ner Logik und Metaphysik. Er sagt (Organ. §. 25): "Die Ver- richtung des Denkens und die eigentliche Aufgabe des denken- den Geistes besteht darin, daß der Geist die durch die Sinne angeschaute Welt in sich aufnimmt, und durch eine organische Assimilation die reale Welt der Dinge in eine geistige Welt der Gedanken und Begriffe umschafft." Schelling und Hegel, indem sie die Natur dachten, schufen dieselbe; Becker, indem er sie denkt, vernichtet sie; die Wirklichkeit schwindet und löst sich in Geist auf, in Idealität, Begriff und Gedanke. Wir wür- den hiermit die eigentliche Nothwendigkeit der Hegelianer be- griffen haben (würden uns nicht von den Beckerianern bald alle realen Dinge ganz organisch in geistige verwandelt worden sein, wenn jene nicht sie immer wieder frisch geschaffen hätten?), wenn nur die im letzten Theile des obigen Beckerschen Sa- tzes enthaltene Behauptung aus der im ersten Theile wirklich folgte; aus dieser aber folgt nur, daß der Geist -- nicht die realen Dinge -- die sinnlichen Anschauungen von den realen Dingen in Begriffe umschaffe. Oder sind vielleicht auch die sinnlichen Anschauungen schon bloß umgeschaffene reale Dinge? Das ist wenigstens noch nicht gesagt. So sei es denn hiermit geschehen, und sehen wir nun, wie diese "organische Assimila- tion" zu Stande kommt.
"Die sinnliche Anschauung bietet aber eine unendliche Man- nigfaltigkeit von Dingen als ein Aggregat von individuel- len Dingen dar, deren jedes als ein in sich identisches auf- gefaßt wird, und die Dinge" (d. h. auch nur die Anschauungen davon) "können nicht als ein solches Aggregat von individuel- len Dingen in den menschlichen Geist aufgenommen werden... Bei einer tiefer eingehenden Betrachtung der realen Welt wird man bald gewahr, daß auch sie an sich nicht, wie sie den Sin- nen erscheint, ein Aggregat von Einzeldingen ist, sondern sich als ein organisch gegliedertes Ganze entwickelt hat und noch fortwährend entwickelt." Hier haben wir dieselbe unorganische Hast wieder, die uns ihr organisch gegliedertes Ganzes an den Kopf wirft, der wir schon oben begegnet sind. Becker ist nun abermals fertig, bevor er angefangen hat, und, es versteht sich nun von selbst, er gelangt nicht zum Anfang, also noch weni- ger zu einem inhaltsvollen Ende. Woher kommt denn hier am Anfang, wo wir eben noch ganz in der sinnlichen Anschauung sind, sogleich "eine tiefer eingehende Betrachtung der Natur"?
ner Logik und Metaphysik. Er sagt (Organ. §. 25): „Die Ver- richtung des Denkens und die eigentliche Aufgabe des denken- den Geistes besteht darin, daß der Geist die durch die Sinne angeschaute Welt in sich aufnimmt, und durch eine organische Assimilation die reale Welt der Dinge in eine geistige Welt der Gedanken und Begriffe umschafft.“ Schelling und Hegel, indem sie die Natur dachten, schufen dieselbe; Becker, indem er sie denkt, vernichtet sie; die Wirklichkeit schwindet und löst sich in Geist auf, in Idealität, Begriff und Gedanke. Wir wür- den hiermit die eigentliche Nothwendigkeit der Hegelianer be- griffen haben (würden uns nicht von den Beckerianern bald alle realen Dinge ganz organisch in geistige verwandelt worden sein, wenn jene nicht sie immer wieder frisch geschaffen hätten?), wenn nur die im letzten Theile des obigen Beckerschen Sa- tzes enthaltene Behauptung aus der im ersten Theile wirklich folgte; aus dieser aber folgt nur, daß der Geist — nicht die realen Dinge — die sinnlichen Anschauungen von den realen Dingen in Begriffe umschaffe. Oder sind vielleicht auch die sinnlichen Anschauungen schon bloß umgeschaffene reale Dinge? Das ist wenigstens noch nicht gesagt. So sei es denn hiermit geschehen, und sehen wir nun, wie diese „organische Assimila- tion“ zu Stande kommt.
„Die sinnliche Anschauung bietet aber eine unendliche Man- nigfaltigkeit von Dingen als ein Aggregat von individuel- len Dingen dar, deren jedes als ein in sich identisches auf- gefaßt wird, und die Dinge“ (d. h. auch nur die Anschauungen davon) „können nicht als ein solches Aggregat von individuel- len Dingen in den menschlichen Geist aufgenommen werden… Bei einer tiefer eingehenden Betrachtung der realen Welt wird man bald gewahr, daß auch sie an sich nicht, wie sie den Sin- nen erscheint, ein Aggregat von Einzeldingen ist, sondern sich als ein organisch gegliedertes Ganze entwickelt hat und noch fortwährend entwickelt.“ Hier haben wir dieselbe unorganische Hast wieder, die uns ihr organisch gegliedertes Ganzes an den Kopf wirft, der wir schon oben begegnet sind. Becker ist nun abermals fertig, bevor er angefangen hat, und, es versteht sich nun von selbst, er gelangt nicht zum Anfang, also noch weni- ger zu einem inhaltsvollen Ende. Woher kommt denn hier am Anfang, wo wir eben noch ganz in der sinnlichen Anschauung sind, sogleich „eine tiefer eingehende Betrachtung der Natur“?
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ner Logik und Metaphysik. Er sagt (Organ. §. 25): „Die Ver-
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den Geistes besteht darin, daß der Geist die durch die Sinne
angeschaute Welt in sich aufnimmt, und durch eine organische
Assimilation die reale Welt der Dinge in eine geistige Welt
der Gedanken und Begriffe umschafft.“ Schelling und Hegel,
indem sie die Natur dachten, schufen dieselbe; Becker, indem
er sie denkt, vernichtet sie; die Wirklichkeit schwindet und löst
sich in Geist auf, in Idealität, Begriff und Gedanke. Wir wür-
den hiermit die eigentliche Nothwendigkeit der Hegelianer be-
griffen haben (würden uns nicht von den Beckerianern bald
alle realen Dinge ganz organisch in geistige verwandelt worden
sein, wenn jene nicht sie immer wieder frisch geschaffen hätten?),
wenn nur die im letzten Theile des obigen Beckerschen Sa-
tzes enthaltene Behauptung aus der im ersten Theile wirklich
folgte; aus dieser aber folgt nur, daß der Geist — nicht die
realen Dinge — die sinnlichen Anschauungen von den realen
Dingen in Begriffe umschaffe. Oder sind vielleicht auch die
sinnlichen Anschauungen schon bloß umgeschaffene reale Dinge?
Das ist wenigstens noch nicht gesagt. So sei es denn hiermit
geschehen, und sehen wir nun, wie diese „organische Assimila-
tion“ zu Stande kommt.
„Die sinnliche Anschauung bietet aber eine unendliche Man-
nigfaltigkeit von Dingen als ein Aggregat von individuel-
len Dingen dar, deren jedes als ein in sich identisches auf-
gefaßt wird, und die Dinge“ (d. h. auch nur die Anschauungen
davon) „können nicht als ein solches Aggregat von individuel-
len Dingen in den menschlichen Geist aufgenommen werden…
Bei einer tiefer eingehenden Betrachtung der realen Welt wird
man bald gewahr, daß auch sie an sich nicht, wie sie den Sin-
nen erscheint, ein Aggregat von Einzeldingen ist, sondern sich
als ein organisch gegliedertes Ganze entwickelt hat und noch
fortwährend entwickelt.“ Hier haben wir dieselbe unorganische
Hast wieder, die uns ihr organisch gegliedertes Ganzes an den
Kopf wirft, der wir schon oben begegnet sind. Becker ist nun
abermals fertig, bevor er angefangen hat, und, es versteht sich
nun von selbst, er gelangt nicht zum Anfang, also noch weni-
ger zu einem inhaltsvollen Ende. Woher kommt denn hier am
Anfang, wo wir eben noch ganz in der sinnlichen Anschauung
sind, sogleich „eine tiefer eingehende Betrachtung der Natur“?
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/117>, abgerufen am 11.12.2024.
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