Einzelne Indianerstämme wurden auch mit lebendiger Pantomime wegen ihrer Absonderlichkeiten verspottet; die Nahuqua waren komisch wegen ihres Bartes, die Suya oder, wie die Bakairi sagten, Schuya mussten mit ihrer Kork- scheibe, die sie in der Unterlippe tragen, herhalten, wobei die Schauspieler ihre Unterlippe stark nach vorn spannten und ein gemachtes Kauderwälsch von schnappenden Tönen hervorstiessen; die Trumai wurden mit einem grausigen "huhuhuhu" wiedergegeben und in ihrer barbarischen Gewohnheit, dass sie die Kriegsgefangenen mit hinten zusammengebundenen Armen in den Fluss warfen, ein Gegenstand halb des Hohns oder Abscheus, halb der Furcht vor Augen geführt.
Ich darf wohl gleich erwähnen, dass sich die Mimik der Bakairi mutatis mutandis mit mehr oder weniger Temperament bei allen Stämmen wiederholte, dass nur die Interjektionen verschieden, die Geberden aber genau dieselben waren. Hier im Tabakkollegium lernte ich denn auch die Steinbeilpantomime zuerst kennen, die wir später, so rührend sie an und für sich war, bis zum Ueberdruss bei jedem Stamm über uns ergehen lassen mussten. Sie schilderte den Gegen- satz zwischen dem Steinbeil und dem Eisenbeil, das ihnen von Antonio sofort demonstrirt worden war, und hatte für mein Empfinden, ehe ich durch die Wiederholung abgestumpft wurde, ja im Anfang noch, weil sie sich so unerbittlich wiederholte, etwas ungemein Ergreifendes als eine Art stammelnden Protestes der metalllosen Menschheit gegen die zermalmenden Hammerschläge der Kultur, eines Protestes, der so, wie ich ihn hier noch erlebte, tausendfach in allen Erd- teilen ungehört verhallt sein muss.
Wie quält sich der Bakairi, um einen Baum zu fällen: frühmorgens, wenn die Sonne tschischi aufgeht, -- dort im Osten steigt sie -- beginnt er die Steinaxt zu schwingen. Und tschischi wandert aufwärts und der Bakairi schlägt wacker immerzu, tsök, tsök, tsök. Immer mehr ermüden die Arme -- sie werden ge- rieben und sinken schlaff nieder, es wird ein kleiner matter Luftstoss aus dem Mund geblasen und über das erschöpfte Gesicht gestrichen; weiter schlägt er, aber nicht mehr mit tsök, tsök, sondern einem aus dem Grunde der Brust geholten Aechzen. Die Sonne steht oben im Zenith; der Leib -- die flache Hand reibt darüber oder legt sich tief in eine Falte hinein -- ist leer; wie hungrig ist der Bakairi -- das Gesicht wird zu kläglichstem Ausdruck verzogen: endlich, wenn tschischi schon tief unten steht, fällt ein Baum: tokale = 1 zeigt der Kleinfinger. Aber Du, der Karaibe, -- plötzlich ist Alles an dem Mimiker Leben und Kraft -- der Karaibe nimmt seine Eisenaxt, reisst sie hoch empor, schlägt sie wuchtig nieder, tsök tsök, pum -- ah . . . ., da liegt der Baum, ein fester Fusstritt, schon auf dem Boden. Und da und dort und wieder hier, überall sieht man sie fallen. Schlussfolgerung für den Karaiben: gieb uns Deine Eisenäxte.
Keine Thätigkeit eines Werkzeugs aus Metall, Stein, Zahn oder Holz wurde besprochen oder es erschienen auch entsprechend malende Laute. Es ist richtig, dass ein guter Teil auf Rechnung des Verkehrs mit mir, der nur die Anfangs- gründe ihrer Sprache kannte, zu setzen war; sie waren sparsamer mit diesen
Einzelne Indianerstämme wurden auch mit lebendiger Pantomime wegen ihrer Absonderlichkeiten verspottet; die Nahuquá waren komisch wegen ihres Bartes, die Suyá oder, wie die Bakaïrí sagten, Schuyá mussten mit ihrer Kork- scheibe, die sie in der Unterlippe tragen, herhalten, wobei die Schauspieler ihre Unterlippe stark nach vorn spannten und ein gemachtes Kauderwälsch von schnappenden Tönen hervorstiessen; die Trumaí wurden mit einem grausigen »huhuhuhu« wiedergegeben und in ihrer barbarischen Gewohnheit, dass sie die Kriegsgefangenen mit hinten zusammengebundenen Armen in den Fluss warfen, ein Gegenstand halb des Hohns oder Abscheus, halb der Furcht vor Augen geführt.
Ich darf wohl gleich erwähnen, dass sich die Mimik der Bakaïrí mutatis mutandis mit mehr oder weniger Temperament bei allen Stämmen wiederholte, dass nur die Interjektionen verschieden, die Geberden aber genau dieselben waren. Hier im Tabakkollegium lernte ich denn auch die Steinbeilpantomime zuerst kennen, die wir später, so rührend sie an und für sich war, bis zum Ueberdruss bei jedem Stamm über uns ergehen lassen mussten. Sie schilderte den Gegen- satz zwischen dem Steinbeil und dem Eisenbeil, das ihnen von Antonio sofort demonstrirt worden war, und hatte für mein Empfinden, ehe ich durch die Wiederholung abgestumpft wurde, ja im Anfang noch, weil sie sich so unerbittlich wiederholte, etwas ungemein Ergreifendes als eine Art stammelnden Protestes der metalllosen Menschheit gegen die zermalmenden Hammerschläge der Kultur, eines Protestes, der so, wie ich ihn hier noch erlebte, tausendfach in allen Erd- teilen ungehört verhallt sein muss.
Wie quält sich der Bakaïrí, um einen Baum zu fällen: frühmorgens, wenn die Sonne tschischi aufgeht, — dort im Osten steigt sie — beginnt er die Steinaxt zu schwingen. Und tschischi wandert aufwärts und der Bakaïrí schlägt wacker immerzu, tsök, tsök, tsök. Immer mehr ermüden die Arme — sie werden ge- rieben und sinken schlaff nieder, es wird ein kleiner matter Luftstoss aus dem Mund geblasen und über das erschöpfte Gesicht gestrichen; weiter schlägt er, aber nicht mehr mit tsök, tsök, sondern einem aus dem Grunde der Brust geholten Aechzen. Die Sonne steht oben im Zenith; der Leib — die flache Hand reibt darüber oder legt sich tief in eine Falte hinein — ist leer; wie hungrig ist der Bakaïrí — das Gesicht wird zu kläglichstem Ausdruck verzogen: endlich, wenn tschischi schon tief unten steht, fällt ein Baum: tokále = 1 zeigt der Kleinfinger. Aber Du, der Karaibe, — plötzlich ist Alles an dem Mimiker Leben und Kraft — der Karaibe nimmt seine Eisenaxt, reisst sie hoch empor, schlägt sie wuchtig nieder, tsök tsök, pum — āh . . . ., da liegt der Baum, ein fester Fusstritt, schon auf dem Boden. Und da und dort und wieder hier, überall sieht man sie fallen. Schlussfolgerung für den Karaiben: gieb uns Deine Eisenäxte.
Keine Thätigkeit eines Werkzeugs aus Metall, Stein, Zahn oder Holz wurde besprochen oder es erschienen auch entsprechend malende Laute. Es ist richtig, dass ein guter Teil auf Rechnung des Verkehrs mit mir, der nur die Anfangs- gründe ihrer Sprache kannte, zu setzen war; sie waren sparsamer mit diesen
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[71/0099]
Einzelne Indianerstämme wurden auch mit lebendiger Pantomime wegen
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Bartes, die Suyá oder, wie die Bakaïrí sagten, Schuyá mussten mit ihrer Kork-
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Unterlippe stark nach vorn spannten und ein gemachtes Kauderwälsch von
schnappenden Tönen hervorstiessen; die Trumaí wurden mit einem grausigen
»huhuhuhu« wiedergegeben und in ihrer barbarischen Gewohnheit, dass sie die
Kriegsgefangenen mit hinten zusammengebundenen Armen in den Fluss warfen, ein
Gegenstand halb des Hohns oder Abscheus, halb der Furcht vor Augen geführt.
Ich darf wohl gleich erwähnen, dass sich die Mimik der Bakaïrí mutatis
mutandis mit mehr oder weniger Temperament bei allen Stämmen wiederholte,
dass nur die Interjektionen verschieden, die Geberden aber genau dieselben waren.
Hier im Tabakkollegium lernte ich denn auch die Steinbeilpantomime zuerst
kennen, die wir später, so rührend sie an und für sich war, bis zum Ueberdruss
bei jedem Stamm über uns ergehen lassen mussten. Sie schilderte den Gegen-
satz zwischen dem Steinbeil und dem Eisenbeil, das ihnen von Antonio sofort
demonstrirt worden war, und hatte für mein Empfinden, ehe ich durch die
Wiederholung abgestumpft wurde, ja im Anfang noch, weil sie sich so unerbittlich
wiederholte, etwas ungemein Ergreifendes als eine Art stammelnden Protestes
der metalllosen Menschheit gegen die zermalmenden Hammerschläge der Kultur,
eines Protestes, der so, wie ich ihn hier noch erlebte, tausendfach in allen Erd-
teilen ungehört verhallt sein muss.
Wie quält sich der Bakaïrí, um einen Baum zu fällen: frühmorgens, wenn
die Sonne tschischi aufgeht, — dort im Osten steigt sie — beginnt er die Steinaxt
zu schwingen. Und tschischi wandert aufwärts und der Bakaïrí schlägt wacker
immerzu, tsök, tsök, tsök. Immer mehr ermüden die Arme — sie werden ge-
rieben und sinken schlaff nieder, es wird ein kleiner matter Luftstoss aus dem
Mund geblasen und über das erschöpfte Gesicht gestrichen; weiter schlägt er,
aber nicht mehr mit tsök, tsök, sondern einem aus dem Grunde der Brust geholten
Aechzen. Die Sonne steht oben im Zenith; der Leib — die flache Hand reibt
darüber oder legt sich tief in eine Falte hinein — ist leer; wie hungrig ist der
Bakaïrí — das Gesicht wird zu kläglichstem Ausdruck verzogen: endlich, wenn
tschischi schon tief unten steht, fällt ein Baum: tokále = 1 zeigt der Kleinfinger.
Aber Du, der Karaibe, — plötzlich ist Alles an dem Mimiker Leben und Kraft —
der Karaibe nimmt seine Eisenaxt, reisst sie hoch empor, schlägt sie wuchtig
nieder, tsök tsök, pum — āh . . . ., da liegt der Baum, ein fester Fusstritt, schon
auf dem Boden. Und da und dort und wieder hier, überall sieht man sie fallen.
Schlussfolgerung für den Karaiben: gieb uns Deine Eisenäxte.
Keine Thätigkeit eines Werkzeugs aus Metall, Stein, Zahn oder Holz wurde
besprochen oder es erschienen auch entsprechend malende Laute. Es ist richtig,
dass ein guter Teil auf Rechnung des Verkehrs mit mir, der nur die Anfangs-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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