Formel im Munde wähnt er sich so sicher, daß er die Schwie- rigkeiten und Hindernisse auf seiner Bahn nicht einmal beachtet. Dadurch wird aber jene Formel eben nur zur leeren Phrase, welche, alles wirklichen Denkens spottend, nur der Spott aller wirklichen Denker sein kann.
Der Beckersche Begriff des Organismus, das Princip, war ganz auf den Satz gegründet, daß im All ein schöpferischer Gedanke leiblich, ein Inneres äußerlich werde, ein Allgemeines sich im Besondern verwirkliche und gestalte; und auch die or- ganische Natur der Sprache hatte demgemäß ihren Kern darin, daß in ihr ein Inneres in die Erscheinung trete. Diese meta- physische Voraussetzung hat Becker freilich nicht begründet, nicht einmal zu begründen versucht, nur dogmatisch hingestellt! aber auch noch nicht einmal klar dargestellt! Wenn wir daher wollten, könnten wir diese Voraussetzung eben so dogmatisch läugnen, nur kurzweg achselzuckend bezweifeln -- und wir wä- ren mit Becker fertig; d. h. er hat sich kein Recht, keinen An- spruch auf unsere Anerkennung, ja nur auf unsere Berücksich- tigung erworben. Wir dürften ihn schlechtweg beseitigen, un- gehört lassen; aber wir hätten ihn nicht kritisirt. Wir neh- men also die Voraussetzung als solche ruhig hin und fragen nur: welchen Gebrauch hat Becker von ihr gemacht? wie schreitet er von ihr aus weiter vor?
Er sagt (§. 4): "Wie nun das allgemeine Leben sich in einer unendlichen Mannigfaltigkeit besonderer Arten und Unter- arten von organischen Dingen gewissermaßen in besondere Le- bensfunctionen scheidet; so stellt sich wieder die in einem orga- nischen Dinge ausgeprägte besondere Lebensfunction, die gleich- sam den Begriff des organischen Dinges ausmacht, in einer Man- nigfaltigkeit besonderer Organe dar." Gleich bei diesem ersten Schritte über die Voraussetzung hinaus, oder noch in ihrer nä- hern Darlegung selbst, geräth Becker schon in jenes Spielen mit Analogien, in ein Geistreicheln mit "gleichsam" und "gewisser- maßen". Wissenschaftlichem Ernste wird dabei nicht wohl zu Muthe. Was wird denn mit dieser bei Becker so häufig wie- derkehrenden Redewendung "wie ... so" gesagt? an sich noch gar nichts: da hiermit zunächst nur die Frage von dem einen Punkte, dem So, auf den andern, das Wie, verschoben wird. Dieses Wie aber schließt die Frage in sich, und so lange es nicht beantwortet ist, ist durch die Verschiebung nichts gewon-
Formel im Munde wähnt er sich so sicher, daß er die Schwie- rigkeiten und Hindernisse auf seiner Bahn nicht einmal beachtet. Dadurch wird aber jene Formel eben nur zur leeren Phrase, welche, alles wirklichen Denkens spottend, nur der Spott aller wirklichen Denker sein kann.
Der Beckersche Begriff des Organismus, das Princip, war ganz auf den Satz gegründet, daß im All ein schöpferischer Gedanke leiblich, ein Inneres äußerlich werde, ein Allgemeines sich im Besondern verwirkliche und gestalte; und auch die or- ganische Natur der Sprache hatte demgemäß ihren Kern darin, daß in ihr ein Inneres in die Erscheinung trete. Diese meta- physische Voraussetzung hat Becker freilich nicht begründet, nicht einmal zu begründen versucht, nur dogmatisch hingestellt! aber auch noch nicht einmal klar dargestellt! Wenn wir daher wollten, könnten wir diese Voraussetzung eben so dogmatisch läugnen, nur kurzweg achselzuckend bezweifeln — und wir wä- ren mit Becker fertig; d. h. er hat sich kein Recht, keinen An- spruch auf unsere Anerkennung, ja nur auf unsere Berücksich- tigung erworben. Wir dürften ihn schlechtweg beseitigen, un- gehört lassen; aber wir hätten ihn nicht kritisirt. Wir neh- men also die Voraussetzung als solche ruhig hin und fragen nur: welchen Gebrauch hat Becker von ihr gemacht? wie schreitet er von ihr aus weiter vor?
Er sagt (§. 4): „Wie nun das allgemeine Leben sich in einer unendlichen Mannigfaltigkeit besonderer Arten und Unter- arten von organischen Dingen gewissermaßen in besondere Le- bensfunctionen scheidet; so stellt sich wieder die in einem orga- nischen Dinge ausgeprägte besondere Lebensfunction, die gleich- sam den Begriff des organischen Dinges ausmacht, in einer Man- nigfaltigkeit besonderer Organe dar.“ Gleich bei diesem ersten Schritte über die Voraussetzung hinaus, oder noch in ihrer nä- hern Darlegung selbst, geräth Becker schon in jenes Spielen mit Analogien, in ein Geistreicheln mit „gleichsam“ und „gewisser- maßen“. Wissenschaftlichem Ernste wird dabei nicht wohl zu Muthe. Was wird denn mit dieser bei Becker so häufig wie- derkehrenden Redewendung „wie … so“ gesagt? an sich noch gar nichts: da hiermit zunächst nur die Frage von dem einen Punkte, dem So, auf den andern, das Wie, verschoben wird. Dieses Wie aber schließt die Frage in sich, und so lange es nicht beantwortet ist, ist durch die Verschiebung nichts gewon-
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Formel im Munde wähnt er sich so sicher, daß er die Schwie-
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Dadurch wird aber jene Formel eben nur zur leeren Phrase,
welche, alles wirklichen Denkens spottend, nur der Spott aller
wirklichen Denker sein kann.
Der Beckersche Begriff des Organismus, das Princip, war
ganz auf den Satz gegründet, daß im All ein schöpferischer
Gedanke leiblich, ein Inneres äußerlich werde, ein Allgemeines
sich im Besondern verwirkliche und gestalte; und auch die or-
ganische Natur der Sprache hatte demgemäß ihren Kern darin,
daß in ihr ein Inneres in die Erscheinung trete. Diese meta-
physische Voraussetzung hat Becker freilich nicht begründet,
nicht einmal zu begründen versucht, nur dogmatisch hingestellt!
aber auch noch nicht einmal klar dargestellt! Wenn wir daher
wollten, könnten wir diese Voraussetzung eben so dogmatisch
läugnen, nur kurzweg achselzuckend bezweifeln — und wir wä-
ren mit Becker fertig; d. h. er hat sich kein Recht, keinen An-
spruch auf unsere Anerkennung, ja nur auf unsere Berücksich-
tigung erworben. Wir dürften ihn schlechtweg beseitigen, un-
gehört lassen; aber wir hätten ihn nicht kritisirt. Wir neh-
men also die Voraussetzung als solche ruhig hin und fragen nur:
welchen Gebrauch hat Becker von ihr gemacht? wie schreitet
er von ihr aus weiter vor?
Er sagt (§. 4): „Wie nun das allgemeine Leben sich in
einer unendlichen Mannigfaltigkeit besonderer Arten und Unter-
arten von organischen Dingen gewissermaßen in besondere Le-
bensfunctionen scheidet; so stellt sich wieder die in einem orga-
nischen Dinge ausgeprägte besondere Lebensfunction, die gleich-
sam den Begriff des organischen Dinges ausmacht, in einer Man-
nigfaltigkeit besonderer Organe dar.“ Gleich bei diesem ersten
Schritte über die Voraussetzung hinaus, oder noch in ihrer nä-
hern Darlegung selbst, geräth Becker schon in jenes Spielen mit
Analogien, in ein Geistreicheln mit „gleichsam“ und „gewisser-
maßen“. Wissenschaftlichem Ernste wird dabei nicht wohl zu
Muthe. Was wird denn mit dieser bei Becker so häufig wie-
derkehrenden Redewendung „wie … so“ gesagt? an sich noch
gar nichts: da hiermit zunächst nur die Frage von dem einen
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/110>, abgerufen am 18.12.2024.
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