schicklichkeit den fertigen Fladen auf ein Sieb werfend, die Kinder schleckten Püserego und spielten Fangball mit federverzierten Maisbällen, und vier Frauen und Mädchen drehten die Fäden aus Palmfaser, falteten die "Röckchen" aus braungelbem Blatt und lieferten mir die zierliche Arbeit massenweise in allen Grössen. Das Einzige, was ich zugeben muss, ist das, dass eine Frau sehr ver- blüfft war und ratlos um sich blickte, als ich ein Uluri verlangte, das sie anhatte. Allein an dieser Verlegenheit hatte ein auf die Entblössung bezogenes Scham- gefühl keinen Anteil, sondern was von Schamgefühl vorhanden war, sollte ein physiologisches genannt werden, dessen Existenz ich nicht bestreite. Als ich nun mehrere Frauen gleichzeitig um ihre Uluris bat und durch Verweisen auf die Sammlung jedes Missverständnis ausschloss, wurde mir "anstandslos" und lachend gewillfahrt.
Dagegen beobachtete ich ein deutliches Schamgefühl bei ganz anderem Anlass, und zwar beim -- Essen. Ich hatte nur Gelegenheit, es bei den Männern festzustellen, und möchte vermuten, dass es den Frauen erst recht nicht fehlte.
Am Abend des 13. September bot mir Tumayaua draussen auf dem Platz, wo wir Männer plaudernd bei dem Mandiokagestell standen, ein Stück Fisch an, das ich hocherfreut sofort verspeisen wollte. Alle senkten die Häupter, blickten mit dem Ausdruck peinlicher Verlegenheit vor sich nieder oder wandten sich ab, und Paleko deutete nach meiner Hütte. Sie schämten sich. Erstaunt und be- troffen ging ich in das Flötenhaus, den Fisch zu verzehren. Ich hatte die Mahl- zeit noch nicht beendet, als Kulekule eintrat, der über den Gebrauch einer ihm geschenkten Angel näher belehrt werden wollte. Mit einem Gesicht, das deutlich sagte: "ah, Sie sind noch nicht fertig", setzte er sich nieder auf den Boden, schweigend, abgewandt und mit gesenktem Kopf und wartete. Am nächsten Abend erhielt ich draussen wieder Fisch, doch war es schon dunkel: ich ass, mich bescheidentlich dem finstern Baumgrund zukehrend und schien so keinen Anstoss zu erregen.
Als Paleko mir den Topf mit kleinen Fischen brachte, waren wir beide allein im Flötenhaus; er kehrte mir den Rücken zu und sprach kein Wort während der langen Zeit, dass ich mit den Gräten kämpfte. Ich gab Tumayaua von unserm Bohnengericht; er nahm die Portion und ging bis zu seinem Hause, wo er sich hinsetzte, ass und zwischendurch, aber ohne den Kopf zu wenden, herüberrufend sich auch an unserer Unterhaltung beteiligte. Er hatte sich also mit voller Absicht entfernt. Im Hause assen die Frauen jede für sich in der Nähe der Feuerstelle, sie brachten den Männern das Mahl, und Jeder ass auf seinem Platz. Dabei machte es sich Alakuai z. B. sehr bequem, indem er in der Hängematte liegend zu dem Topf auf dem Boden hinablangte, mit den Fingern hineinfuhr und sie sich schaukelnd abschleckte, aber Keiner behelligte den Andern mit seiner Gesellschaft. Mit dem Beijuessen war man vielleicht etwas liberaler, wenigstens mir gegenüber, doch sah ich die Männer Abends häufig einzeln bei- seite gehen, ein Stück zu verzehren. Ehrenreich hat später bei den Karaja
schicklichkeit den fertigen Fladen auf ein Sieb werfend, die Kinder schleckten Püserego und spielten Fangball mit federverzierten Maisbällen, und vier Frauen und Mädchen drehten die Fäden aus Palmfaser, falteten die »Röckchen« aus braungelbem Blatt und lieferten mir die zierliche Arbeit massenweise in allen Grössen. Das Einzige, was ich zugeben muss, ist das, dass eine Frau sehr ver- blüfft war und ratlos um sich blickte, als ich ein Uluri verlangte, das sie anhatte. Allein an dieser Verlegenheit hatte ein auf die Entblössung bezogenes Scham- gefühl keinen Anteil, sondern was von Schamgefühl vorhanden war, sollte ein physiologisches genannt werden, dessen Existenz ich nicht bestreite. Als ich nun mehrere Frauen gleichzeitig um ihre Uluris bat und durch Verweisen auf die Sammlung jedes Missverständnis ausschloss, wurde mir »anstandslos« und lachend gewillfahrt.
Dagegen beobachtete ich ein deutliches Schamgefühl bei ganz anderem Anlass, und zwar beim — Essen. Ich hatte nur Gelegenheit, es bei den Männern festzustellen, und möchte vermuten, dass es den Frauen erst recht nicht fehlte.
Am Abend des 13. September bot mir Tumayaua draussen auf dem Platz, wo wir Männer plaudernd bei dem Mandiokagestell standen, ein Stück Fisch an, das ich hocherfreut sofort verspeisen wollte. Alle senkten die Häupter, blickten mit dem Ausdruck peinlicher Verlegenheit vor sich nieder oder wandten sich ab, und Paleko deutete nach meiner Hütte. Sie schämten sich. Erstaunt und be- troffen ging ich in das Flötenhaus, den Fisch zu verzehren. Ich hatte die Mahl- zeit noch nicht beendet, als Kulekule eintrat, der über den Gebrauch einer ihm geschenkten Angel näher belehrt werden wollte. Mit einem Gesicht, das deutlich sagte: »ah, Sie sind noch nicht fertig«, setzte er sich nieder auf den Boden, schweigend, abgewandt und mit gesenktem Kopf und wartete. Am nächsten Abend erhielt ich draussen wieder Fisch, doch war es schon dunkel: ich ass, mich bescheidentlich dem finstern Baumgrund zukehrend und schien so keinen Anstoss zu erregen.
Als Paleko mir den Topf mit kleinen Fischen brachte, waren wir beide allein im Flötenhaus; er kehrte mir den Rücken zu und sprach kein Wort während der langen Zeit, dass ich mit den Gräten kämpfte. Ich gab Tumayaua von unserm Bohnengericht; er nahm die Portion und ging bis zu seinem Hause, wo er sich hinsetzte, ass und zwischendurch, aber ohne den Kopf zu wenden, herüberrufend sich auch an unserer Unterhaltung beteiligte. Er hatte sich also mit voller Absicht entfernt. Im Hause assen die Frauen jede für sich in der Nähe der Feuerstelle, sie brachten den Männern das Mahl, und Jeder ass auf seinem Platz. Dabei machte es sich Alakuai z. B. sehr bequem, indem er in der Hängematte liegend zu dem Topf auf dem Boden hinablangte, mit den Fingern hineinfuhr und sie sich schaukelnd abschleckte, aber Keiner behelligte den Andern mit seiner Gesellschaft. Mit dem Beijúessen war man vielleicht etwas liberaler, wenigstens mir gegenüber, doch sah ich die Männer Abends häufig einzeln bei- seite gehen, ein Stück zu verzehren. Ehrenreich hat später bei den Karajá
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0094"n="66"/>
schicklichkeit den fertigen Fladen auf ein Sieb werfend, die Kinder schleckten<lb/>
Püserego und spielten Fangball mit federverzierten Maisbällen, und vier Frauen<lb/>
und Mädchen drehten die Fäden aus Palmfaser, falteten die »Röckchen« aus<lb/>
braungelbem Blatt und lieferten mir die zierliche Arbeit massenweise in allen<lb/>
Grössen. Das Einzige, was ich zugeben muss, ist das, dass eine Frau sehr ver-<lb/>
blüfft war und ratlos um sich blickte, als ich ein Uluri verlangte, das sie anhatte.<lb/>
Allein an dieser Verlegenheit hatte ein auf die Entblössung bezogenes Scham-<lb/>
gefühl keinen Anteil, sondern was von Schamgefühl vorhanden war, sollte ein<lb/>
physiologisches genannt werden, dessen Existenz ich nicht bestreite. Als ich nun<lb/>
mehrere Frauen gleichzeitig um ihre Uluris bat und durch Verweisen auf die<lb/>
Sammlung jedes Missverständnis ausschloss, wurde mir »anstandslos« und lachend<lb/>
gewillfahrt.</p><lb/><p>Dagegen beobachtete ich ein deutliches Schamgefühl bei ganz anderem<lb/>
Anlass, und zwar beim —<hirendition="#g">Essen</hi>. Ich hatte nur Gelegenheit, es bei den Männern<lb/>
festzustellen, und möchte vermuten, dass es den Frauen erst recht nicht fehlte.</p><lb/><p>Am Abend des 13. September bot mir Tumayaua draussen auf dem Platz,<lb/>
wo wir Männer plaudernd bei dem Mandiokagestell standen, ein Stück Fisch an,<lb/>
das ich hocherfreut sofort verspeisen wollte. Alle senkten die Häupter, blickten<lb/>
mit dem Ausdruck peinlicher Verlegenheit vor sich nieder oder wandten sich ab,<lb/>
und Paleko deutete nach meiner Hütte. Sie schämten sich. Erstaunt und be-<lb/>
troffen ging ich in das Flötenhaus, den Fisch zu verzehren. Ich hatte die Mahl-<lb/>
zeit noch nicht beendet, als Kulekule eintrat, der über den Gebrauch einer ihm<lb/>
geschenkten Angel näher belehrt werden wollte. Mit einem Gesicht, das deutlich<lb/>
sagte: »ah, Sie sind noch nicht fertig«, setzte er sich nieder auf den Boden,<lb/>
schweigend, abgewandt und mit gesenktem Kopf und wartete. Am nächsten<lb/>
Abend erhielt ich draussen wieder Fisch, doch war es schon dunkel: ich ass,<lb/>
mich bescheidentlich dem finstern Baumgrund zukehrend und schien so keinen<lb/>
Anstoss zu erregen.</p><lb/><p>Als Paleko mir den Topf mit kleinen Fischen brachte, waren wir beide<lb/>
allein im Flötenhaus; er kehrte mir den Rücken zu und sprach kein Wort<lb/>
während der langen Zeit, dass ich mit den Gräten kämpfte. Ich gab Tumayaua<lb/>
von unserm Bohnengericht; er nahm die Portion und ging bis zu seinem Hause,<lb/>
wo er sich hinsetzte, ass und zwischendurch, aber ohne den Kopf zu wenden,<lb/>
herüberrufend sich auch an unserer Unterhaltung beteiligte. Er hatte sich also<lb/>
mit voller Absicht entfernt. Im Hause assen die Frauen jede für sich in der<lb/>
Nähe der Feuerstelle, sie brachten den Männern das Mahl, und Jeder ass auf<lb/>
seinem Platz. Dabei machte es sich Alakuai z. B. sehr bequem, indem er in der<lb/>
Hängematte liegend zu dem Topf auf dem Boden hinablangte, mit den Fingern<lb/>
hineinfuhr und sie sich schaukelnd abschleckte, aber Keiner behelligte den Andern<lb/>
mit seiner Gesellschaft. Mit dem Beijúessen war man vielleicht etwas liberaler,<lb/>
wenigstens mir gegenüber, doch sah ich die Männer Abends häufig einzeln bei-<lb/>
seite gehen, ein Stück zu verzehren. <hirendition="#g">Ehrenreich</hi> hat später bei den Karajá<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[66/0094]
schicklichkeit den fertigen Fladen auf ein Sieb werfend, die Kinder schleckten
Püserego und spielten Fangball mit federverzierten Maisbällen, und vier Frauen
und Mädchen drehten die Fäden aus Palmfaser, falteten die »Röckchen« aus
braungelbem Blatt und lieferten mir die zierliche Arbeit massenweise in allen
Grössen. Das Einzige, was ich zugeben muss, ist das, dass eine Frau sehr ver-
blüfft war und ratlos um sich blickte, als ich ein Uluri verlangte, das sie anhatte.
Allein an dieser Verlegenheit hatte ein auf die Entblössung bezogenes Scham-
gefühl keinen Anteil, sondern was von Schamgefühl vorhanden war, sollte ein
physiologisches genannt werden, dessen Existenz ich nicht bestreite. Als ich nun
mehrere Frauen gleichzeitig um ihre Uluris bat und durch Verweisen auf die
Sammlung jedes Missverständnis ausschloss, wurde mir »anstandslos« und lachend
gewillfahrt.
Dagegen beobachtete ich ein deutliches Schamgefühl bei ganz anderem
Anlass, und zwar beim — Essen. Ich hatte nur Gelegenheit, es bei den Männern
festzustellen, und möchte vermuten, dass es den Frauen erst recht nicht fehlte.
Am Abend des 13. September bot mir Tumayaua draussen auf dem Platz,
wo wir Männer plaudernd bei dem Mandiokagestell standen, ein Stück Fisch an,
das ich hocherfreut sofort verspeisen wollte. Alle senkten die Häupter, blickten
mit dem Ausdruck peinlicher Verlegenheit vor sich nieder oder wandten sich ab,
und Paleko deutete nach meiner Hütte. Sie schämten sich. Erstaunt und be-
troffen ging ich in das Flötenhaus, den Fisch zu verzehren. Ich hatte die Mahl-
zeit noch nicht beendet, als Kulekule eintrat, der über den Gebrauch einer ihm
geschenkten Angel näher belehrt werden wollte. Mit einem Gesicht, das deutlich
sagte: »ah, Sie sind noch nicht fertig«, setzte er sich nieder auf den Boden,
schweigend, abgewandt und mit gesenktem Kopf und wartete. Am nächsten
Abend erhielt ich draussen wieder Fisch, doch war es schon dunkel: ich ass,
mich bescheidentlich dem finstern Baumgrund zukehrend und schien so keinen
Anstoss zu erregen.
Als Paleko mir den Topf mit kleinen Fischen brachte, waren wir beide
allein im Flötenhaus; er kehrte mir den Rücken zu und sprach kein Wort
während der langen Zeit, dass ich mit den Gräten kämpfte. Ich gab Tumayaua
von unserm Bohnengericht; er nahm die Portion und ging bis zu seinem Hause,
wo er sich hinsetzte, ass und zwischendurch, aber ohne den Kopf zu wenden,
herüberrufend sich auch an unserer Unterhaltung beteiligte. Er hatte sich also
mit voller Absicht entfernt. Im Hause assen die Frauen jede für sich in der
Nähe der Feuerstelle, sie brachten den Männern das Mahl, und Jeder ass auf
seinem Platz. Dabei machte es sich Alakuai z. B. sehr bequem, indem er in der
Hängematte liegend zu dem Topf auf dem Boden hinablangte, mit den Fingern
hineinfuhr und sie sich schaukelnd abschleckte, aber Keiner behelligte den Andern
mit seiner Gesellschaft. Mit dem Beijúessen war man vielleicht etwas liberaler,
wenigstens mir gegenüber, doch sah ich die Männer Abends häufig einzeln bei-
seite gehen, ein Stück zu verzehren. Ehrenreich hat später bei den Karajá
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/94>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.