nen Raum in seinem Systeme. Wir können sie aber hier nicht ausführlich erörtern und deuten nur folgende zwei Punkte an. Becker sieht das Organische der Sprache darin, daß Wort und Begriff in ihrer Entwickelung und ihren Verhältnissen durchaus identisch sind; Humboldts Form dagegen beruht gar nicht auf dem Begriff, sondern auf der Eigenthümlichkeit, mit welcher die Sprache den Begriff bearbeitet oder beim Ausdruck des Begriffs verfährt. Die Form ist das oben nach Analogien in der Spra- che gesuchte physiologische Element, welches so wenig in dem Begriff liegen kann, wie für das Auge im Licht, für die Lunge in der Luft. Man sieht hier zugleich abermals, wie Becker bei seiner Identificirung der Sprache mit dem Gedanken gar nicht die Sprache, die Form, den Sprachorganismus berührt hat, son- dern nur den Begriff, wie er an sich, außerhalb der Sprache ist; und wie ihm eben darum, was er den Organism der Spra- che nennt, zur formalen Logik umschlug.
Zweitens: bei Humboldt ist mit dieser Kategorie "Form" die Individualität der Sprache ausgesprochen, also sogleich die Viel- heit von Formen, von individuellen Sprachen gegeben. Nach Humboldt heißt es: weil die Sprache organisch ist, darum giebt es eine mannigfaltige Verschiedenartigkeit in dem Bau der Sprachen. Bei Becker dagegen ist die Mannigfaltigkeit der Spra- chen unwesentlich, Erzeugniß der "organischen Freiheit", ohne erkennbaren Grund, zufällig, und genau genommen unorganisch. Worauf also Humboldt seinen Organismus gründet, das gilt Becker für unorganisch; worauf aber Becker den seinigen bauen will, geht die Sprache gar nichts an, sondern ist Logik.
Wir fahren aber noch ein wenig fort, die in der Einleitung versteckten Bestimmungen des Organischen der Sprache an das Licht zu ziehen. Nachdem Humboldt in den §§. 13--18. die angekündigten Richtungen und Bestrebungen des Sprachverfah- rens dargelegt hat, kehrt er im §. 19. zu dem allgemeinen, diese Richtungen umfassenden Begriff Form zurück, führt aber einen andern Namen ein: "Princip". Warum der andere Name? das ist nicht zu sagen; das ist so Humboldts Manier, in die sich der Leser fügen muß. Daß aber wirklich der Begriff Form, nachdem er von §. 9--18. völlig geruht hat, obgleich ausschließ- lich von seinen Unterschieden die Rede war, endlich §. 19. wieder auftritt unter dem Namen Princip, beweist unläugbar nicht bloß der Zusammenhang des Ganzen, sondern auch die
nen Raum in seinem Systeme. Wir können sie aber hier nicht ausführlich erörtern und deuten nur folgende zwei Punkte an. Becker sieht das Organische der Sprache darin, daß Wort und Begriff in ihrer Entwickelung und ihren Verhältnissen durchaus identisch sind; Humboldts Form dagegen beruht gar nicht auf dem Begriff, sondern auf der Eigenthümlichkeit, mit welcher die Sprache den Begriff bearbeitet oder beim Ausdruck des Begriffs verfährt. Die Form ist das oben nach Analogien in der Spra- che gesuchte physiologische Element, welches so wenig in dem Begriff liegen kann, wie für das Auge im Licht, für die Lunge in der Luft. Man sieht hier zugleich abermals, wie Becker bei seiner Identificirung der Sprache mit dem Gedanken gar nicht die Sprache, die Form, den Sprachorganismus berührt hat, son- dern nur den Begriff, wie er an sich, außerhalb der Sprache ist; und wie ihm eben darum, was er den Organism der Spra- che nennt, zur formalen Logik umschlug.
Zweitens: bei Humboldt ist mit dieser Kategorie „Form“ die Individualität der Sprache ausgesprochen, also sogleich die Viel- heit von Formen, von individuellen Sprachen gegeben. Nach Humboldt heißt es: weil die Sprache organisch ist, darum giebt es eine mannigfaltige Verschiedenartigkeit in dem Bau der Sprachen. Bei Becker dagegen ist die Mannigfaltigkeit der Spra- chen unwesentlich, Erzeugniß der „organischen Freiheit“, ohne erkennbaren Grund, zufällig, und genau genommen unorganisch. Worauf also Humboldt seinen Organismus gründet, das gilt Becker für unorganisch; worauf aber Becker den seinigen bauen will, geht die Sprache gar nichts an, sondern ist Logik.
Wir fahren aber noch ein wenig fort, die in der Einleitung versteckten Bestimmungen des Organischen der Sprache an das Licht zu ziehen. Nachdem Humboldt in den §§. 13—18. die angekündigten Richtungen und Bestrebungen des Sprachverfah- rens dargelegt hat, kehrt er im §. 19. zu dem allgemeinen, diese Richtungen umfassenden Begriff Form zurück, führt aber einen andern Namen ein: „Princip“. Warum der andere Name? das ist nicht zu sagen; das ist so Humboldts Manier, in die sich der Leser fügen muß. Daß aber wirklich der Begriff Form, nachdem er von §. 9—18. völlig geruht hat, obgleich ausschließ- lich von seinen Unterschieden die Rede war, endlich §. 19. wieder auftritt unter dem Namen Princip, beweist unläugbar nicht bloß der Zusammenhang des Ganzen, sondern auch die
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nen Raum in seinem Systeme. Wir können sie aber hier nicht
ausführlich erörtern und deuten nur folgende zwei Punkte an.
Becker sieht das Organische der Sprache darin, daß Wort und
Begriff in ihrer Entwickelung und ihren Verhältnissen durchaus
identisch sind; Humboldts Form dagegen beruht gar nicht auf
dem Begriff, sondern auf der Eigenthümlichkeit, mit welcher die
Sprache den Begriff bearbeitet oder beim Ausdruck des Begriffs
verfährt. Die Form ist das oben nach Analogien in der Spra-
che gesuchte physiologische Element, welches so wenig in dem
Begriff liegen kann, wie für das Auge im Licht, für die Lunge
in der Luft. Man sieht hier zugleich abermals, wie Becker bei
seiner Identificirung der Sprache mit dem Gedanken gar nicht
die Sprache, die Form, den Sprachorganismus berührt hat, son-
dern nur den Begriff, wie er an sich, außerhalb der Sprache
ist; und wie ihm eben darum, was er den Organism der Spra-
che nennt, zur formalen Logik umschlug.
Zweitens: bei Humboldt ist mit dieser Kategorie „Form“ die
Individualität der Sprache ausgesprochen, also sogleich die Viel-
heit von Formen, von individuellen Sprachen gegeben. Nach
Humboldt heißt es: weil die Sprache organisch ist, darum
giebt es eine mannigfaltige Verschiedenartigkeit in dem Bau der
Sprachen. Bei Becker dagegen ist die Mannigfaltigkeit der Spra-
chen unwesentlich, Erzeugniß der „organischen Freiheit“, ohne
erkennbaren Grund, zufällig, und genau genommen unorganisch.
Worauf also Humboldt seinen Organismus gründet, das gilt
Becker für unorganisch; worauf aber Becker den seinigen bauen
will, geht die Sprache gar nichts an, sondern ist Logik.
Wir fahren aber noch ein wenig fort, die in der Einleitung
versteckten Bestimmungen des Organischen der Sprache an das
Licht zu ziehen. Nachdem Humboldt in den §§. 13—18. die
angekündigten Richtungen und Bestrebungen des Sprachverfah-
rens dargelegt hat, kehrt er im §. 19. zu dem allgemeinen, diese
Richtungen umfassenden Begriff Form zurück, führt aber einen
andern Namen ein: „Princip“. Warum der andere Name? das
ist nicht zu sagen; das ist so Humboldts Manier, in die sich
der Leser fügen muß. Daß aber wirklich der Begriff Form,
nachdem er von §. 9—18. völlig geruht hat, obgleich ausschließ-
lich von seinen Unterschieden die Rede war, endlich §. 19.
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/172>, abgerufen am 25.11.2024.
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