ser Erscheinungen einzulassen, faßte man sie im Allgemeinen zusammen unter dem Ausdrucke: Autonomie oder Indivi- dualität der Sprache. Man suchte, wie es scheint, fast mehr eine Entschuldigung als einen Grund für die Verstöße der Sprache gegen die Logik, und die wirkliche Erkenntniß der Sache in der Naivetät des Volksgeistes, welcher die Sprache schuf, in seiner kindlich poetischen Anschauung, welche Todtes belebt, logische Unterschiede übersieht, andere der Anschauung zugänglichere an die Stelle jener setzt u. s. w. Vielleicht spricht sich hier- über Niemand so gut aus wie Trendelenburg (I. S. 317): "Die Sprache stellt überhaupt die Welt des Sprechenden dar und die fremden Dinge als die eigenen. Daher wird sie, je näher dem Anfange, desto mehr eine Richtung auf subjective Bezeichnungen haben. Denn die hervorbrechende Sprache ist die erste leben- dige Rückwirkung des individuellen Geistes gegen den Sturm der Eindrücke von außen. Der Geist befreiet sich von der auf ihm lastenden Masse und von der bunten Menge, indem er die Dinge bezeichnet und sich dadurch in ihnen zurecht findet. Der Sprechende ist sich gleichsam der Mittelpunkt des Weltalls, ähn- lich wie sein Standort als der Mittelpunkt des Horizonts er- scheint, und wie in der geographischen Vorstellung der Kindheit der Wohnort den Mittelpunkt des Erdkreises bildet ... In der Sprache ist der Mensch das Maß der Dinge. -- Mit dieser subjectivirenden Richtung ringt das Recht des sich objectiviren- den Geistes. In dem Erkennen wird das Denken gleichsam zur Sache; es will diese und nur diese in ihren Verhältnissen und ihrer Entstehung. Dieser nothwendige Drang prägt sich dem- nach ebenso in der Sprache aus, und man gewahrt mit der er- starkenden Reflexion diese zweite Richtung, auf ähnliche Weise, wie in der organischen Entwickelung der griechischen Literatur die der Wirklichkeit zugewandte Prosa später als die Poesie erscheint. -- Obwohl sich demnach zwei entgegenstrebende Rich- tungen in der Sprache werden verfolgen lassen, so könnte es doch leicht geschehen, daß diese oder jene Kategorie, die lo- gisch betrachtet auch einen objectiven Charakter hat, in der Sprache nur einen subjectiven Ausdruck empfangen hätte, und es wäre von vorn herein ein wesentlicher Unterschied der grammatischen und logischen Kategorien wahrschein- lich." Diese Bemerkung ist allerdings nur bei Gelegenheit des einen Punktes, nämlich der subjectiven und objectiven Bedeu-
ser Erscheinungen einzulassen, faßte man sie im Allgemeinen zusammen unter dem Ausdrucke: Autonomie oder Indivi- dualität der Sprache. Man suchte, wie es scheint, fast mehr eine Entschuldigung als einen Grund für die Verstöße der Sprache gegen die Logik, und die wirkliche Erkenntniß der Sache in der Naivetät des Volksgeistes, welcher die Sprache schuf, in seiner kindlich poetischen Anschauung, welche Todtes belebt, logische Unterschiede übersieht, andere der Anschauung zugänglichere an die Stelle jener setzt u. s. w. Vielleicht spricht sich hier- über Niemand so gut aus wie Trendelenburg (I. S. 317): „Die Sprache stellt überhaupt die Welt des Sprechenden dar und die fremden Dinge als die eigenen. Daher wird sie, je näher dem Anfange, desto mehr eine Richtung auf subjective Bezeichnungen haben. Denn die hervorbrechende Sprache ist die erste leben- dige Rückwirkung des individuellen Geistes gegen den Sturm der Eindrücke von außen. Der Geist befreiet sich von der auf ihm lastenden Masse und von der bunten Menge, indem er die Dinge bezeichnet und sich dadurch in ihnen zurecht findet. Der Sprechende ist sich gleichsam der Mittelpunkt des Weltalls, ähn- lich wie sein Standort als der Mittelpunkt des Horizonts er- scheint, und wie in der geographischen Vorstellung der Kindheit der Wohnort den Mittelpunkt des Erdkreises bildet … In der Sprache ist der Mensch das Maß der Dinge. — Mit dieser subjectivirenden Richtung ringt das Recht des sich objectiviren- den Geistes. In dem Erkennen wird das Denken gleichsam zur Sache; es will diese und nur diese in ihren Verhältnissen und ihrer Entstehung. Dieser nothwendige Drang prägt sich dem- nach ebenso in der Sprache aus, und man gewahrt mit der er- starkenden Reflexion diese zweite Richtung, auf ähnliche Weise, wie in der organischen Entwickelung der griechischen Literatur die der Wirklichkeit zugewandte Prosa später als die Poesie erscheint. — Obwohl sich demnach zwei entgegenstrebende Rich- tungen in der Sprache werden verfolgen lassen, so könnte es doch leicht geschehen, daß diese oder jene Kategorie, die lo- gisch betrachtet auch einen objectiven Charakter hat, in der Sprache nur einen subjectiven Ausdruck empfangen hätte, und es wäre von vorn herein ein wesentlicher Unterschied der grammatischen und logischen Kategorien wahrschein- lich.“ Diese Bemerkung ist allerdings nur bei Gelegenheit des einen Punktes, nämlich der subjectiven und objectiven Bedeu-
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ser Erscheinungen einzulassen, faßte man sie im Allgemeinen
zusammen unter dem Ausdrucke: Autonomie oder Indivi-
dualität der Sprache. Man suchte, wie es scheint, fast mehr eine
Entschuldigung als einen Grund für die Verstöße der Sprache
gegen die Logik, und die wirkliche Erkenntniß der Sache in der
Naivetät des Volksgeistes, welcher die Sprache schuf, in seiner
kindlich poetischen Anschauung, welche Todtes belebt, logische
Unterschiede übersieht, andere der Anschauung zugänglichere
an die Stelle jener setzt u. s. w. Vielleicht spricht sich hier-
über Niemand so gut aus wie Trendelenburg (I. S. 317): „Die
Sprache stellt überhaupt die Welt des Sprechenden dar und die
fremden Dinge als die eigenen. Daher wird sie, je näher dem
Anfange, desto mehr eine Richtung auf subjective Bezeichnungen
haben. Denn die hervorbrechende Sprache ist die erste leben-
dige Rückwirkung des individuellen Geistes gegen den Sturm
der Eindrücke von außen. Der Geist befreiet sich von der auf
ihm lastenden Masse und von der bunten Menge, indem er die
Dinge bezeichnet und sich dadurch in ihnen zurecht findet. Der
Sprechende ist sich gleichsam der Mittelpunkt des Weltalls, ähn-
lich wie sein Standort als der Mittelpunkt des Horizonts er-
scheint, und wie in der geographischen Vorstellung der Kindheit
der Wohnort den Mittelpunkt des Erdkreises bildet … In der
Sprache ist der Mensch das Maß der Dinge. — Mit dieser
subjectivirenden Richtung ringt das Recht des sich objectiviren-
den Geistes. In dem Erkennen wird das Denken gleichsam zur
Sache; es will diese und nur diese in ihren Verhältnissen und
ihrer Entstehung. Dieser nothwendige Drang prägt sich dem-
nach ebenso in der Sprache aus, und man gewahrt mit der er-
starkenden Reflexion diese zweite Richtung, auf ähnliche Weise,
wie in der organischen Entwickelung der griechischen Literatur
die der Wirklichkeit zugewandte Prosa später als die Poesie
erscheint. — Obwohl sich demnach zwei entgegenstrebende Rich-
tungen in der Sprache werden verfolgen lassen, so könnte es
doch leicht geschehen, daß diese oder jene Kategorie, die lo-
gisch betrachtet auch einen objectiven Charakter hat, in der
Sprache nur einen subjectiven Ausdruck empfangen hätte, und
es wäre von vorn herein ein wesentlicher Unterschied der
grammatischen und logischen Kategorien wahrschein-
lich.“ Diese Bemerkung ist allerdings nur bei Gelegenheit des
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/155>, abgerufen am 23.11.2024.
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