein negatives Wort; sagt man aber: die Götter sind un-
sterblich, so wird mit dem negativen Worte eine positive Ei-
genschaft der Götter dargestellt, ihre Ewigkeit.
Dies führt uns auf die beiden Kategorien der Begriffe nach
ihrer logischen Betrachtung, nämlich den Inhalt und Umfang
der Begriffe und ihren Gegensatz. Was erstern betrifft, so
sagen wir allerdings: Faulthier, Rennthier, Elenthier, Tan-
nenbaum und deuten also an dem Begriffe den höhern, über-
geordneten Begriff an, in dessen Umfang er gehört. Aber
wie selten geschieht dies! Löwe, Hund, Eiche u. s. w., Be-
sonnenheit, Tapferkeit u. s. w. und überhaupt die Regel in der
Benennung der Begriffe zeigt uns, daß die Sprache auf diese
Verhältnisse des Begriffs nach seinem Inhalte und Umfange
durchaus keine Rücksicht genommen hat. Noch wichtiger viel-
leicht für die Logik ist die andere Kategorie, der Gegensatz,
und zwar der conträre. Auch ist der conträre Gegensatz bei
Becker der Hebel aller Constructionen, der Leitfaden durch das
All. Die Sprache aber kennt nur den contradictorischen Ge-
gensatz — was auch im Namen liegt — und kennt den con-
trären, d. h. den eigentlichen logischen Gegensatz gar nicht.
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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